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MEDIZIN Männer: Der Erfinder des Herzkatheters

WERNER FORSSMANN Neunzig Geburten in Berliner Hinterhofhäusern und Mietskasernen härten ab. Mit dem Praktikumsplatz an der Frauenklinik gehört der Student Werner Forßmann 1925 für drei Monate einer Art Geburtsfeuerwehr an.

WERNER FORSSMANN

Neunzig Geburten in Berliner Hinterhofhäusern und Mietskasernen härten ab. Mit dem Praktikumsplatz an der Frauenklinik gehört der Student Werner Forßmann 1925 für drei Monate einer Art Geburtsfeuerwehr an. Die hygienischen Bedingungen sind miserabel: Geboren wird beim Schein von Kerzen oder Petroleumlampen auf dem stabilsten Tisch der Wohnung. Oft muss Forßmann „hilfsbereite“ Nachbarinnen rauswerfen oder einen angetrunkenen Ehemann zur Raison bringen.

Er ist nicht zimperlich. Für die Dissertation macht er „Überfütterungsversuche“ an sich und Kommilitonen. Sein Doktorvater warnt ihn, dass junge Leute mit seinen Ideen meist im Zuchthaus endeten. Aber Forßmann weiß: Wer Karriere machen will, muss auf sich aufmerksam machen. Als der 25-Jährige auf dem akademischen Abstellgleis Eberswalde landet, kommt ihm die Idee mit dem Herzkatheter. Bei Pferden, liest er, hat es funktioniert, warum also nicht auch beim Menschen? An einem Frühsommertag schiebt sich Forßmann 30 Zentimeter Gummischlauch in die linke Ellenbeugenvene, schleicht sich in die Röntgenabteilung, schiebt dort weitere 30 Zentimeter nach und macht ein Röntgenbild. Darauf ist die Katheterspitze im rechten Vorhof seines Herzens zu sehen. Herzeingriffe gelten den Ärzten jener Zeit als Tabu. Umso erstaunlicher ist es, dass sein Aufsatz in der „Klinischen Wochenschrift“ die Kollegen kalt lässt. Eine Sensation wittert nur die Berliner Boulevardpresse, was Ferdinand Sauerbruch, den Chef des an die Charité versetzten Forßmann, so sehr erzürnt, dass er ihn hinauswirft: „Mit solchen Kunststücken habilitiert man sich in einem Zirkus und nicht an einer anständigen deutschen Klinik.“ Vielleicht genau deshalb wird daraus eine Heldenerzählung, an deren Ende die Nobelpreisverleihung 1956 steht.

Im Jahr 1933 folgt das NSDAP-Mitglied Forßmann dem „nichtarischen“ Oberarzt Unger am Virchow-Klinikum nach. Als die Landesanstalt Brandenburg-Görden, eine Tötungsanstalt für behinderte Kinder, teilweise zum Lazarett umfunktioniert wird, arbeitet Forßmann dort. Das Angebot des Leiters Hans Heinze, ihm ausreichend Patienten für eine Habilitation zur Herzkatheterisierung zur Verfügung zu stellen, lehnt er ab, was er mit Stolz in seinen Memoiren erwähnt. Nach drei Jahren Berufsverbot wird Forßmann in den fünfziger Jahren schrittweise rehabilitiert, weil man den medizinischen Nutzen der Katheterisierung erkannt hat. Ob der für ihn je eine Rolle spielte oder ihn nur großer Geltungsdrang trieb, ist umstritten. Forßmann zeigte, dass man den Schlauch im Herzen überlebt – nicht mehr und nicht weniger. 1979 starb er an einem Herzinfarkt.

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