zum Hauptinhalt

Gesundheit: „Man ermordet diese Hunde durch Schuss oder Gift“

Von Erwin Könnemann Berlin, den 24. Juni 1922, vormittags 11 Uhr 15: Walther Rathenau besteigt sein weinrotes Kabriolet, das ihn wie üblich vor seiner Grunewaldvilla erwartet.

Von Erwin Könnemann

Berlin, den 24. Juni 1922, vormittags 11 Uhr 15: Walther Rathenau besteigt sein weinrotes Kabriolet, das ihn wie üblich vor seiner Grunewaldvilla erwartet. In diesem Moment nähert sich in rascher Fahrt ein schwerer grauer Tourenwagen, an dem sich einige Männer zuvor eine Zeit lang zu schaffen gemacht haben. Straßenbauarbeiter geben später zu Protokoll, ihnen sei die nagelneue Lederbekleidung der Insassen aufgefallen, die nur das schmale Oval der bartlosen Gesichter freiließ. Als der graue Wagen das Kabriolet überholt, hebt einer der Männer eine Maschinenpistole. Mehrere Feuerstöße treffen Walther Rathenau tödlich. Zusätzlich wirft der andere noch eine Eierhandgranate auf den Sterbenden. Dann prescht der Tourenwagen davon. Der Minister wird als Toter in sein Haus getragen. Nach Bekanntwerden der ungeheuerlichen Bluttat verbreiten sich Abscheu und Empörung in allen Schichten der Bevölkerung.

Wer war der Ermordete? Es ist nicht leicht, ein Bild dieser faszinierenden, widersprüchlichen Persönlichkeit zu zeichnen. „Christus im Frack!“ nannte ihn die spitzzüngige feine Berliner Gesellschaft wegen seiner sozial-liberalen Theorien und seiner Kritik an gesellschaftlichen Zuständen.

Mittelpunkt exklusiver Gesellschaften

Der Präsident der AEG, des größten Elektrokonzerns in Europa, war ein erfolgreicher Großunternehmer, Mitglied in 87 Aufsichtsräten, Autor zahlreicher Bücher und Traktate, glänzender Mittelpunkt exklusiver Gesellschaften, ein universal gebildeter Geist, der sich über Kunst und Literatur, Politik und Wissenschaft in blendender Form zu äußern vermochte. Aus jüdischem Haus stammend – sein Onkel war der bedeutende Maler Max Liebermann – empfand er sich als „Bürger zweiter Klasse“. Durch einen Glaubenswechsel hätte er sich Benachteiligungen entziehen können, aber dann hätte er, wie er schreibt, dem „von der herrschenden Klasse begangenen Rechtsbruch Vorschub“ geleistet.

„Fremdling aus Judaan!“

Als Leiter der Kriegsrohstoffabteilung im Preußischen Kriegsministerium bewahrte er Deutschland im Kriege vor einem wirtschaftlichen Fiasko. Ins Fadenkreuz der so genannten vaterländischen Kräfte geriet er 1921, als er als Wirtschaftsminister im Kabinett Wirth dafür eintrat, bei der Erfüllung der drückenden Reparationsforderungen der Siegermächte guten Willen zu zeigen, um so eigentlich ihre Unerfüllbarkeit zu demonstrieren. Die nationalistische Presse verleumdete ihn als „Gerichtsvollzieher der Entente!“ und „Fremdling aus Judaan!“.

Allgemeine Zustimmung hingegen erfuhr der Reichsaußenminister Walther Rathenau, als er im April 1922 mit den Sowjets den Vertrag von Rapallo abschloss. Hinter ihm stand nicht nur die deutsche Großindustrie, sondern auch die Reichswehrführung. Sie beabsichtigte – streng geheim –, das russische Territorium in Verbindung mit der Roten Armee zur Erprobung von Junckers Ganzmetallflugzeugen, von Giftgasgranaten und Panzern zu nutzen.

Umso unverständlicher ist es, dass Angehörige eines militärischen Wehrverbandes, der der Reichswehr nahe stand, die berüchtigte Organisation Consul (OC), den Reichminister wenige Wochen nach Abschluss der Rapallovertrages ermordeten.

Die Seeoffiziere der OC, Heinrich Kern und Heinrich Fischer, wählten als Fahrer des Mordautos Ernst Werner Techow aus, weil seine Familie mit den Rathenaus bekannt war und er somit über die erforderliche Ortskenntnis verfügte. Vor Gericht erklärte Techow später zu den Motiven seiner Tat unter anderem, Rathenau sei einer der „300 Weisen von Zion und verfolge die Ziele des internationalen Judentums“. In den „vaterländischen“ Kreisen wurde damals ein gehässiges Lied gesungen, dessen letzte Zeile lautete: „Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau!“ Dieser bornierte Antisemitismus bildete den Nährboden, aus dem der Mord an Walther Rathenau erwuchs.

Die Kommunisten sollten, wie einer der OC-Chefs 1933 in einem Artikel „Ministermorde“ ausplauderte, zu einem Losschlagen provoziert werden, dem sich der Staatsapparat als nicht gewachsen erweisen würde, so dass er die alten Freikorps wieder unter die Waffen rufen müsste. Durch eine Kette gelungener Attentate sollte der Gegner „seiner Führer beraubt und der Funke ins Pulverfass“ gelenkt werden. Diese Provokationsstrategie der militantesten Kräfte der deutschen Konterrevolution zur Beseitigung der Weimarer Demokratie und für die Errichtung einer nationalen Diktatur, um „Deutschlands Größe“ wieder zu erlangen, funktionierte indes nicht.

Schusswechsel mit Polizei

Die Rathenaumörder Kern und Fischer, die sich eine Zeit noch in Berlin aufgehalten hatten, um sich von dem ausbrechenden Aufstand zu überzeugen, erlebten statt dessen die größten Massenkundgebungen, die Berlin je gesehen hatte. Danach irrten sie quer durch Deutschland und fanden Mitte Juli 1922 Zuflucht auf der Burg Saaleck. Dort entdeckte man sie, als sie unvorsichtig mit Licht hantierten. Bei einem Schusswechsel mit der herbeigerufenen Kriminalpolizei aus Halle wurde Kern getötet, worauf sich Fischer selbst erschoss.

Was hatte es mit der geheimnisumwitterten OC auf sich? Nach dem gescheiterten Kapp-Putsch musste Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt seine Marinebrigade auflösen. Um ihren inneren Zusammenhang zu wahren, schuf er den „Bund Wiking“, der etwa 5000 Mitglieder zählte, einen legalen Wehrverband, und aus Angehörigen der Offizierskompanie unter Befehl des Kapitänleutnants Manfred von Killinger einen elitären Geheimbund, die OC, die sich einem Netzwerk gleich über ganz Deutschland erstreckte.

Ihre Ziele hatte der badische Staatspräsident Trunk nach der Ermordung des Reichsfinanzministers Erzberger durch Offiziere der OC am 22. September 1921 im badischen Landtag enthüllt: „Verbreitung des nationalen Gedankens, Bekämpfung des Judentums, der antinationalen Weimarer Verfassung und Einsetzung einer nationalen Regierung.“ Und der sächsische Ministerpräsident Lipinski zitierte im Dezember 1922 aus den Satzungen der OC: „Es können Fälle eintreten, wo entschlossene Männer vorübergehend gebraucht werden, Rädelsführern und Hetzern für alle Zukunft ihr Handwerk unauffällig zu legen . . . ; man ermordet diese Hunde durch Schuss oder Gift, jedes Mittel ist recht.“

Die Justiz lehnte in mehreren Prozessen das Bestehen einer Mörderorganisation, die hinter den Anschlägen auf Erzberger, Scheidemann und Walther Rathenau stand, jedoch ab. Verurteilt wurden lediglich „Einzeltäter“, auf „Abwege geratene Söhne aus gutem Hause“, denen man „vaterländische Motive“ zubilligte.

Erst in dem Prozess gegen der Erzbergermörder Schulz und Tillessen 1947 wurde die Mordpraxis der OC aufgedeckt. Schulz gestand, dass er von seinem Vorgesetzten Manfred von Killinger einen Zettel bekommen habe, auf dem stand: „Gemäß der in der Leitung stattgefundenen Sitzung wurden Sie dazu bestimmt, den Reichsfinanzminister a.D. Erzberger zu beseitigen. Die Art der Ausführung bleibt Ihnen überlassen. Vollzugsmeldung ist nicht zu erstatten. Ihr könnt der Unterstützung des Ordens im Fall einer Entdecklung gewiss sein.“

Nicht viel anders wird bei der Ermordung Walther Rathenaus verfahren worden sein. Im Mai 1922 hatte die entscheidende Sitzung des inneren Rings der Leitung der OC in München stattgefunden; die Aktivisten erhielten ihren Auftrag und handelten dann selbstständig. Geld stand zur Verfügung; Gleichgesinnte beschafften die Maschinenpistole und den schweren Wagen.

„Zum Sieben war keine Zeit“

1963 leugnete der unbelehrbare „Consul“ Ehrhardt trotz aller Beweise noch die Existenz einer Mörderorganisation und rechtfertigte das Verhalten der Freikorpskämpfer, die den Feind „nicht nur im Kommunisten, sondern auch in den internationalen Persönlichkeiten, den Vaterlandslosen, Ehrgeizlingen, den Würdelosen und Verrätern sahen. Diese zu beseitigen, hielten sie für ihre vaterländische Pflicht. Sie bedurften hierzu keiner Mörderzentrale und keiner Befehle. Vielleicht traf es dabei auch mal einen Unrechten, zum Sieben war keine Zeit, und es lag auch diesen Freikorpsmännern nicht“.

Welche seiner Verleumdungen münzte Ehrhardt wohl auf Walther Rathenau? Kein Wort des Bedauerns für einen Mann, der noch Großes für Deutschland hätte bewirken können, keinerlei Einsicht, dass die aus der Nichtachtung des menschlichen Lebens und übersteigertem Nationalismus geborenen Mordtaten der 20er Jahre die Drachensaat war, die in furchtbarer Weise in der NS-Zeit aufging.

Der Autor: Erwin Könnemann ist emeritierter Historiker und befasst sich seit 40 Jahren mit der Geschichte militärischer Organisationen und politischer Morde in der Weimarer Zeit.

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false