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Gesundheit: Multiple Sklerose: Stammzellforschung ist reine Nervensache

"Nicht ob, sondern wie ist jetzt die Frage", sagt Klaus Toyka, Direktor der Klinik für Neurologie der Universität Würzburg, auf die Frage, ob Forschung mit importierten embryonalen Stammzellen auch hier möglich sein sollte. Die Wissenschaftler brauchten dafür Rechtssicherheit und klare Regeln.

"Nicht ob, sondern wie ist jetzt die Frage", sagt Klaus Toyka, Direktor der Klinik für Neurologie der Universität Würzburg, auf die Frage, ob Forschung mit importierten embryonalen Stammzellen auch hier möglich sein sollte. Die Wissenschaftler brauchten dafür Rechtssicherheit und klare Regeln. Toyka, der auch Vorsitzender des Ärztlichen Beirats der Deutschen Multiple-Sklerose-Gesellschaft ist, warnt jedoch vor der Hoffnung auf schnelle Erfolge, gerade im Hinblick auf diese Krankheit.

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine Erkrankung des Nervensystems, die meist im frühen Erwachsenenalter beginnt. Entzündungen der Isolierschicht, die die Nervenfasern wie eine Schutzhülle umkleidet, führen dazu, dass Signale nicht mehr voll übertragen werden. Man nimmt an, dass die Ursache eine Fehlprogrammierung von Teilen des körpereigenen Abwehrsystems ist. Die Therapie, die in den letzten Jahren beachtliche Fortschritte gemacht hat, besteht vor allem in Entzündungshemmung und Dämpfung der Immunreaktion. Die Schäden an der Isolierschicht (Myelin) aus Bindegewebszellen zu reparieren, ist jedoch noch nicht gelungen.

Hoffnungsvolle Ansätze

Aufsehen erregte deshalb im Mai 2000 die Nachricht, amerikanischen Forscher hätten Myelin im Reagenzglas erzeugt und in Mäusehirne verpflanzt. Sie hatten zuvor aus embryonalen Stammzellen Isolierzellen hergestellt. Als sie in der Kulturschale mit Nervenfaserzellen zusammengebracht wurden, woben sie um diese Fasern neue Hüllen.

Dem Bonner Neuropathologen und Stammzellforscher Oliver Brüstle und seiner Arbeitsgruppe war es schon im Jahr zuvor gelungen, aus embryonalen Stammzellen der Maus im Labor Vorläuferzellen herzustellen, die zu spezialisierten Zellen (Oligodendrocyten) ausreifen und defekte Nervenhüllen reparieren konnten, nachdem sie in Gehirn und Rückenmark von Ratten transplantiert worden waren, die unter genetisch bedingtem Myelin-Mangel litten. Die Neuropathologen hoffen nun, embryonale Stammzellen eines Tages auch bei Patienten mit Multipler Sklerose einsetzen zu können.

Den "proof of principle" dafür, dass es mit embryonalen Stammzellen gelingen kann, defekte Nervenhüllen zu reparieren, haben Brüstle und seine Kollegen mit ihren Arbeiten erbracht, wie Gerd Kempermann vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch sagt. "Rein wissenschaftlich ist deshalb gut nachvollziehbar, was sie jetzt vorhaben", betont der Leiter der Forschungsgruppe Neuronale Stammzellen.

Der Nachwuchsforscher, der 1999 mit dem Heinz-Maier-Leibnitz-Preis der deutschen Forschungsgemeinschaft bedacht wurde, beschäftigt sich mit der Neubildung von Nervenzellen. Ihn interessiert allerdings, was direkt vor Ort geschieht, im Gehirn von Maus und Mensch. Denn unter bestimmten Bedingungen können aus Vorläuferzellen, die auch im erwachsenen Gehirn vorhanden sind (adulte Stammzellen), dort neue Nervenzellen entstehen. Eine Störung dieser Neubildung spielt möglicherweise bei Krankheiten wie Parkinson und erblichem Veitstanz (Chorea Huntington) eine Rolle.

Umgekehrt hat Kempermann vor einigen Jahren beweisen können, dass Mäuse, die sich in anregender Umgebung reichlich bewegen, mehr Nachschub an Nervenzellen haben, die für ihr Gedächtnis wichtig sind. Obwohl es nicht "sein" Gebiet ist, hält Kempermann auch den Vergleich von embryonalen und adulten Stammzellen für wichtig. Unklar sei jedoch, welche Untersuchungen unbedingt an Zelllinien von menschlichen Embryonen gemacht werden müssen: "Ich glaube, das Modell Maus ist hier noch nicht ausgereizt."

Noch sind die Erfolge ohnehin auf Reagenzglas und Tierversuche beschränkt. Toyka erwartet Erfolge der Stammzell-Therapie zunächst eher bei neurologischen Krankheiten wie Parkinson oder Alzheimer, denen Stoffwechseldefekte zugrunde liegen, oder bei Morbus Huntington (Veitstanz). Bei der MS liegt der Fall komplizierter: Den schönen neuen Oligodendrozyten, die aus Stammzellen gewonnen wurden, könnte das gleiche Schicksal drohen wie ihren zerstörten Vorgängern, wenn der Mechanismus nicht beseitigt ist, der zu deren Schädigung führte.

Dazu kommen andere medizinische Bedenken: So könnten häufige Zellteilung und starke Vermehrung von Zellen, die für die Regeneration des Nervengewebes günstig sind, andererseits die Bildung von Tumoren begünstigen. "Eine Behandlung der Multiplen Sklerose ist allenfalls das Fernziel dieser Forschungen." Toyka fügt jedoch hinzu: "Auch die Nahziele sind in diesem Pionierbereich bedeutend."

Adelheid Müller-Lissner

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