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Gesundheit: Kreativer ohne Stress

Anstrengende Chefs vergeuden Originalität und Ideenreichtum, sagt der Hirnforscher Gerald Hüther

In der Arbeitswelt steigt der Druck auf die Menschen – mehr oder zumindest dieselbe Leistung wird in kürzerer Zeit verlangt. Gehen Arbeitgeber dabei sinnvoll mit den Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter um?

Um die Effizienz zu steigern und noch vorhandene Ressourcen auszuschöpfen, mag es ein geeignetes Mittel sein, Konkurrenz- und Leistungsdruck zu verstärken und bisweilen sogar Angst zu schüren. Aber auf die Kreativität und den Innovationsgeist von Menschen wirkt dieser Druck wie ein zäher Ölfilm, der sich über eine sprudelnde Quelle legt.

Was passiert denn im gestressten Hirn?

Unter Druck gerät vor allem das Frontalhirn in eine solche Unruhe, dass dort kein Erregungsmuster für die Steuerung von Handlungen mehr aufgebaut werden kann. Dabei ist das Frontalhirn genau der Bereich, wo komplexe Strategien zum Lösen von Problemen entwickelt werden.

Mit welcher Folge?

Man kann komplizierte Handlungen nicht mehr gut planen und vorausschauend denken, sich nicht mehr in andere Menschen hineinversetzen, Frustrationen aushalten und innere Impulse unter Kontrolle bringen.

Und wie behilft sich ein Gehirn, das unter Druck gerät?

Ein Chef, der seinen Leuten die Zeit für entspanntes Nachdenken nimmt oder sie gar verängstigt, zwingt ihre Hirne, auf einfache Bewältigungsstrategien zurückzugreifen. Statt komplexer Lösungen bevorzugen diese dann bewährte Vorgehensweisen, manchmal aber auch primitive.

Welche meinen Sie damit?

Gemeint sind Lösungswege, die im Hirn schon während der frühen Kindheit gebahnt worden sind. Oder sogar – wenn es besonders eng wird – archaische Notfallreaktionen. Die sind im Hirnstamm nicht nur bei uns, sondern auch bei Tieren angelegt und münden, falls sie aktiviert werden, in Angriff, Verteidigung oder panische Flucht. Und wenn gar nichts mehr geht, besteht der letzte Ausweg in ohnmächtiger Erstarrung. Regression nennen die Psychologen solche Rückgriffe auf frühere Muster.

Und das, obwohl der betreffende Mitarbeiter potenziell kreativ ist?

Häufig ja. Deshalb verschwenden stressende Vorgesetzte ja auch wertvolle geistige Ressourcen ihrer Mitarbeiter. Das lässt sich übrigens mit Hilfe bildgebender Verfahren nachweisen, die unsere Hirnfunktionen veranschaulichen: Je stärker die Anspannung beim Lösen einer Aufgabe oder bei einer Tätigkeit wird, desto weniger Bereiche in unserem Oberstübchen sind aktiviert.

Wie können Arbeitgeber das kreative Potenzial ihrer Mitarbeiter anzapfen?

Sie können Situationen der Muße schaffen. Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz hat schon vor mehr als 60 Jahren darauf hingewiesen, dass Singvögel wie Amsel oder Blaukehlchen ihre schönsten und buntesten Liedchen nur trällern, wenn es ihnen sozusagen um gar nichts geht, sie also ganz entspannt vor sich hin singen und weder um ein Weibchen balzen noch einen Konkurrenten vertreiben müssen. Lorenz sprach davon, die Vögel seien dann vom Ernst des Lebens gleichsam abgerückt und produzierten ihre Melodien ganz spielerisch. Auch wir Menschen kennen diese Momente, wenn alles im Fluss ist und wie von selbst geht. Solch gelassenes Tätigsein empfinden wir nicht umsonst als außerordentlich erfüllend; wir bekommen so Anschluss an unsere Ressourcen, darunter auch unbekannte. Wir entdecken uns quasi selbst.

Womit Sie aber kaum dafür eintreten möchten, in Unternehmen lockeren Pfeif- unterricht zu erteilen?

Vorgesetzte sollten ihren Mitarbeitern lieber Freiräume schaffen, in denen geistiges, kreatives Arbeiten auch wirklich möglich wird. Zumindest zeitweise sollte eine entspannte Situation herrschen dürfen, damit die Belegschaft nicht ständig unter Erwartungsdruck steht. Dabei ist mir das Dilemma der Arbeitgeber klar: Auf der einen Seite möchten sie schnell Ergebnisse sehen; auf der anderen Seite ist es langfristig gut, wenn man umsichtige Mitarbeiter hat, die möglichst über ihren Arbeitsbereich hinaus mitdenken. Dazu braucht es natürlich auch Beziehungsfähigkeit, um die es in unserer Gesellschaft nicht gerade gut bestellt ist – privat wie im Beruf.

Sehen Sie den idealen Chef also auch als Manager der Mitarbeiterbeziehungen?

Darin liegt ein riesiges Potenzial. Das Gehirn ist für das Knüpfen von Beziehungen ohnehin bereits optimiert: Jeder Mensch kommt mit der Fähigkeit und dem Bedürfnis zur Welt, immer neue Beziehungen einzugehen, und zwar mit allem, was es in dieser Welt zu entdecken gibt. Wenn dieses Bedürfnis bei vielen Menschen – oft schon in der frühen Kindheit – allmählich verschwindet, so liegt das nicht am Hirn. Die Weigerung oder doch zumindest nachlassende Neigung vieler Zeitgenossen, sich auf andere zu beziehen, ist also keineswegs programmiert, sondern die Folge frustrierender Erfahrungen in einer Welt voller gestörter Beziehungen.

Aber was heißt das für Unternehmen?

Wer seine Mitarbeiter nicht einfach nur mehr, sondern vor allem bessere Leistungen erbringen lassen will, muss in Beziehungen denken und in Beziehungsfähigkeit investieren. Allerdings fängt das bei der Chefin oder dem Teamleiter selber an: Vorgesetzte müssen lernen, jeden einzelnen Mitarbeiter wertzuschätzen – als einzigartige Persönlichkeit und Quelle von Wissen und Erfahrungen. Einhergehen muss diese neue Sichtweise mit einer Lern- und Fehlerkultur, einer Kultur, in der Fehler als Lernchancen begriffen und Mitarbeiter dazu ermutigt werden, Ideen auszutauschen und weiterzuentwickeln. Wer das als Chef nicht beherzigt, kann kurzfristig vielleicht den Umsatz steigern, aber er wird langfristig verlieren.

Das Gespräch führte Walter Schmidt.

Gerald Hüther lehrt Neurobiologie an der Universität Göttingen und ist Autor des Buches „Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn“ (15,90 Euro, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht).

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