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Gesundheit: München verleiht dem Kulturhistoriker die mit 20 000 Mark dotierte Auszeichnung

Die Zeit zu fragen endet nicht. Der Kulturhistoriker Peter Gay stellt Fragen: "Ist es denkbar, dass das Verhältnis zwischen Deutschen und Juden eine normale Form annehmen wird?

Die Zeit zu fragen endet nicht. Der Kulturhistoriker Peter Gay stellt Fragen: "Ist es denkbar, dass das Verhältnis zwischen Deutschen und Juden eine normale Form annehmen wird?" Gay, dessen Buch "Meine deutsche Frage - Jugend in Berlin 1933- 1939" am Montag mit dem Geschwister-Scholl-Preis 1999 der Stadt München ausgezeichnet wurde, wies in seiner Dankrede in der Münchner Universität darauf hin, dass es trotz aller Forschungen und Veröffentlichungen zum Holocaust immer noch zu wenige zuverlässige Studien über das Leben der Juden in der Nazizeit gebe, ob in Deutschland oder im Exil. Der renommierte jüdische Historiker Gay, der 1923 als Peter Fröhlich in Berlin geboren wurde und 1939 in letzter Minute mit seiner Familie emigrieren konnte, erzählt in seinem Erinnerungsbuch uneitel und unprätentiös die Geschichte seiner Jugend im Deutschland der Jahre 1933-1939. Er reflektiert mit historisch und psychoanalytisch geschärftem Sinn, mit erfrischender und auch erschreckender Offenheit seinen Alltag, seine zwiespältigen Gefühle Deutschland gegenüber, seinen Hass und die "Vergiftung", die ein Leben lang nachwirkt. Behutsam tut er die ersten Schritte zur Versöhnung. Mit dem Blick auf Freundschaften zu Deutschen, auf Emil Busse, der Gays Vater vor den Nazis versteckte und dem das Buch gewidmet ist, distanziert er sich von der Formulierung, dass nur ein toter Deutscher ein guter Deutscher sei.

Sein Buch schont niemanden, weder den Autor selbst in der Analyse der schmerzlichen Erinnerungen noch die Leser. Peter Gay bedankte sich: "Deutsche Institutionen und eine deutsche Jury sind bereit gewesen, ein Buch mit dem Geschwister-Scholl-Preis auszuzeichnen, das mit Deutschland keineswegs unkritisch umgeht." In die Aussprache des Historikers, der unter anderem eine Biographie über Sigmund Freud und eine fünfbändige Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts veröffentlichte, hat sich längst das amerikanische R eingeschlichen. Über die persönliche Erinnerung hinaus will Gay die historische Naivität aufklären, die sich hinter den Fragen verbirgt, warum die Juden nicht bereits zu Hitlers Machtergreifung ihre Koffer gepackt hätten, warum sie "wie die Lämmer ins Schlachthaus gegangen" seien. Die Laudatio hielt Karl Dietrich Bracher, der die "überzeugend ressentimentfreie Art, mit der Gay nach diesem Schicksal über seine Geschichte und Entwicklung berichtet", hervorhob. Die Familiengeschichte seiner Frau Dorothee Bracher - sie war die Tochter von Rüdiger Schleicher, dessen Frau eine Bonhoeffer war - und die Freundschaft zu den Brachers ermöglichten es Peter Gay, sich seinen Erinnerungen anzunähern und dieses Buch zu schreiben. Mit dem Geschwister-Scholl-Preis 1999 wird ein Werk ausgezeichnet, das, so die Begründung der Jury, "auf exemplarische Weise die Beschreibung eines jüdischen Einzelschicksals mit der Analyse einer Epoche verbindet".

Der Geschwister-Scholl-Preis ist mit 20 000 Mark dotiert und wird von der Stadt München und dem Verband Bayerischer Verlage und Buchhandlungen vergeben. Er zeichnet Bücher aus, die von geistiger Unabhängigkeit zeugen und geeignet sind, dem Vergangenheits- und Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse zu geben. Oberbürgermeister Christian Ude sagte, dass sich "München als einstige Hauptstadt der Bewegung ihrer Vergangenheit stellt und keinem Schlussstrich entgegen lechzt". Der Vorsitzende des Verbandes Bayerischer Verlage und Buchhandlungen, Christoph Wild, mahnte dazu, "mit der Vergangenheit, ihren bleibenden Folgen und der schmerzlichen Erinnerung daran sensibel und verantwortlich umzugehen". Dies schließe auch Entschädigungsleistungen für die Sklaven- und Zwangsarbeit ein, die endlich, nach rund 60 Jahren, in ihrer Höhe nicht als Hohn empfunden werden dürfen, so Wild. Im Vorjahr wurde das Buch "Das Dritte Reich und die Juden - Die Jahre der Verfolgung 1933 -1939" des in Jerusalem lebenden Historikers Saul Friedländer mit der Auszeichnung bedacht.

Doris Dangschat

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