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Gesundheit: Neues aus dem Speckgürtel

Vor zwei Jahren hat unser Autor ein Männergesundheitszentrum besucht – und war glatt durchgefallen. Jetzt hat er sich wieder überprüfen lassen.

„Schau’ dich doch bitte mal im Spiegel an – hast du in der letzten Zeit eigentlich gesehen, wie du aussiehst?“ Meine Frau ist in echter Sorge. Keine Ausflüchte mehr möglich, ich stehe mit dem Rücken zur Wand. „Du wirst umkippen! Bald ist es soweit. Geh’ zum Arzt.“ Gut. Wer sieht mit fast Mitte fünfzig morgens schon aus wie frisch geschlüpft? Aber irgendwie kann ich meiner Frau folgen. Das Gesicht ist etwas teigig geworden, der Kopf lässt sich nicht mehr so richtig drehen. Und, ebenso unschön: Mit der Gewichtszunahme der vergangenen Monate ist ein unverkennbarer Trend zum Männerbusen zu beobachten. Ich bin mir optisch etwas fremd geworden.

Zweieinhalb Jahre ist es her, seit ich meinen Körper im Männergesundheitszentrum in der Friedrichstraße vorgestellt hatte, um dort einen neuen Gesundheits-Tüv zu bekommen. Damals war ich glatt durchgefallen. Zu viele Mängel, so der Befund. Wiedervorstellung in zwei Jahren – kurzfristige Mängelbeseitigung nicht möglich. In der Sprache der Ärzte wurde mein Leben vom metabolischen Syndrom bedroht, das auch als „tödliches Quartett“ bezeichnet wird: Fettleibigkeit, Bluthochdruck, Zucker und ein gestörtes Verhältnis zum Stoffwechsel. Bewusst war mir das nicht. Allein meine Asthmaerkrankung war mir bekannt. „Wir wissen nicht wann, aber wir wissen, dass!“, hatten Internist und Urologe mir im abschließenden Gespräch mahnend mitgeteilt. Ich empfand das als schlimme Ankündigung. Zwar nicht die meines zu erwartenden Todes, aber Schlaganfall oder Herzinfarkt schienen doch mittelfristig absehbar. Aber ich könne mir das keineswegs aussuchen, hatten die beiden Ärzte noch lächelnd hinzu gesetzt. Es sei denn, ich käme langsam in Bewegung.

Herz-Kreislauferkrankungen sind die Todesursache Nummer eins. Gut vierzig Prozent der Bevölkerung sterben daran. Besonders bedenklich: Übergewicht ist in der EU die häufigste gesundheitliche Störung im Kindesalter; es gibt nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie 15 Millionen adipöse Kinder – Herzpatienten von morgen. Bei den Erwachsenen, insbesondere bei Männern, sieht es nicht viel besser aus. Bei Adipositas ist im Vergleich zu 1998 ein deutlicher Anstieg zu beobachten (von 18,9 auf 23,3 Prozent). Bei Frauen ist der Anteil nur leicht gestiegen (von 22,5 auf 23,9 Prozent). „Besorgniserregend ist, dass sich die Gruppe der Adipösen insbesondere im jungen Erwachsenenalter weiter vergrößert hat“, sagt Bärbel-Maria Kurth zu den Zahlen der jüngsten Erwachsenen-Gesundheitsanalyse des Robert- Koch-Instituts, wo sie die Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung leitet. Die Daten für die Studie wurden von November 2008 bis Januar 2012 erhoben. Zuletzt war ein solcher Überblick Ende der neunziger Jahre erstellt worden.

Einer anderen Umfrage zufolge, die im Auftrag der (privaten) Deutschen Krankenversicherung durchgeführt wurde, lebt nur jeder zehnte Bundesbürger rundum gesund. Die größten Sünden begehen die Deutschen laut der Analyse der Sporthochschule Köln bei Bewegung, Ernährung und im Umgang mit Stress. Fast die Hälfte der Befragten (46 Prozent) schafft nach Selbsteinschätzung nicht einmal die Mindestempfehlung von 150 Minuten moderater körperlicher Aktivität pro Woche. Die größten Bewegungsmuffel sind dabei die 18- bis 29-Jährigen, am gesündesten leben Senioren.

Außen hart und innen ganz weich: Männer unterscheiden sich nicht nur in anatomischer Hinsicht von Frauen. Männer und Frauen ticken manchmal so unterschiedlich, dass es in Berlin schon getrennte Gesundheitszentren für sie gibt. Nicht nur im Männergesundheitszentrum in der Friedrichstraße (MGZ) ist alles auf Körper und Seelen von Männern ausgerichtet; auch im Vivantes-Klinikum Spandau hat sich inzwischen ein Schwerpunkt Männergesundheit herausgebildet. Die Berliner Charité hat 2003 für die Geschlechterforschung in der Medizin (Gender) sogar ein eigenes Institut eingerichtet. Zu den ersten Erkenntnissen gehört, dass wabbelige Männerbäuche wahrscheinlich gefährlicher sind als weibliche Speckröllchen. Der gerade erst vermutlich an Herzversagen verstorbene Dirk Bach ist ein prominentes Beispiel.

Häufig werden Männer beim Arzt von Frau oder Freundin angemeldet. So weit ist es bei mir noch nicht gekommen. Aber der Druck wuchs, ich musste wieder etwas tun. Dringend. Vor zwei Jahren hatte ich mit dem Joggen begonnen und einige Erfolge erzielt: Ich konnte drei Kilometer wieder laufend ohne Atempause bewältigen. Das Wohlbefinden hatte sich verbessert; ich hatte auch ohne Beschwernisse abgenommen. Doch diese Aktivitäten waren im Winter wieder eingeschlafen. Der dann im Frühjahr bewusst in Eigenregie bewältigte Umzug in den Speckgürtel der Hauptstadt hatte meine Hüftringe nicht wirklich deutlich reduziert. Der neue Grill war keine gute Idee.

Was also tun? In meinem Tagesablauf konnte nur eine kalorienarme Morgenstund’ weiterhelfen. Frühstück fällt heute flach, auch wenn alle sagen, dass das ungesund ist. Stattdessen habe ich mir einen kleinen Triathlon zugelegt, der jeden Tag um sechs Uhr beginnt. Seit einigen Wochen setze ich das vier oder fünf Tage die Woche in die Tat um: mit dem Mountainbike fahre ich 15 Minuten bis zum nahe gelegenen Waldsee, laufe 15 Minuten im Wald, schwimme 15 Minuten im See, radele 15 Minuten zurück und dusche – keine 15 Minuten. Nach zehn Tagen hatte der innere Schweinehund aufgegeben, alles läuft nun wie von selbst. Wunderbar lässt sich das bevorstehende Tagesprogramm im Kopf ordnen. Das Wohlbefinden nimmt seitdem zu, der Körper ab. Ein Abendessen gibt es in deutlich abgespeckter Form. In doppelter Hinsicht.

So vorbereitet meldete ich mich kürzlich beim Männergesundheitszentrum zur Nachbetrachtung an. Das Programm – Kosten zwischen 900 und 1000 Euro – umfasst neben Belastungs-EKG und Lungenfunktionstest vor allem die Ultraschalluntersuchungen der wichtigsten Organe sowie Laboruntersuchungen von Blut und Urin. „Ihr Herz sah vor zwei Jahren schon etwas krass aus“, sagte Internist Michael Mocny. Jetzt sei ich auf dem richtigen Wege. Aber: „Es dauert noch ein bis zwei Jahre, bis Ihr Herz wieder im Normalzustand ist. Und die Weite Ihrer Bronchien ist nach wie vor grenzwertig. Der Blutdruck ist noch leicht zu hoch. Ich drohe Ihnen mit der Pille!“ Die will ich aber nicht nehmen, sondern lieber noch etwas länger laufen. Ansonsten sind meine Werte aus Sicht des Internisten wieder normal. Die Fettleber ist weg, der Stoffwechsel funktioniert. Ich atme auf. Nun warte ich auf die Befunde des Urologen Lothar Weißbach. Mein Sitznachbar, Mitte 50, erzählt, dass er einen Herzinfarkt überlebt habe: „Das haben die hier entdeckt.“ Seine Frau hatte ihn ins MGZ geschickt, weil er in den vergangenen zwei Jahren drei Mal bewusstlos umgekippt war. „Darunter war dann wohl der Herzinfarkt“, erzählte er. Sein EKG sei aber völlig normal, der Infarkt war nur im Ultraschall zu erkennen gewesen. Bis zu vierzig Prozent der Herzinfarkte verlaufen stumm.

„In urologischer Hinsicht sind Sie für mich völlig uninteressant“, sagte Facharzt Weißbach in der Abschlussbesprechung zu den Ergebnissen. Meinen morgendlichen Triathlon solle ich mal schön fortsetzen. Aber das dürfte schwierig werden. So malerisch der See jetzt morgens in der Dämmerung dampft: Ohne Neoprenanzug und Schlittschuhe wird sich dieses Programm nur noch einige Tage durchhalten lassen.

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