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Gesundheit: "Man braucht in den USA keine Wissenschaftsministerien"

Jürgen Kohler, Rektor der Universität Greifswald, vermißt Instrumente für einen effektiven Technologietransfer an deutschen UnisINTERVIEW VON THOMAS DE PADOVA. TAGESSPIEGEL: Amerikanische Universitäten gelten in Deutschland gemeinhin als Geburtsstätten industrieller Entwicklungen.

Jürgen Kohler, Rektor der Universität Greifswald, vermißt Instrumente für einen effektiven Technologietransfer an deutschen UnisINTERVIEW VON THOMAS DE PADOVA. TAGESSPIEGEL: Amerikanische Universitäten gelten in Deutschland gemeinhin als Geburtsstätten industrieller Entwicklungen.Die meisten Biotechnologie-Unternehmen sowie unzählige Computerfirmen sind in den USA ein direkter "Spin-off" der Universitäten.Welchen Nutzen bringen dagegen die deutschen Universitäten der Wirtschaft? KOHLER: Das ist die Frage nach dem, was Technologietransfer bedeutet.Traditionell wurde er bei uns als Ausbildung junger Leute auf der Höhe der Zeit verstanden, mit dem Ziel, sie in die Forschung von Unternehmen zu integrieren.Jetzt aber kommt ein ergänzender Aspekt hinzu, nämlich der, Unternehmensgründungen gezielt zu fördern. TAGESSPIEGEL: Und damit tun sich die deutschen Universitäten, wie man sieht, schwer. KOHLER: In den amerikanischen Universitäten sind die Rahmenbedingungen besser.Zum einen scheint die Interaktion zwischen den Forschern und den Mitarbeitern der Hochschule besser zu funktionieren, die sich um das Entdecken von marktfähigen Produkten kümmern.In Deutschland würde man diese Aufgabe etwa beim Technologietransferbeauftragten ansiedeln. TAGESSPIEGEL: Auch in Amerika gibt es Technologietransferbeauftragte an den Unis.Was machen sie dort besser? KOHLER: Sie kümmern sich nicht nur um die Identifizierung von marktfähigen Ideen, sondern auch um die Patentierung, die Vermittlung von Industriepartnern und um die Finanzierung.Da wird eine Paketlösung als Dienstleistung angeboten ... TAGESSPIEGEL: ..., die gegebenenfalls auch die Bereitstellung von Risikokapital beinhaltet. KOHLER: Ich sehe die Rolle des Wagniskapitals und der Fonds, die das Wagniskapital verwalten, als eine doppelte.Einerseits handeln die Fonds im Interesse der Geldgeber und infolgedessen zwar kritisch, aber schnell und unbürokratisch und ohne die Schwerfälligkeit einer staatlichen Patronage.Ihre eigentliche Leistung besteht jedoch darin, an einem Businessplan mitzuwirken und die betriebswirtschaftliche Seite der erfinderischen hinzuzufügen. TAGESSPIEGEL: Dazu bedarf es jedoch auch klarer Absprachen zwischen den Geldgebern einer- und den Ideengebern andererseits. KOHLER: In Amerika gibt es in vielen Fällen bereits klar definierte Partnerschaftsverhältnisse.Die deutschen Universitäten sind wohl eher gerade dabei, dieses Neuland zu betreten.Was bei uns dagegen vorwiegend praktiziert wird, ist Auftragsforschung.Vor dem Hintergrund der amerikanischen Erfahrungen ist für mich jedoch auch hier die Erkenntnis wesentlich, daß die Finanzierung zwischen Hochschule und Unternehmen klar definiert sein muß.In den USA ist es üblich, daß die Unternehmen den Hochschulen die Kosten für die Inanspruchnahme des Personals und der Einrichtung erstatten. TAGESSPIEGEL: Betreiben die Unternehmen in Deutschland Forschung auf Kosten der Hochschulen? KOHLER: Das ist nicht auszuschließen.Der Steuerzahler finanziert letztlich die Ausgaben der Hochschulen für Personal und Einrichtung.Diese Kosten werden bei der Drittmittelfinanzierung nicht vollständig von Drittmitteln getragen. TAGESSPIEGEL: Sind die Universitäten also dabei, ihr "Tafelsilber" auf kurz oder lang zu verkaufen? KOHLER: Wenn eine solche öffentliche "Subvention" auch volkswirtschaftlich oder realpolitisch sinnvoll sein mag, so ist sie doch hochschulpolitisch nicht unbedenklich.Denn die Ressourcen, die der Hochschule abgezogen worden sind, stehen nicht mehr ohne weiteres für die Forschung und Lehre im ursprünglichen Sinn zur Verfügung.Andererseits gibt die Auftragsforschung aber vor allem auch jungen Wissenschaftlern Gelegenheit zu anwendungsbezogener wissenschaftlicher Arbeit. TAGESSPIEGEL: Was können wir also im Hinblick auf eine auf Dauer für beide Seiten vorteilhafte Verbindung von Hochschulen und Industrie von den Amerikanern lernen? KOHLER: Was wir brauchen, ist eine effektive Technologietransfereinrichtung.Wir brauchen qualifiziertes Personal, das wir bei den gegebenen Finanzmitteln nur mit Mühe einstellen können.Außerdem benötigen wir mindestens soviel finanzielle Bewegungsmasse, daß die Universitäten Patentverfahren betreiben und sich mit geringen Eigenkapitalanteilen an den zu gründenden Unternehmen beteiligen können.Das setzt entweder eine Bereitstellung von Mitteln im bisherigen kameralistischen System voraus oder aber eine Globalisierung der Haushalte. TAGESSPIEGEL: Ein anderes Finanzierungssystem also? KOHLER: In den USA bekommen die staatlichen Universitäten ihr Geld - unabhängig von angeboteten Fächern - allein aufgrund der Studentenzahlen zugewiesen.Sie bekommen weitere Mittel aus Studiengebühren und von einer Gesellschaft, in der soviel Gemeinsinn und Wohlstand herrscht, daß die Hochschulen durch Einzelpersonen, Stiftungen und "Alumni", also ehemalige Schüler, finanziell ausgestattet werden.Damit wird "Markt" in die Hochschule gebracht und die "Produktentwicklung" von selbst Aufgabe jeder Hochschule, im wohlverstandenen Eigeninteresse.Man braucht deshalb in den USA offensichtlich überhaupt keine Wissenschaftsministerien.Das Produkt - also Forschung und Lehre und Technologietransfer - entwickelt sich von selbst. TAGESSPIEGEL: Meinen Sie, daß man auch in Deutschland auf viele der übergeordneten Strukturen verzichten könnte? KOHLER: Ja, nämlich dann, wenn man auch die hochschulinternen Strukturen im amerikanischen Stil umgestalten würde.

INTERVIEW VON THOMAS DE PADOVA.

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