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Gesundheit: Opfer des DDR-Regimes: Nicht vergessen können

"Ich höre hier zum ersten Mal, dass auch andere Opfer des DDR-Regimes Schuld- und Schamgefühle haben. Weil sie sich nicht gewehrt haben?

"Ich höre hier zum ersten Mal, dass auch andere Opfer des DDR-Regimes Schuld- und Schamgefühle haben. Weil sie sich nicht gewehrt haben? Obwohl wir ja gar nichts machen konnten, wir hatten ja nicht die geringste Chance." Der ältere Mann, der sich in der Diskussion sichtlich bewegt zu Wort meldet, hat von den typischen Reaktionen politisch Verfolgter erst jetzt erfahren, hier in einer Arbeitsgruppe zum Thema "Psychotherapie mit Opfern der DDR-Diktatur", bei einem Kongress in der Evangelischen Akademie über die "psychosozialen Folgen kommunistischer Herrschaft in Ostmitteleuropa". Dabei hat er doch, nach Stasi-Haft in Potsdam, Psychologie studiert, schon in vorgerücktem Alter - und im Westen.

Sogar unter Psychologen und Psychiatern ist die Kenntnis der gesundheitlichen Spätfolgen von politischer Haft, Verfolgung und "Zersetzung" nicht gerade weit verbreitet. So wird selbst den Wenigen oft nicht viel geholfen, die sich in psychotherapeutische Behandlung begeben, erfährt man von den Fachleuten der Institutionen, die den Kongress gestalteten. Es waren "Gegenwind-Beratungsstellen für politisch Traumatisierte der DDR-Diktatur", das "Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin" und der Opferhilfeverein "Weißer Ring".

Wie schwer eine seelische Verwundung sein, und welche langanhaltenden psychischen und psychosomatischen Störungen sie bei fehlender Hilfe zur Verarbeitung nach sich ziehen kann, darüber gibt es erst seit kurzem wissenschaftliche Erkenntnisse. Erst vor wenigen Jahren nahm die Weltgesundheitsorganisation die "Posttraumatische Belastungsstörung" in ihre Krankheitsklassifikation auf. Ein seelisches Trauma ist danach ein außergewöhnlich bedrohendes kurz- oder langdauerndes Geschehen von katastrophalem Ausmaß.

Das kann Vergewaltigung sein, ein Eisenbahnunglück oder auch eine lange KZ-Haft. Über die seelischen Leiden von Holocaust-Überlebenden gibt es viele wissenschaftliche Studien. Sie zeigen, dass es Jahre und Jahrzehnte dauern kann, bis psychisch schwer Verletzte fähig sind, über das Erlittene zu sprechen, gleich um welches Trauma es sich handelt und wie schwer es war. Deshalb sind die Opfer des DDR-Regimes erst in letzter Zeit zum Forschungsthema geworden. Studien über ihre Störungen und deren Behandlung wurden bisher nur von wenigen Wissenschaftlerteams vorgelegt, etwa an der TU Dresden, dem Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer oder der FU Berlin.

Dort, an der Abteilung für Sozialpsychiatrie, fanden Stefan Priebe, Doris Dennis und andere heraus, dass von den in der DDR Drangsalierten und Inhaftierten viele unter einzelnen oder mehreren Symptomen der posttraumatischen Belastungsstörung leiden: Alpträume auch im Wachzustand, die zum Wiedererleben traumatisierender Situationen zwingen; Angst, Unruhe und Reizbarkeit, depressive Verstimmung, Schlaflosigkeit und Erschöpfbarkeit, Panikstörungen, Schmerzen und Suchtkrankheiten, schließlich Persönlichkeitsveränderungen und sozialer Rückzug. Manche können den Zusammenhang zwischen ihren chronischen Beschwerden und der politischen Verfolgung gar nicht erkennen - sie haben sie verdrängt. Viele sagen auch "Ich möchte vergessen und kann es doch nicht", berichtete in der Arbeitsgruppe Carolin Tschieschs-Zimmermann vom Folteropferzentrum. Typisch ist nach ihrer Erfahrung ein ständiges Schwanken zwischen Vergessenwollen und Behandlungswunsch, also eine ambivalente Haltung gegenüber der Psychotherapie.

Manche sind extrem misstrauisch: Bleibt das auch vertraulich? Und kann die Psychotherapeutin mich überhaupt verstehen? Viele können es nicht. "Die DDR existiert seit über zehn Jahren nicht mehr, und Sie wollen noch immer unter den Folgen leiden?" bekam ein Hilfesuchender zu hören. Dann kommt es zu Therapieabbrüchen, oft aber auch zur Abwehr übermächtig werdender Emotionen, beobachtete Reinhild Hölter in der Beratungsstelle "Gegenwind". Dann ziehen die Patienten sich wieder in ihr "inneres Gefängnis" zurück. Verstärkt werden diese Tendenzen durch die Verständnislosigkeit auch vieler Gutachter, sagte Stefan Trobisch, Leiter der Beratungsstelle "Gegenwind", und durch die gesellschaftliche Ausgrenzung politisch Verfolgter.

Zwischen 1945 und 1989 sind nach Schätzungen des Bundesjustizministeriums in Ostdeutschland etwa 300 000 Personen aus politischen Gründen in Haft gewesen; in den Nachkriegsjahren wurden sie physisch, später psychisch gefoltert. Anfangs wurden viele ohne Grund von der Straße weg verhaftet - wie der unpolitische und ahnungslose Herr X, von dem Trobisch berichtete. Er saß über zwei Jahre im Gefängnis, teils in Isolierhaft, wusste nicht warum und hatte keine Chance, es zu erfahren; eine Situation wie bei Kafka. Bei der Entlassung wurde er wie üblich zum Schweigen verpflichtet. Und die Zersetzungsmaßnahmen gingen weiter. Der Staat trat an die Stelle des übermächtigen Vaters, unter dem er in der Jugend gelitten hatte.

In die Beratungsstelle kam er, wie die meisten, nicht wegen der quälenden Albträume, Ängste und Depressionen, sondern wegen irgend eines Antrags. Er brauchte Zeit, um Vertrauen zu fassen, aber dann half die Therapie: Die Symptome gingen zurück. Denn sofern die psychisch gestörten Opfer sachkundige und verständnisvolle Therapeuten finden, kann die Behandlung recht erfolgreich sein, vor allem dann, wenn die Ärzte oder Psychologen nicht auf eine Methode fixiert sind, sondern je nach Erfordernis verschiedene, individuell abgestimmte Verfahren anwenden. Herr X. schaffte es, als er auf eigene Initiative zusammen mit dem Psychoanalytiker Trobisch den Ort des Schreckens besuchte, sein Untersuchungsgefängnis.

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