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Gesundheit: Ohne jeden Widerstand

In den USA nehmen Ingenieure einen neuen Anlauf, die Stromnetze mit supraleitenden Kabeln zu verbessern

In Detroit dauerte die Zukunft der Stromversorgung genau zwei Winter lang. Im vergangenen Jahr war sie dann zu Ende. Damals holten, still und ohne großes Aufheben zu machen, die Techniker des Kabelherstellers Pirelli das letzte von drei supraleitenden Kabeln wieder aus der Erde. 120 Meter lang war das Technologiewunder, über das im Stadtteil Frisbie 30000 Menschen mit Strom hätten versorgt werden sollen.

Dazu war es allerdings nie gekommen. Um zu funktionieren, hätte ähnlich wie bei der Thermoskanne im Kabelmantel ein Vakuum herrschen müssen. Doch das Pumpsystem spielte nicht mit, es zeigte unerwartete Lecks. Die „Supraleiterrevolution“, die das Fachblatt „New Scientist“ zum Projektstart verkündet hatte, war damit nicht nur gescheitert. Weil die Kabel nie wirklich in Betrieb gingen, hatte sie nie stattgefunden.

Es ist ein alter Traum: Schon vor über 90 Jahren entdeckte der Holländer Kamerlingh Onnes, dass einige Materialien bei lausig kalten Temperaturen nahe am absoluten Nullpunkt von minus 273 Grad Celsius den elektrischen Strom ohne jegliche Verluste leiten. Vor 18 Jahren folgten die IBM-Forscher Klaus Bednorz und Alex Müller mit der Entdeckung der Hochtemperatursupraleiter. Diese funktionieren bereits bei minus 200 Grad. Bei dieser Temperatur kann vergleichsweise billiger flüssiger Stickstoff als Kühlung dienen.

Seither suchen die Ingenieure eifrig nach Anwendungen für die Wundermaterialien. Sie bauen die Elemente erfolgreich in Medizingeräte, Telefonverteiler und Magnetmessgeräte ein.

Doch die Anwendung, die eigentlich auf der Hand liegt, schafften sie bisher nicht: Einfache Stromleitungen sind noch immer auf der ganzen Welt aus Kupfer. Obwohl in ihnen wegen des elektrischen Widerstands auf dem Weg zum Verbraucher sieben bis neun Prozent der Energie als Wärme verloren gehen.

Trotz des öffentlichen Misserfolgs will es die Branche nun aber noch einmal probieren. Immerhin hat es auch schon einmal geklappt: Im Kopenhagener Distrikt Amager tat für kurze Zeit ein 30 Meter langes Suprakabel seinen Dienst. Dort hatte der dänische Hersteller NKT-Cables 50000 Menschen an die supraleitende Stromader angeschlossen. Wie in Detroit bestand auch das dänische Kabel aus einem Cuprat, das als Verbindung aus Wismut, Strontium, Calcium, Kupfer und Sauerstoff die Eigenschaften einer Keramik aufweist.

„Unser Kabel hat immer funktioniert“, sagt Chresten Traeholt, Wissenschaftler bei NKT heute stolz. Allerdings ist auch Dänemark inzwischen wieder ohne Suprakabel. Nach dem Test wurden die Kabelschächte anderweitig gebraucht.

Im kommenden Jahr sollen nun gleich drei Großprojekte an den Start gehen, alle drei in den USA. Neben NKT sind als Kabelhersteller auch die französische Firma Nexans und der japanische Produzent Sumitomo im Rennen.

Das größte der drei Vorhaben betrifft die Insel Long Island vor der Küste New Yorks. Dort sollen 600 Meter Power-Kabel in das existierende Netz integriert werden. 300000 Menschen, so der Plan, werden dann jeden Tag am Supraleiter hängen, die drei- bis fünffache Strommenge als bei herkömmlichen Kabeln soll fließen. Und die anderen zwei Suprakabel werden in Albany (US-Staat New York) und Bixby (Oklahoma) in Betrieb gehen.

Dass die Demonstrationen in den USA stattfinden, hat einen Grund: Das Netz in den Bundesstaaten gilt als besonders marode. Die Marktforscher des Edison Electric Institute schätzten jüngst, dass allein in den nächsten zehn Jahren etwa 56 Milliarden Dollar nötig sind, um die Stromversorgung aufrechtzuerhalten und auszubauen. An diesem Kuchen wollen die Hersteller gerne mitverdienen.

Auch Japan, dessen Metropole Tokio mit zehn Gigawattstunden pro Jahr den zehnfachen Energieverbrauch Berlins aufweist, muss die Netze der Ballungsräume ausbauen. Hier könnten die Suprakabel ihren großen Vorteil ausspielen. Durch die alten Kabelschächte können sie mehr Strom transportieren und dabei noch Energie sparen. 40 Prozent weniger Verlust seien drin, schätzen die Ingenieure von NKT.

Noch mehr als gegen die Schwierigkeiten der Technik kämpfen die Ingenieure allerdings zurzeit gegen den Preis der Supraleitung. „Wir könnten heute schon ein funktionierendes Kabel liefern, wenn es sich jemand leisten möchte", sagt Treaholt schmunzelnd. Fakt aber ist: Zurzeit sind die Suprakabel einfach noch zu teuer. Sie müssten mindestens zehnmal billiger werden, um mit anderen Kabeln konkurrieren zu können.

Ihre Hoffnungen setzen die Ingenieure daher auf den Einsatz neuer Materialien in Suprakabeln. „In Massenproduktion wird ein Yttrium-Barium-Kuprat-Supraleiter sogar noch billiger als Kupfer werden“, verspricht Traeholt. Haben die Suprakabel dann auch großtechnisch eine Chance?

Carsten Matheus, Energieforscher an der Universität Aachen, ist zuversichtlich. Er hat in den letzten Jahren die Möglichkeit eines Netzausbaus mit Suprakabeln bis ins kleinste Detail durchgerechnet. „2020 werden die Kosten für ein städtisches Stromnetz aus Supraleitern vergleichbar mit einem normalen Netz sein“, prophezeit er, womöglich sogar etwas billiger.

Bis dahin dürfte dann auch die Technik ihre Störanfälligkeit verloren haben. Im Misserfolg in Detroit sieht Matheus deshalb sogar ein gutes Omen. Schließlich hat auch das erste Transatlantikkabel, das Europa und Amerika elektrisch verbinden sollte, vor über 100 Jahren auch nicht funktioniert. Einige Jahre später legte man dann neue Kabel daneben. Sie wurden Schlagadern der modernen Welt.

Tobias Beck

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