zum Hauptinhalt
Wie alles begann: Louise Brown (hier mit ihren Eltern 1979, ein Jahr nach ihrer Geburt) war das erste "Retortenbaby".

© dpa

Künstliche Befruchtung: Das Familienglück und sein Preis

3800 so genannte Kinderwunschbehandlungen nehmen die Ärzte in der Region im Jahr vor. Künstliche Befruchtung ist oft die letzte Möglichkeit für kinderlose Paare – aber manchmal auch eine Enttäuschung.

Fünf Personen in einem Raum. Keiner redet. Leise Loungemusik will die Stille übertönen, doch es funktioniert nicht. Zu laut sind die Gedanken, die sich jeder über den anderen macht. Warum klappt es bei denen nicht? Wie oft haben sie es schon versucht? „Um die anderen nicht die ganze Zeit anzustarren, blättern alle in den Babyalben, die überall ausliegen“, sagt Bea Schulz (Name geändert). Mit 35 Jahren saß sie das erste Mal im Wartezimmer einer Berliner Kinderwunschpraxis.

Wird eine Eizelle im Labor befruchtet und dann in die Gebärmutter eingepflanzt, liegt die Chance auf eine Schwangerschaft hierzulande bei durchschnittlich 28 Prozent. „Nicht zu verwechseln mit der Geburtenrate, die noch niedriger ist“, sagt Heribert Kentenich, Leiter des Fertility Centers Berlin auf dem Gelände des DRK-Klinikums Westend. „Die künstliche Befruchtung ist oft die letzte Möglichkeit auf dem Weg zum Kind“, sagt er.

Seit vor wenigen Tagen der Nobelpreis für Medizin an den britischen Pionier der Reproduktionsmedizin Robert Edwards ging, ist das Thema gerade in Deutschland wieder in der Diskussion. Gerade in Deutschland deshalb, weil es hierzulande ungewollt kinderlose Paare wegen relativ hoher Kosten und einiger juristischer Beschränkungen schwerer haben als anderswo.

Nur jede fünfte Frau bringt nach der ersten künstlichen Befruchtung ein Kind auf die Welt, sagt Kentenich. Die Zahl der Totgeburten ist zweieinhalbmal höher und auch das Risiko, dass ein Kind behindert geboren wird, ist größer als bei einer natürlichen Schwangerschaft. Doch Kentenich hat auch Fakten, die Gutes versprechen: „Den meisten Paaren kann ich sagen, dass sie zumindest nach der dritten künstlichen Befruchtung wahrscheinlich schwanger sind.“

Bea Schulz war voller Hoffnung, als sie eine Spezialpraxis aufsuchte. Vier Jahre hatte sie versucht, auf natürlichem Wege schwanger zu werden. Doch ihr früheres Verhütungsmittel, eine Kupferspirale, hatte sie fast unfruchtbar gemacht. „Beim Einsetzen der Spirale muss es zu einer Infektion gekommen sein, dadurch hat sich ein Eileiter entzündet, war verklebt und musste raus“, sagt Schulz.

Bei dieser Operation stellten die Ärzte fest, dass auch der zweite Eileiter nicht gesund war. Schulz blieb nur die künstliche Befruchtung. Die begann mit der obligatorischen Hormonbehandlung am Anfang des Zyklus. Ihre Eizellen reiften heran und konnten am zwölften Zyklustag in einem ambulanten Eingriff entnommen werden.

Für Ärzte wie Peter Sydow, Leiter der Praxisklinik am Gendarmenmarkt, wird es in dieser Behandlungsphase spannend: Jetzt müssen er und sein Team beweisen, dass sie ihr Handwerk verstehen. „Manchmal sitzen wir bis spät abends im Labor und versuchen das zusammenzuführen, was auf natürlichem Wege nicht zueinanderfindet“, sagt er und erklärt die zwei Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung. Bei der In-Vitro-Fertilisation (IVF) werden die Samen unter dem Mikroskop einfach auf das Ei losgelassen. „Das macht man, wenn die Spermien eine gute Qualität haben“, sagt Sydow. Sind die Samenzellen langsam und schwach, führen die Ärzte ein Spermium mit einer Nadel in die Eizelle ein. Das nennt sich Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI).

Ein paar Tage dauert es, bis sich Ei und Samen verschmolzen und so geteilt haben, dass sie vor dem deutschen Gesetz als Mensch gelten. Dann spritzen die Ärzte den Embryo in die Gebärmutter der Frau. „Das dauert wenige Minuten und ist schmerzlos“, sagt Sydow.

Anschließend heißt es hoffen – und oft auch bangen. Auch Bea Schulz wurde enttäuscht. Zwei Wochen nachdem ihr der Embryo eingesetzt worden war, rief die Ärztin ihrer damaligen Kinderwunschpraxis an und sagte ihr, dass sie leider nicht schwanger sei.

Was die Paare in die Praxen zieht, ist die Erfolgsquote. Sie soll Aufschluss über die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit nach der ersten IVF oder ICSI geben. Laut dem Deutschen IVF-Register, an das die Praxen Daten übermitteln müssen, gibt es in Berlin derzeit acht reproduktionsmedizinische Praxen mit insgesamt 24 Ärzten – so viele wie in keiner anderen deutschen Stadt. Die Berliner Praxen haben laut Register gemeinsam mit einer Kinderwunschklinik in Brandenburg (Cottbus) im Jahr 2008 insgesamt rund 3800 Kinderwunschbehandlungen vorgenommen. Daten, wie erfolgreich diese Behandlungen waren – also zum Beispiel die Quote der Schwangerschaften und vor allem die der tatsächlich geborenen Kinder – veröffentlicht das Register nur für alle deutschen Kinderwunschpraxen gemeinsam. Für einzelne Zentren gibt es keine Vergleichszahlen.

Der Markt ist schwer umkämpft, die acht Berliner Praxen stehen in einem harten Wettbewerb zueinander. Und dann kommen noch Betreiber von Reproduktionsmedizinischen Kliniken im Ausland und buhlen mit vorgeblich höheren Erfolgschancen – aufgrund der anderen Rechtsgrundlagen – gezielt um ungewollt kinderlose Paare auch in Berlin. In Deutschland ist es laut Embryonenschutzgesetz verboten, vor dem Rückverpflanzen in die Mutter die Embryonen mit der höchsten Chance für eine erfolgreiche Schwangerschaft auszuwählen. In anderen Ländern ist das gestattet. Eine weitere Folge davon: Es werden mehr Embryonen eingepflanzt, was die Rate von Mehrlingsschwangerschaften erhöht.

Aber: Statistiken sagen über den Einzelfall wenig aus. „Es ist wie in der Natur“, sagt Heribert Kentenich vom Fertility Center, „je älter die Frau, desto unwahrscheinlicher die Schwangerschaft.“

Und dieses Familienglück hat seinen Preis. 1500 Euro Zuzahlung kann eine künstliche Befruchtung für verheiratete Paare kosten. Die Krankenkasse zahlt für maximal drei Versuche die andere Hälfte. Nichtverheiratete müssen den Gesamtpreis alleine aufbringen. „Man will Frauen gleichstellen und lässt sie Karriere machen, aber gleichzeitig erschwert man ihnen das Kinderkriegen, indem man sie zur Kasse bittet“, sagt Klaus Bühler vom Deutschen IVF-Register. Schließlich seien die meisten Frauen hierzulande nach einer Karriere nicht mehr im besten fruchtbaren Alter. Bei den schlechten Geburtenraten sei die Gesellschaft aber auf Frauen mit Kinderwunsch angewiesen, und so brauche man die Reproduktionsmedizin. Vielleicht befördert ein Nobelpreis ja auch hier ein Umdenken.

Diesen und viele weitere Artikel zum Thema Reproduktionsmedizin ebenso wie einen Vergleich von Berliner Kinderwunschzentren mit Ärzteempfehlungen und Praxisporträts finden Sie im jetzt erschienen Arztpraxenführer Berlin 2010/2011 von Tagesspiegel und Gesundheitsstadt Berlin. Das 190 Seiten starke Buch enthält Informationen zu ambulanten Arztpraxen für neun verschiedene Erkrankungen und deren Behandlung. Der Arztpraxenführer kostet 12,80 Euro (für Tagesspiegel-Abonnenten 9,80 Euro) und ist erhältlich im Tagesspiegel-Shop im Internet unter www.tagesspiegel.de/shop oder per Telefon unter 030/29021-520.

Viele weitere medizinische Themen, Beratung und Information finden Sie auch in unserem Gesundheitsportal: www.gesundheitsberater-berlin.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false