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Gesundheit: Krieg als Superbowl in Georgetown Studenten werfen Eier,

Wissenschaftler diskutieren

Washington am ersten Wochenende des Krieges. Unweit des Weißen Hauses, auf dem Campus der Georgetown University, haben Kriegsgegner der studentischen Peace Action ihre Zelte aufgeschlagen. „Unterstützt unsere Truppen, schickt sie heim“, ist da zu lesen. Seit Kriegsbeginn haben sie Gesellschaft bekommen: Ein paar „College Republikaner“ campen nun auch und fordern „Give war a chance“. Ab und zu werden ein paar Eier von der einen zur anderen Seite geworfen. Insgesamt vermittelt Georgetown in diesen Tagen ein uneindeutiges, zerrissenes Bild. In den Bars verfolgen Studenten auf Großbildschirmen wie in Bagdad die Bomben fallen. Sie kommentieren die Erfolge und Verluste ihrer Armee, als handle es sich um den Superbowl.

Zur gleichen Zeit kommen auf dem pittoresken, fast europäisch anmutenden Campus Nachwuchswissenschaftler aus Europa und den USA zusammen, um auf der Jahreskonferenz des Center for German and European Studies über „Europas Zukunft“ zu diskutieren. Der Moment dazu ist denkbar heikel. Die EU ist zerstritten, die transatlantischen Beziehungen sind auf dem Tiefpunkt – es gibt reichlich Gesprächsstoff.

Im Gegensatz zu den Misstönen der letzten Monate ist die Stimmung unter den anwesenden Politik-, Geschichts- und Wirtschaftswissenschaftlern beider Seiten gut. Dennoch machen sie in ihren Gastbeiträgen keinen Hehl daraus, wie ernst es um das Verhältnis zwischen den USA und dem „alten“ Europa bestellt ist.

Der jetzige Alleingang der USA, sagt Georgios Karyotis, Doktorand der Universität Edinburgh, ist demnach vor allem auf die traumatische Erfahrung der eigenen Verwundbarkeit und das Gefühl der permanenten Bedrohung zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund und angesichts ihres Status als einzige militärische und politische Weltmacht, seien die Vereinigtem Staaten nicht dazu bereit, nationale sicherheitspolitische Interessen multilateralen Kompromissen zu opfern. Infolgedessen von ihren europäischen Partnern der Arroganz bezichtigt, fehle in den USA jedes Verständnis für die vermeintliche Selbstbezogenheit und Kakophonie in der EU.

Ob sich die transatlantischen Beziehungen in absehbarer Zeit wieder normalisieren, hängt nach Ansicht von Jeffrey Anderson, Direktor des gastgebenden Instituts, vor allem vom Verlauf des Krieges ab. Gerade die Instabilität und Unvorhersehbarkeit der internationalen Politik nach dem 11. September würde es jedoch erforderlich machen, den „Dialog wiederherzustellen und zu einer gemeinsamen Linie zurückzufinden“, so der Politikwissenschaftler.

Der Tatsache, dass die Eiszeit keineswegs nur Europa anzulasten ist, sei man sich auch in den diplomatischen und wissenschaftlichen Kreisen Washingtons bewusst. Nach Kriegsende könnte die Einsicht, dass der Wiederaufbau des Irak nur in internationaler Zusammenarbeit zu bewältigen ist, zu anderen, eine Annäherung ermöglichenden Tönen auch von höchster Regierungsebene führen.

Im Konferenzsaal regiert fast durchweg die Stimme der Vernunft. Simon Serfaty vom Center for Strategic and International Studies in Washington sagt, mit dem Verhältnis zwischen den USA und Europa sei es nun einmal wie bei einer Ehe nach 50 Jahren: „Let’s face it“ – sehen wir den Tatsachen ins Auge – „da ist die Liebe weg“. Trennen müsse man sich deswegen allerdings noch lange nicht.

Leonard Novy[Washington]

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