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Gesundheit: Löcher in der Gefäßwand

Toxischer Schock: Wie Kugelbakterien zu Killern werden

Streptokokken sind kugelförmige Bakterien, die ganz unterschiedliche Krankheiten verursachen. Lebensgefährlich ist das Toxische-Schock-Syndrom (STSS), in dessen Folge gleich mehrere Organe versagen. STSS nimmt seit Mitte der 80er Jahre weltweit zu. Auslöser ist immer eine banale Infektion mit Streptokokken der Gruppe A, die sich schlagartig dramatisch zuspitzt.

Da Antibiotika ohne Wirkung bleiben und die Patienten trotz intensiver Maßnahmen häufig innerhalb von 24 Stunden an einem Organversagen sterben, vermuten Ärzte, dass nicht die Erreger, sondern eine Überreaktion des Immunsystems die Todesursache ist. Eine Forschergruppe der Universität Lund hat nun erstmals Indizien entdeckt, dass ein entgleistes Immunsystem das STSS verursacht.

A-Streptokokken tragen auf ihrer Oberfläche das M-Protein. Es wird von der Zellwand abgespalten, wenn sich die Erreger in einem Organismus vermehren. Besonders die M1-Variante dieses Eiweißes bindet sich an den Blutgerinnungsfaktor Fibrinogen. Der M1-Fibrinogen-Komplex wiederum heftet sich an neutrophile Granulozyten, die zahlenmäßig größte Gruppe von weißen Blutkörperchen, die beständig durch das Blut patrouillieren. Diese „Blutpolizisten“ haben normalerweise eine völlig glatte Oberfläche, so dass sie selbst durch die engsten Blutgefäße hindurchrutschen, ohne an der Gefäßwand festzukleben.

Das ändert sich jedoch, wenn sich der M1-Fibrinogen-Komplex an der Wand der Granulozyten anheftet. Einerseits bilden die weißen Blutkörperchen wurfankerähnliche Moleküle an ihrer Oberfläche aus, mit deren Hilfe sie aus dem Blutstrom an die Gefäßinnenwand gelangen und sich dort festsetzen. Zum anderen schütten sie ein Eiweiß aus, das in Blutgefäßwänden winzige Lecks verursacht. Durch zigtausend dieser Löcher sickert Blut in das Gewebe: der Blutdruck sinkt, der Schock droht.

Gleichzeitig wird über eine zweite Schiene der Kreislauf zunehmend aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Kugelbakterien produzieren einen hochpotenten Giftstoff, der wie ein Superantigen wirkt. Während normale Antigene immer nur diejenigen Immunzellen aktivieren, die für das betreffende Fremdmolekül genetisch programmiert sind, bringen Superantigene sehr viele T-Lymphozyten in Schwung. Darunter besonders solche, die entzündungsfördernde Botenstoffe produzieren. Sie setzen nun ihrerseits eine Reaktionskaskade in Gang, an deren Ende Blutgefäße immer löcheriger werden. Die Folge: immer mehr Flüssigkeit verliert sich im Gewebe, das Herz wird überfordert. Der Schock droht.

Ein erster Hinweis, dass diese im Tierversuch an der Maus beobachteten Mechanismen auch beim Menschen eine Rolle spielen, fanden die Wissenschaftler bei einem Patienten mit einer nekrotisierenden Fasziitis, einer entzündlichen Auflösung von Muskelgewebe und Muskelscheiden in Folge einer Infektion mit A-Streptokokken. Dieser Patient hatte alle Anzeichen einer STSS, und in seinem Muskelgewebe fanden sich große Mengen des M1-Fibrinogen-Komplexes.

Reaktionskaskaden muss man frühzeitig unterbrechen. Die Forscher um Heiko Herwald verhinderten mit einem Mittel bei ihren Versuchstieren, dass sich der M1-Fibrinogen-Komplex an neutrophile Granulozyten binden konnte. So geschützte Mäuse bekamen keine „Schocklunge“. Die Ergebnisse sind ein Hinweis dafür, dass Schock und Schock nicht das gleiche sind. Ein Patentrezept gibt es also nicht.

Hermann Feldmeier

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