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Gesundheit: Parties im alten Offizierskasino

Die Kasernenmauer ist heute weiß getüncht und mit schwarzen Ornamenten bemalt.Knorrige Laubbäume säumen die Straße, die zu den ehemaligen Mannschaftsunterkünften führt.

Die Kasernenmauer ist heute weiß getüncht und mit schwarzen Ornamenten bemalt.Knorrige Laubbäume säumen die Straße, die zu den ehemaligen Mannschaftsunterkünften führt.Hier sind Soldaten marschiert, zunächst deutsche, dann sowjetische.Erst nach 1990 sind die letzten abgezogen.Jetzt tummeln sich auf dem Gelände Studenten.

In den letzten vier Jahren zog die Fachhochschule Potsdam mit ihrer Verwaltung, dem Rektorat und den Fachbereichen Architektur, Bauingenieurwesen und Design nach und nach in die Pappelallee.Weitere, die sich jetzt noch in der Friedrich-Ebert-Straße befinden, sollen folgen.Der Campus wird sich, so die Planung, einmal auf 55 000 Quadratmeter ausdehnen und Platz für 1700 Studenten bieten.Mit ihnen kehren in das ehemalige Militärgebiet endgültig Frieden und Kreativität ein.

Nördlich der vier Mannschaftsgebäude, die jetzt zum Campus gehören, beginnt noch immer ein verwunschenes Reich mit verlassenen Garagen, Pferdeställen und Apfelbäumen.Zwischen den Betonplatten wuchert das Gras meterhoch.Bis zum Abriß der Häuser wird diese Fläche vorübergehend von Studenten und Mitarbeitern genutzt.Sie ist jedermann zugänglich, auch den Bürgern von Potsdam und den Touristen.Junge Designer präsentieren auf dem bizarren Gelände ihre Diplomarbeiten, künftige Bauingenieure machen Zeichen- und Wahrnehmungsübungen.Werkstätten wurden für sie eingerichtet.Die Studenten haben im heruntergekommenen Offizierskasino einen Klub eröffnet.Umgeben von selbstgebauten Theken, alten Möbeln und DDR-Devotionalien feiern sie schräge Parties.

Im ehemaligen Wirtschaftsgebäude, das sich im Zentrum der Kaserne befindet, wird jetzt die Tragfähigkeit der Decken überprüft.Es soll saniert werden und dann die Mensa und Hörsäle beherbergen.Laut wummern die Geräte durch das staubige Haus, in dessen Erdgeschoß sich zu DDR-Zeiten vermutlich der Speisesaal der sowjetischen Soldaten befand.Sie blieben unter sich, denn die ostdeutschen Anwohner durften das Gelände nicht betreten.Es war tabu, wie so viele andere militärische Sperrgebiete in Brandenburg.

An der Vorderfront des Wirtschaftsgebäudes klettert Efeu nach oben.Der Putz bröckelt.Zersplittertes Glas liegt umher.Im Erdgeschoß hat jemand neben eine Tür "Hast du heute schon onaniert?" geschrieben.Da, wo die Soldaten ihren Borschtsch löffelten, sind noch die Reste von zwei bunten Wandbildern erhalten.Eine Frau in Volkstracht füttert ein Eichhörnchen.Eine Vogelschar schwebt mit weiten Schwingen über das Land.Kitschiger Patriotismus."Heimwehbilder", sagt Professor Steigerwald.Ihre trügerische Idylle läßt vermuten, wie sich die Männer nach dem fernen Kiew gesehnt haben, nach der Krim oder gar nach Alma Ata.In der Küche stehen leere Bottiche und riesige Töpfe für die Suppe.

Knarrende Holztreppen ohne Geländer führen zum ehemaligen Wachturm auf dem Dach des Gebäudes.Von hier aus schaut man auf weite Teile des Bornstedter Felds, eine 300 Hektar große Fläche, auf der im Jahr 2001 die Bundesgartenschau stattfinden soll.Nach der Planung des von der Stadt beauftragten "Entwicklungsträgers" entstehen hier rund 7500 Wohnungen.In den kommenden zehn Jahren zieht dort rund ein Zehntel der Potsdamer Bevölkerung ein, glauben die Fachleute.Die Fachhochschule wird das kulturelle Zentrum im Kiez.Auf der Südseite des Wirtschaftsgebäudes ist eine Baustelle zu sehen.Die Alexander-von- Humboldt-Stiftung wird dort ein internationales Begegnungszentrum mit Bibliothek, Seminar- und Wohnräumen für Wissenschaftler aus aller Welt eröffnen.Es soll 1999 fertig werden.

Am Eingang zur Fachhochschule berichtet eine blaue Informationstafel von der Geschichte des Militärobjekts.1935 erbaut, wurde die Kaserne vom 2.Bataillon des Infanterieregiments 9 bezogen, das wegen der hohen Anzahl an Adligen scherzhaft "Graf Neun" tituliert wurde.Henning von Tresckow und andere Militärs, die im Widerstand gegen Hitler eine entscheidende Rolle spielten, waren in der Potsdamer Pappelallee stationiert.Nach dem Zweiten Weltkrieg plante das städtische Hochbauamt, einen Teil der Gebäude in Wohnungen umzuwandeln und Industriebetriebe anzusiedeln.Doch die Rote Armee machte der Behörde einen Strich durch die Rechnung.

Die Vergangenheit ist immer noch lebendig.Durch die verlassenen Ställe und Garagen, die jetzt mit Graffiti beschmiert sind, weht ein kalter Wind.In einer riesigen Halle organisieren die Designer Ausstellungen, vor ein paar Wochen erst das "Forum Typografie".Die Tore wurden entfernt, so daß man von außen ohne Behinderung in die weiträumigen Säle schauen kann.Eine junge Birke hat sich mit ihren Wurzeln unter einer Schwelle festgekrallt.Anderswo wachsen Pflaumenbäume.Das satte märkische Grün erobert sich den Platz zurück.Doch die Ruhe ist trügerisch.Bei der Verlegung einer Wasserleitung zum Studentenklub "Casino" wurden vor ein paar Monaten Granaten gefunden.Von dem deutschen Soldaten, der vermutlich hier gefallen ist, blieben nur Knochenreste und ein Stück Munitionstasche.Seine Kennungsmarke fehlte.

Ein Kiesweg führt zu dem wohl eindrucksvollsten Haus, dem heutigen Studentenklub "Casino".Die Wände der ehemaligen Speisesäle für Offiziere zieren jetzt eigentümliche Fabelwesen.Fachhochschüler und junge Leute aus der städtischen Graffitiszene waren hier am Werk.Der Schanktisch ist mit Pflastersteinen ummauert, die wiederum vom Appelplatz in der Pappelallee stammen.An der Wand lehnt ein Schild."Wir grüßen die Teilnehmer der 17.Kreisdelegiertenkonferenz der FDJ Potsdam."

Im Dachgeschoß befindet sich die "Weintheke", ein kleiner Klub, in dem während des Semesters jeden Donnerstagabend gefeiert wird.Urig schauen sie aus, die Möbel vom Sperrmüll, die knorrigen Wurzeln, die auf den Tischen als Kerzenhalter dienen.An den Wänden kleben Überbleibsel Moskauer Zeitungen und karierte Blätter, die mit handschriftlichen Notizen in Russisch bedeckt sind.Studenten fanden sie in der Kaserne."Bei ihrem Abzug haben die Soldaten alles mitgenommen, was in der Sowjetunion Mangelware ist", erzählt der Bauingenieur Axel Schäfer, ehemaliger Student und Mitbegründer des "Casino"-Klubs.Armaturen und Steckdosen wanderten nach Sibirien, und auf dem Boden blieb Unrat zurück.Was seitdem im Klub geschaffen wurde, geht auf die Initiative der Studenten zurück.Sie hoffen, daß sie das "Casino" und die "Weintheke" trotz der Abrißpläne behalten dürfen.

Hin und wieder kommen alte Männer aus Rußland und noch ältere Männer aus Deutschland und gucken sich die Stätten ihrer Militärzeit an.Ganze Gruppen aus der ehemaligen Sowjetunion schauen vorbei.Sollen sie doch.Die Zeit der Abgeschiedenheit ist endgültig vorbei.

Fachhochschule Potsdam, Pappelallee 8 - 9, 14 469 Potsdam, Telefon 0331/ 580 00, Studienangelegenheiten: 0331/580 2090.

JOSEFINE JANERT

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