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MEDIZIN Männer: Geld ist die beste Medizin

LEONHARD THURNEYSSER Der aufopferungsvolle Arzt, nur dem hippokratischen Eid und den Patienten, nicht dem schnöden Mammon verpflichtet – das ist eine gut verkäufliche Vorabendserienfantasie. Denn Medizin war schon immer auch Geschäft.

LEONHARD THURNEYSSER

Der aufopferungsvolle Arzt, nur dem hippokratischen Eid und den Patienten, nicht dem schnöden Mammon verpflichtet – das ist eine gut verkäufliche Vorabendserienfantasie. Denn Medizin war schon immer auch Geschäft. So gespannt das Verhältnis Arzt und Geld ist, so gespalten sind auch die Historiker bei Leonhard Thurneysser: Scharlatan oder Gelehrter? Zweifellos war er einer der Geschäftstüchtigsten der Branche, mit großem Interesse für alles, was glänzt. 1531 in Basel geboren, wird er zunächst Goldschmied. Mit 17 verheiratet und hoch verschuldet, verlässt er eines Nachts heimlich die Stadt und bricht in ein sehr globalisiertes Leben als Business-Nomade auf: Russland, Straßburg, Tirol, England, Schottland, Spanien, Portugal, Ägypten, Kleinasien, Griechenland, Italien und Ungarn – in zweieinhalb Jahrzehnten. Er arbeitet als Soldat, Wappenstecher und in Schmelzhütten. Dabei sammelt Thurneysser ein enormes Wissen in der Astronomie, Chemie, Metallurgie und der Medizin. Mit der Aufsicht über die Tiroler Bergwerke gelingt ihm auch der soziale Aufstieg an den österreichischen Hof. Es hält ihn auch dort nicht lange: In Frankfurt (Oder) schreibt er ein Buch über das Wasser: „Dis Wasser der Spree ist etwas grünferbig und lauter. Es fuehret in seinem Schlich Gold und ein schönes Glasur.“ Gold in der Spree? Das macht den Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg hellhörig. Als Thurneysser auch noch dessen Gattin kuriert, wird er zum Leibarzt gemacht, zieht 1576 in das ehemalige Franziskanerkloster – das Graue Kloster – und legt dort Garten, Zoo, Labor, Bibliothek und eine Druckerei an. Er will sich als Medizingelehrter einen Namen machen, ist fasziniert von Paracelsus, der eine neue Medizin aus Philosophie, Astrologie, Alchemie und ärztlicher Tugend gründen will. Thurneysser schreibt also ähnlich wirre Texte und gelangt durch zweifelhafte Heilungen in den Ruf, ein Wunderdoktor zu sein. Mit dem jungen Universitätsfach Medizin hat er wenig am Hut. Er produziert Arzneimittel, Kosmetika und Talismane, bietet Ferndiagnosen mittels Urinuntersuchung an, seine astrologischen Kalender werden Exportschlager. 200 Mitarbeiter sollen in diesem ersten kapitalistischen Unternehmen Berlins arbeiten. Die Geschäfte mit den Gutgläubigen und Neid setzten Thurneysser alsbald so heftiger Kritik der Ärzteschaft aus, dass er Berlin verlassen muss. Dass er sich in vielen Schriften als scharfsinniger Naturbeobachter zeigt und das erste Naturalienkabinett im Land einrichtet, gerät in Vergessenheit. Sein Fall vollzieht sich so kometenhaft wie sein Aufstieg: In Basel zerbricht Thurneyssers dritte Ehe. Sein gesamter Besitz wird beschlagnahmt und der Ex-Frau zugesprochen. Um das Jahr 1595 stirbt er verarmt in einem Kloster bei Köln.

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