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Gesundheit: Malaria: Vor der nächsten Blutmahlzeit

Es besteht kein Zweifel. Die Malaria breitet sich aus, und die Gesundheitsstrategen sind weitgehend ratlos, wie denn ein Gegenangriff aussehen sollte.

Es besteht kein Zweifel. Die Malaria breitet sich aus, und die Gesundheitsstrategen sind weitgehend ratlos, wie denn ein Gegenangriff aussehen sollte. Weltweit ist sie für 2,3 Prozent aller Gesundheitsstörungen die Ursache, in Afrika sind neun von zehn Krankheitszuständen eine direkte oder indirekte Folge von Malaria. Nach Lungenentzündung und Tuberkulose nimmt das "Wechselfieber" Rang drei unter den Killerseuchen des Globus ein.

Da ist die Frage berechtigt, warum es gegen eine der häufigsten und gefährlichsten Krankheiten immer noch keinen Impfstoff gibt. Die Antwort ist so einfach wie ernüchternd. Die Entwicklung einer Vakzine gegen die Malaria ist ein biomedizinisches Unterfangen, dass in der Geschichte der Impfstoffforschung (von Aids einmal abgesehen) ohne Vorbild ist.

Ganze Heerscharen engagierter Wissenschaftler suchen seit mehr als drei Jahrzehnten nach einem wirksamen und universell einsetzbaren Impfstoff - und haben immer wieder vor einem Phänomen kapituliert, das für dieses Parasitenleiden charakteristisch ist: auch unter "optimalen Verhältnissen" schaffen es die Abwehrkräfte nicht, eine neue Infektion gleich im Keime zu ersticken (zum Vergleich: ein einmaliger Kontakt mit dem Erreger der infektiösen Gelbsucht, dem Hepatitis A-Virus, führt zu einem nahezu lebenslangen Schutz). Jeder wie auch immer geartete Impfstoff muss also mehr leisten als das Immunsystem kann. Eine ausgesprochene ambitiöse Aufgabe für die Impfstoffforschung.

Verwirrende Vielfalt

Die Gründe für die Komplexität der Krankheit Malaria sind offensichtlich. Zum einen rufen die Malariaerreger - einzellige Lebewesen mit einem komplizierten Stoffwechsel - im Körper eine verwirrende Vielfalt von Abwehrmechanismen hervor, von denen einige wenige im Kampf gegen die Parasiten nutzen, während andere wichtige Arme des Immunsystems regelrecht lahm gelegt werden.

Überdies unterscheidet sich das "immunologische Gesicht" der verschiedenen parasitären Entwicklungsstadien - im Menschen treten nacheinander drei Stadien im Blut, in der Leber und wieder im Blut auf - erheblich. Und um die Verwirrung perfekt zu machen, haben sich die Plasmodien genannten Einzeller einen weiteren Trick ausgedacht: Ähnlich einem Verwandlungskünstler ändern sie ständig die an ihrer Außenhaut vorhandenen Eiweißmoleküle.

Dies führt dazu, dass bereits wenige Tage nach dem Beginn der Infektion mehrere Parasitenvarianten im Blut kreisen. Außerdem gibt es erhebliche Unterschiede im Antigenmuster zwischen einzelnen Endemiegebieten - beispielsweise zwischen Zentral- und Westafrika -, ja sogar zwischen zwei infizierten Personen der gleichen Familie. Faktoren, die für die Entwicklung eines allgemein einsetzbaren Impfstoffs ausgesprochen hinderlich sind.

Bei einer Vielzahl von ständig wechselnden Gestalten und Formen gerät das Immunsystem natürlich in die Bredouille. Dementsprechend gibt es in der Natur auch keine echte Immunität bei der Malaria. Die menschlichen Abwehrkräfte sind bestenfalls in der Lage, vor schweren, eventuell tödlich verlaufenden Malariaanfällen zu schützen, und auch das nur, wenn ein Mensch über Jahre immer wieder durch den Stich einer Anophelesmücke infiziert wird.

Wie schwach die Immunität gegen die Malaria ist, zeigt die Tatsache, dass bereits wenige Monate außerhalb eines Malariagebietes diesen Hauch von Schutz verkümmern lassen: Der afrikanische Student, der für ein Semester außerhalb des Endemiegebiets studiert, ist, wenn er in sein Heimatdorf zurückkehrt, für Malaria wieder genauso empfänglich wie in seiner Kindheit.

Obwohl Dutzende verschiedener Immunmechanismen bekannt sind, die gegen die eine oder andere Form der Erreger im Reagenzglas oder im Tierversuch wirksam sind, ist nach wie vor unklar, welche Faktoren beim Menschen die entscheidenden "Schwungräder" der Körperabwehr sind. "Unsere ungenaue Kenntnis über jene parasitären Antigene, die eine schützende Immunantwort induzieren", sagt der Malariaforscher Andrew Taylor-Robinson von der Universität Leeds, "ist das größte Hindernis bei der Impfstoffentwicklung."

Auf drei ganz unterschiedlichen Wegen haben die Vakzinforscher bislang ihr Glück versucht. Da sind erst einmal Impfstoffe, die gegen die Sporozoiten gerichtet sind, parasitäre Formen, die von der Mücke auf den Menschen übertragen werden und die nur wenige Minuten im Blut zirkulieren, bevor sie auf nahezu mysteriöse Weise im Inneren von Leberzellen verschwinden. Eine gegen Sporozoiten gerichtete Vakzine wäre ein Impfstoff im klassischen Sinne, er würde nämlich verhindern, dass es überhaupt zu einer Infektion kommt.

Bestrahlte Parasiten

Nach rund 25 Jahren des Experimentierens glaubt die Gruppe um den amerikanischen Infektiologen Victor Nussenzweig von der New York University School of Medicine nun das vakzintechnische Ei des Kolumbus entdeckt zu haben. Bestrahlt man Sporozoiten - beispielsweise mit Kobaltisotopen - , so verlieren sie die Fähigkeit, sich in Leberzellen zu vermehren. Gleichwohl setzen sie die Abwehrkräfte so in Trab, dass eine sterilisierende Immunität die Folge ist.

Abgesehen davon, dass dieser Impfstoff an gerade mal einem Dutzend Freiwilliger ausprobiert wurde, hat er einen ausgesprochenen Haken: Sporozoiten können nicht im Reagenzglas gezüchtet werden. Um einen solchen Impfstoff herzustellen, müssen ständig Tausende infizierter Mücken vorgehalten werden, von denen man einige Hundert nach einer Bestrahlung an dem Impfling saugen lässt. Ein für eine Massenkrankheit völlig unpraktikables Verfahren.

Eine französisch-holländische Forschergruppe hat nun erstmalig das entscheidende Antigen hergestellt, das wie eine feindliche Flagge auf der Oberfläche befallener Leberzellen zu sehen ist und das schlagkräftige zellvermittelte Immunmechanismen gegen die Sporozoiten in Gang setzt. Gelingt es, aus diesem Antigen einen Impfstoff zu machen, würde sich möglicherweise die umständliche Prozedur der Bestrahlung erübrigen.

Ein zweiter Ansatz geht in eine ganz andere Richtung und ist von seiner Art her als "Anti-Krankheitsvakzine" zu bezeichnen. Das heißt, den Impfstoffforschern kommt es nicht darauf an, die Infektion an sich zu unterbinden, sondern die Entwicklung einer schweren Malaria zu verhindern. Der Kniff: durch Immunisierung mit einem "Cocktail" parasitärer Antigene sollen Abwehrkräfte stimuliert werden, die die rhythmisch aus den roten Blutkörperchen freigesetzten Merozoiten neutralisieren. Dies hätte die Konsequenz, dass die Malariaparasiten zwar vorübergehend in den roten Blutkörperchen verborgen durch den Körper zirkulieren können, die betreffende Person aber zumindest nicht mehr schwer erkrankt.

Hunderte von Experimente mit solchen synthetischen Vakzinen sind bereits gemacht worden, doch nur zwei haben den Sprung von der Laborbank in die heiße Realität typischer Malariagebiete geschafft. Die bislang in Südamerika und in Asien mit großem Aufwand erfolgten Impfstudien wurden kürzlich einer Evidenz-basierten Analyse unterzogen, deren Ergebnisse in der Cochrane-Datenbank nachzulesen sind. Das Urteil der Gutachter ist vernichtend: die Impfstoffe seien weitgehend wirkungslos, heißt es lapidar.

Der dritte Impfstofftyp schließlich gehört zu einer in der Geschichte der Vakzinforschung bislang völlig unbekannten Kategorie. Diese "Übertragung blockierende Vakzine" hilft dem einzelnen Malariakranken nichts, soll aber auf Bevölkerungsebene die Malaria eindämmen. Aus Fütterungsversuchen an Anophelesmücken weiß man nämlich, dass im Blut des Menschen kreisende Antikörper gegen die Geschlechtsformen des Parasiten im Mückenmagen die Verschmelzung von "Spermien" und "Eizellen" verhindern. Nimmt eine Mücke mit einer Blutmahlzeit derartige Antikörper auf, so kann sich keine neue Generation von infektionsfähigen Sporozoiten bilden. Der Erregerkreislauf ist damit unterbrochen. Der Geimpfte selbst kann allerdings durch andere Mücken nach wie vor infiziert werden.

Impfen für andere

Erfolgreich kann ein solches Impfprinzip nur sein, wenn sich genügend Menschen mit einer entsprechend altruistischen Grundeinstellung bereit erklären, bei dieser unkonventionellen Art der Seuchenbekämpfung mitzumachen. Vier verschiedene Antigene sind mittlerweile bekannt, gegen die von Geimpften konstant Antikörper gebildet werden. Wenn diese Antikörper via Blutmahlzeit in den Mückenmagen gelangen, können sie den parasitären Entwicklungszyklus zuverlässig unterbrechen.

Infektionsmedizinisch betrachtet steht dieser unkonventionelle Ansatz auf ausgesprochen rationalen Füßen. Mücken, in denen sich Malariaparasiten vermehren, sind ungemein aggressiv. Sie stechen mehr Menschen im Laufe ihres Mückenlebens als sechsbeinige Plagegeister, die malariafrei sind. Im Sinne des Parasiten ist dies ein Überlebensvorteil: Je mehr Menschen eine weibliche Mücke für Blutmahlzeiten aufsucht, umso größer ist die Chance, dass die Parasiten auf eine andere Person übertragen werden können. Für die Mücke selbst ist solchermaßen abnormales Verhalten dagegen ein klarer Nachteil. Die meisten Moskitos kommen bei oder nach dem Saugen um: sie werden schlicht von einer wütenden Hand zerquetscht.

Obgleich die Forschungsarbeiten an diesem Impfstoff weit vorangeschritten sind und die WHO ihn als ein "ideales öffentliches Gesundheitsgut" anpreist, ist man in Genf mit der Vakzine nicht glücklich. Es gelang bis heute nicht, die Pharmaindustrie für dieses Konzept zu gewinnen. Die Ursache des Desinteresses liegt auf der Hand: Käufer eines die Übertragung verhindernden Impfstoffs wären ausschließlich die Gesundheitsminister der Malarialänder, Damen und Herren mit einer notorisch leeren Geldbörse: ganze zehn Dollar hat der typische Gesundheitsminister eines Entwicklungslandes pro Kopf und pro Jahr zur Verfügung, mit denen er alle Gesundheitsausgaben bestreiten muss.

Lukrativ wäre dagegen ein Impfstoff, den sich Touristen und Geschäftsleute von Ihrem Hausarzt verschreiben lassen könnten - oder der aus der wohlgefüllten Kasse der Militärs bezahlt würde. Eine solche Vakzine müsste natürlich in allen Malariagebieten der Welt gleichermaßen gegen alle Krankheitsstadien gerichtet sein. Dies geht aber nur, wenn der Impfstoff zahlreiche unterschiedliche Antigene enthält und alle notwendigen Komponenten des Immunsystems simultan stimuliert. Und da eine solche Vakzine nur am molekularbiologischen Reißbrett entstehen kann, kommt auch nur ein DNS-Impfstoff in Frage, der aus einem komplexen Cocktail selektierter parasitärer Basencodes besteht, die in ein Transportmechanismus, ein Plasmid, eingebaut werden.

Vorreiter bei der Entwicklung einer solchen maßgeschneiderten "Wunderwaffe" ist die Gruppe um Stephen L. Hoffman in Rockville, Maryland - und es ist vermutlich auch kein Zufall, dass die Wissenschaftler ihr Geld von der Forschungsabteilung der amerikanischen Marine erhalten.

Hermann Feldmeier

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