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Gesundheit: Lehrer braucht das Land

Deutschlands Schüler werden immer besser betreut – aber nur in der Statistik

Die deutschen Schülerinnen und Schüler haben in den vergangenen Jahren immer mehr Unterricht erhalten. Mit dieser Meldung überraschte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden die Öffentlichkeit am Dienstag. Die Zahl der hauptberuflichen Lehrkräfte sei in den fünf Jahren bis zum Schuljahr 2002/2003 um 1,3 Prozent gestiegen, genau wie die Zahl der erteilten Unterrichtsstunden. Doch zugleich sanken die Schülerzahlen um 1,7 Prozent. Also hat sich die Unterrichtsversorgung der deutschen Schüler verbessert, folgern die Statistiker.

Warum merken Schüler, Eltern und Lehrer davon nichts? Haben sie vielleicht eine völlig falsche Wahrnehmung von der Schulwirklichkeit, wenn sie über volle Klassen, fehlende Fachlehrer, Unterrichtsausfall und eine höhere Lehrverpflichtung klagen? Nein, so will Marianne Renz vom Statistischen Bundesamt ihre Untersuchung nicht verstanden wissen. Die Verhältnisse in Deutschland sind viel komplizierter, als sich in einer einzigen statistischen Größe ausdrücken lässt. Zunächst ist die Versorgung mit Unterricht jetzt erst wieder auf dem Niveau, auf das sie nach der Wende gesunken war. Damals sparten die westlichen Bundesländer im Schulwesen, um die Vereinigung zu bezahlen, erklärt Renz. Außerdem gibt es Unterschiede zwischen den Schultypen. Während die Zahl der Schüler im Primarbereich im Bundesdurchschnitt abnimmt, wächst sie in den Berufsschulen.

Vor allem aber gibt es ein Ost-West-Gefälle. In den neuen Ländern wurden nach der Wende nur noch halb so viele Kinder geboren wie vorher. Viele von Arbeitslosigkeit bedrohte Familien sind in den Westen gezogen. Beides hat ein dramatischen Schulsterben zur Folge. Der Familienforscher Hans Bertram von der Humboldt-Universität hat deshalb unlängst vor einer Bildungswüste in Ostdeutschland gewarnt. In Brandenburg wird die Zahl der Schüler voraussichtlich von gut 80000 im Jahr 2000 auf die Hälfte im Jahr 2020 zurückgehen. Also hat das Land aus Sicht der Politiker im Moment zu viele Lehrer – mit einem „goldenen Handschlag“ versucht man, sie loszuwerden. Der Überhang, der die Statistik schönt, ist also nicht gewollt, um die pädagogische Situation an den Schulen zu verbessern, wie Marianne Demmer von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisiert. Auch die neuen Ganztagsschulen werden daran nichts ändern. Zwar steigt dadurch der Bedarf an Personal. Doch die Schulen versuchten, auf nicht qualifizierte Kräfte zurückzugreifen, sagt Demmer. Sollten mit Hartz IV auch pädagogische Laien für die Schulen rekrutiert werden, werde sich dieser Trend noch verschärfen.

Die hohe Zahl von Lehrern kann oder will sich das Land jedenfalls nicht leisten. Doch auch in den westlichen Bundesländern arbeiten die Politiker nicht auf eine bessere Betreuung der Schüler durch mehr Lehrer hin. Schon kurz nach dem Pisa-Schock im Jahr 2000 frohlockten manche, angesichts des Geburtenrückgangs werde man bald weniger Geld für Lehrer ausgeben müssen.

Trotzdem zeichnet sich für Deutschland ein dramatischer Mangel an Lehrern ab – auch wenn das Statistische Bundesamt meldet, wieder mehr Studierende wollten Lehrer werden (im Wintersemester 2003/2004 rund zwölf Prozent mehr als im Wintersemester 2000/2001). Eine große Pensionierungswelle steht bevor. Im Jahr 2002 war mehr als ein Fünftel aller Lehrer älter als 55 Jahre. Besonders an Lehrern in Mathematik, den Naturwissenschaften wird es fehlen: Nur gut 20 Prozent der Studierenden wählen diese Fächer, 60 Prozent der Lehramtsstudierenden entscheiden sich jedoch für Sprach- und Kulturwissenschaften. Unbeliebte Schultypen wie die Hauptschulen spüren den Lehrermangel schon länger. Schon in der Pisa-Untersuchung beklagten sich 40 Prozent der Schulleiter an Haupt- und Realschulen über einen Mangel an Lehrkräften (an Gymnasien klagten 13 Prozent der Schulleiter).

Selbst wenn die Statistik etwas anderes sagt: Die Betreuungsrelation an den Schulen hat sich länger nicht entscheidend verbessert (siehe Kasten). Ist das aber wirklich schlimm? Sehr kleine Gruppen (etwa 15 statt 24 Schüler) können unter bestimmten Umständen zwar positive Effekte zeitigen – besonders bei sehr jungen Kindern. Doch kleine Gruppen sind sehr teuer. Für die USA wurde ein zusätzlicher Bedarf von 100000 Lehrern ermittelt, würde die Klassenfrequenz auf 18 Schüler gesenkt. Lohnt sich das? In höheren Jahrgängen konnten die Pisa-Forscher keine Leistungsunterschiede erkennen, ob nun 20 oder 30 Schüler in einer Klasse waren – solange die Schmerzgrenze von mehr als 33 nicht überschritten war. Für die Lehrer kann gleichwohl jeder verhaltensauffällige Schüler mehr eine enorme Belastung darstellen, sagt Marianne Demmer von der GEW: Würde man den Lehrern aber zur Unterstützung mehr Sozialpädagogen oder Psychologen zur Seite stellen, müsste man sich in der Debatte nicht allein auf die Klassengrößen fixieren.

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