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Gesundheit: Lebensmittel per Rohrpost

Die Straßen und Autobahnen des Ruhrgebiets sind permanent verstopft – ein Bochumer Ingenieur weiß Abhilfe

Vielleicht kommt Dietrich Stein mit seiner verwegen klingenden Idee einer modernen Rohrpost für eilige Güter ja wirklich zur rechten Zeit: Immerhin gab es schon Tage in Nordrhein-Westfalen, da summierten sich alleine dort die Staus auf den Autobahnen zu einer Gesamtlänge von 338 Kilometern. Allerorten wird Stillstand zum Problem und kostet Geld. „Etwa zehn Prozent des 11000 Kilometer langen deutschen Autobahnnetzes verwandeln sich täglich zum Parkplatz“, sagt Stein, der an der Bochumer Ruhr-Universität Leitungsbau lehrt. Das kostet nach Angaben des ADAC etwa 100 Milliarden Euro im Jahr.

Und es soll schlimmer werden: Bewältigten Lastwagen in Deutschland 1991 noch 246 Milliarden Tonnenkilometer an Frachtleistung, so waren es im Jahr 2000 schon 347 Milliarden. Und bis zum Jahr 2015, so hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung vorausberechnet, soll das Frachtaufkommen sogar auf über 500 Milliarden Tonnenkilometer anschwellen. Mit einem unterirdischen Rohrtransportsystem namens „CargoCap“ will Stein Abhilfe schaffen: Führerlose, knapp 40 km/h schnelle Transport-Kapseln sollen Waren auf jeweils zwei Euro-Paletten durch 1,60 Meter messende unterirdische Röhren quer durchs Ruhrgebiet verfrachten. Die zweispurige Strecke soll möglichst öffentlichen Straßen folgen, schon um den Bau planungsrechtlich zu beschleunigen. Schnell gehen soll es, denn Stein und sein Wissenschaftlerteam von der Ruhr-Universität wollen eine erste, rund 80 Kilometer lange Strecke zwischen Dortmund und Duisburg, großenteils entlang der staugeplagten Autobahn 40, in vier bis fünf Jahren umsetzen. Das Zeitfenster für CargoCap stehe jetzt offen: Heute seien Maschinen zum grabenlosen Vortrieb der Tunnel und die Steuerungstechnik so weit, „um diese Vision anzupacken“.

Und so sähe das Ganze aus: Statt mit dem Frachtgut per Lkw stundenlang über die verstopfte Autobahn 40 von Duisburg nach Dortmund zu schleichen, fährt ein Lieferwagen nur zur nächsten CargoCap-Frachtstation. Davon soll es für die Ruhrgebiets-Trasse insgesamt 22 geben, sechs davon unterirdisch, weil in Innenstädten anders kein Platz für die Umschlagplätze wäre. Über Rollen-Förderer und Lastaufzüge wird die beladene Euro-Palette vom Lieferwagen in die Transportkapseln gelotst, woraufhin diese sich auf den Weg macht – vorangetrieben von Elektromotoren, mit Rädern, die auf Spezialgleisen rollen und kontrolliert von eingebauten Rechnern, die jederzeit wissen, wo sich die Kapsel befindet und wohin sie fahren soll.

Vor Abzweigen brauchen die Kapseln auch dann nicht zu bremsen, wenn sie in dichter Folge, aber mit unterschiedlichen Zielen unterwegs sind. Denn Spezialführungen an den Seiten der Transport-Behälter ziehen die Kapseln selbstgesteuert und blitzschnell in die jeweils richtige Richtung. Der Empfänger ist inzwischen telefonisch davon unterrichtet worden, dass er die Güter zu einer leicht planbaren Zeit von der Übergabestation am Zielort abholen kann.

Dass CargoCap auf Euro-Paletten als Lade-Einheit setzt, hat einen simplen Grund. Schon heute entfallen 80 Prozent aller Paletten-Transporte in Deutschland auf diese Standard-Größe. Als Fracht kämen vor allem eilige Pakete, dringend benötigte Produktionsbauteile oder auch Lebensmittel in Frage.

Zum Leidwesen des Experten gibt es die ersehnte Modellstrecke im Maßstab 1:2 jedoch noch immer nicht. Rund 500 000 Euro hätte das Vorhaben kosten sollen, die Hälfte hätte die Projekt Ruhr GmbH zuschießen sollen, die für die Landesregierung den Strukturwandel im „Pott“ vorantreiben soll. Insider vermuten, dem Land sei das Magnetschwebebahnprojekt Metrorapid vorerst wichtiger gewesen.

Stein braucht aber eine Teststrecke, um das System zu optimieren – und er braucht zumindest am Anfang öffentliche und private Geldgeber, denn die Startinvestitionen sind beträchtlich. Allein die Ruhrgebietstrasse, ohne mögliche Erweiterungen zum Köln-Bonner Flughafen, soll 515 Millionen Euro kosten. Erreicht CargoCap bei den anvisierten Güterarten einen zehnprozentigen Transport-Anteil auf der Ruhrstrecke, hätten sich Schätzungen zufolge die Anfangskosten erst nach 40 Jahren amortisiert, bei einem Anteil von 20 Prozent in 30 Jahren. „Falls das System ökonomisch versagt, wären diese Investitionen unumstößlich verloren“, räumt selbst der am Projekt beteiligte Bochumer Wirtschaftswissenschaftler Paul Klemmer ein. Die öffentliche Hand wird vorfinanzieren müssen – umso mehr, je weniger Risiko-Kapitalgeber sich finden. Bislang hat das Land 1,7 Millionen Euro in das Projekt fließen lassen.

Doch Dietrich Stein gibt sich optimistisch. Unternehmen, denen er CargoCap vorgestellt hat, beispielsweise Versandhäuser, die als Kunden in Fragen kämen, „haben uns nie ausgelacht, sondern gesagt: Fangt bloß bald an damit“, berichtet er. Und sogar die Spediteure wisse er auf seiner Seite. Deren Bundesverband habe ihm mitgeteilt, das zusätzliche Frachtaufkommen durch den Online-Handel sei ohne neue Systeme wie CargoCap kaum zu schaffen. Und wenn Stein seine Vision weitertreibt, dann sieht er schon Neubausiedlungen vor sich, die ihre Einkäufe durch Rohre geliefert bekommen und deren Müll auf die selbe Weise weggeschafft wird.

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