zum Hauptinhalt

Gesundheit: Kritik

Von Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität

Dazu, dass Kritik eine Sache von Wert ist, muss ich mich immer wieder einmal selbst überreden. Beispielsweise dann, wenn ich hektisch eine etwas kritische Rezension eines eigenen Buches überfliege, an dem ich einige Zeit mit großer Leidenschaft gearbeitet habe und das ich selbstverständlich nur gelobt sehen möchte. Aber eben auch kritisiert finde. Erst mit gewissem zeitlichen Abstand gegenüber der Lektüre einer solchen Rezension wird mir dann deutlich, dass einige der kritischen Einwände vielleicht doch berechtigt sind, dass ich Ähnliches, wenn ich ganz ehrlich bin, vor Abgabe des Manuskriptes auch selbst gedacht habe, mir aber die Kraft fehlte, nach so vielen Mühen um das Buch noch einmal gründlich Hand anzulegen.

Nun haben auch viele andere Menschen erhebliche Schwierigkeiten mit Kritik. Als Claus Peymann 1988 durch die Aufführung des Bernhardschen Heldenplatzes im Wiener Burgtheater einer ganzen Gesellschaft den Spiegel der Kritik allzu dicht vor die Nase hielt, schäumten viele Österreicher diverser politischen Couleur. Darunter auch die Eltern eines guten Freundes von mir, seit Jahren stolze Besitzer eines der begehrten Burgtheaterabonnements. Da sie ihr kostbares Abonnement selbstverständlich nicht verlieren, sondern für die Zeiten der nächsten Intendanz erhalten wollten, fragten sie höflich bei der Generaldirektion der Bundestheater an, ob für die Dauer der Intendanz Peymann ihr Anrecht auf ein Schließtageabonnement umgestellt werden könne. Leider hat die Generaldirektion die Bitte der Eltern meines Freundes brüsk abgelehnt. Dabei hätte sie sie doch darauf hinweisen können, dass das heitere Lachen über die langen Monologe voll bitterer Kritik in Stücken Thomas Bernhards wahrscheinlich das beste Mittel ist, um sich sehr schroffe Kritik auf fast vergnügliche Weise zu Herzen zu nehmen.

Man muss nur den Namen von Alfred Kerr aussprechen, den der von ihm kritisierte Brecht arg eingeschnappt einen „nach Trüffeln schnüffelnden Five-o-clock-tea-Plauderer“ nannte, um sich klarzumachen: Kritik darf herzlich einseitig sein und bleibt eine Sache von Wert, wenn sie denn geistreich ist. Kerr wörtlich: „Der wahre criticus verträgt Pole; wünscht Pole“. Und die eigentliche Lebenskunst für die Kritisierten besteht darin, sich über die Einseitigkeiten nur kurz zu ärgern und dann die berechtigte Kritik anzunehmen.

Der Autor ist Kirchenhistoriker und schreibt an dieser Stelle jeden zweiten Montag über Werte, Wörter und was uns wichtig sein sollte.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false