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Gesundheit: Nobelpreis: Ausgezeichnete Einzelgänger - Forscherteams ohne Chance

Alle Jahre wieder wird in Stockholm die Pforte zum Firmament der Forschung einen Spalt weit geöffnet. Andächtig vernimmt die Öffentlichkeit die Namen der gekrönten Häupter, die der Menschheit neue Heilmethoden, nützliche Gerätschaften und zukunftsweisende Erkenntnisse gebracht haben.

Alle Jahre wieder wird in Stockholm die Pforte zum Firmament der Forschung einen Spalt weit geöffnet. Andächtig vernimmt die Öffentlichkeit die Namen der gekrönten Häupter, die der Menschheit neue Heilmethoden, nützliche Gerätschaften und zukunftsweisende Erkenntnisse gebracht haben. Und auch wenn nach dem nächsten Bundesliga-Spiel kaum noch jemand von den Nobelpreisträgern spricht, beruhigt die Gewissheit, dass immer irgendwo irgendwer eifrig forscht, weil die Tüchtigsten so herausragend ausgezeichnet werden.

Doch der Schein von der heilen Welt der Wissenschaft trügt. Die Aufgabe des Nobelpreiskomitees, in jedem Fachgebiet maximal drei Wissenschaftler von herausragender Bedeutung für das Wohl der Menschheit auszuzeichnen, ist unlösbar geworden. Durch die fortschreitende Spezialisierung der Wissenschaften behält auch in Stockholm keiner mehr den Überblick über ein ganzes Gebiet. Entscheidend ist der Einfluss der wissenschaftlichen Organisationen, die die Vorschläge für die Preisträger machen.

Da es auch um das Prestige von Nationen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen geht, wird hinter den Kulissen mit allen Mitteln gerungen - ohne die Lobby nationaler Wissenschaftsorganisationen hat auch der beste Forscher keine Chance. Das führt besonders dann zu Konflikten, wenn an einer Arbeit mehrere Wissenschaftler beteiligt sind: Da der Nobelpreis höchstens durch drei geteilt werden darf, gehen bei größeren Forscherteams diejenigen leer aus, für die kein Proporz geltend gemacht wird.

Zugleich wird Teamarbeit in der Wissenschaft immer wichtiger. Wilhelm C. Röntgen, der 1901 den ersten Nobelpreis für Physik erhielt, hat seine berühmte Arbeit "Über eine neue Art von Strahlen" noch alleine geschrieben - damals gab es in ganz Deutschland noch weniger als 250 und weltweit ganze 1000 Physiker. Heute arbeiten, etwa an Elementarteilchen-Beschleunigern und in der Medikamentenentwicklung, nicht selten über tausend Wissenschaftler an einem Projekt. Kritiker fordern daher eine Änderung der Nobelpreis-Statuten, damit auch Teamarbeiten belohnt werden können.

Je mehr Wissenschaftler an einem Ergebnis beteiligt sind, desto schwieriger ist jedoch die in Alfred Nobels Vermächtnis geforderte Beurteilung des Einzelbeitrages. Gerade im Fachgebiet Medizin ist die Grenze zwischen Science und Fiction kaum zu ziehen. Als Cesar Milstein und Georges Köhler 1975 eine Methode entwickelten, um "monoklonale Antikörper" herzustellen, war ihnen sofort der Nobelpreis gewiss. Da Antikörper an der Immunabwehr gegen Krankheitserreger und Tumorzellen beteiligt sind, so hoffte man, würden Infektionskrankheiten und Krebs bald heilbar sein. Nachdem Milstein und Köhler 1984 den Nobelpreis für Medizin erhalten hatten, liefen die ersten Therapieversuche am Menschen - mit niederschmetterndem Ergebnis: Die in Mäusen hergestellten Antikörper wurden vom Immunsystem als "fremd" abgestoßen.

Anfang der 90er-Jahre war die Idee, Krebs durch künstliche Antikörper zu heilen, praktisch tot - bis andere Wissenschaftler Methoden ersannen, monoklonale Antikörper ohne Maus-Eigenschaften herzustellen: Mit genetisch veränderten Mäusen und anderen raffinierten Tricks standen auf einmal gleich mehrere Methoden zur Verfügung, menschen-identische Antikörper in großer Menge künstlich herzustellen. Basierend auf diesen Verfahren werden im kommenden Jahr voraussichtlich zum ersten Mal Antikörper als Medikament zugelassen, die an Krebszellen binden und diese durch angekoppelte Gifte oder radioaktive Substanzen abtöten. Die mehr als hundertköpfigen Wissenschaftler-Teams der beteiligten Biotech- und Pharmafirmen haben jedoch kaum Aussicht auf einen Nobelpreis - der wurde bereits siebzehn Jahre vorher vergeben.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Halle.

Alexander S. Kekulé

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