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Gesundheit: Petersburger Dialog: Zurufe für die deutsch-russische Ideenbörse

Die letzten Eisschollen treiben über die Neva. Die Petersburger nutzen die warme Frühlingssonne für einen vorgezogenen Osterspaziergang.

Die letzten Eisschollen treiben über die Neva. Die Petersburger nutzen die warme Frühlingssonne für einen vorgezogenen Osterspaziergang. "Vom Eise befreit sind Strom und Bäche" - die wunderbaren Worte aus Goehtes Faust könnten als Motto über dem ersten Petersburger Dialog stehen, den Russlands Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzler Gerhard Schröder im Herbst 2000 angeregt hatten.

Der Grundgedanke ist bestechend: Wenn die Völker Vorurteile und Erinnerungen an die positive wie auch an die belastete Vergangenheit verarbeiten wollen, sollte ein Dialog unterhalb der politischen Ebene beginnen. Die Jugend ist einzubeziehen - durch Austauschprogramme und die gemeinsame Erarbeitung neuer Schulbücher ohne Hass und Stereotype. Der Dialog muss auch Journalisten, Wissenschaftler und Repräsentanten aus Kultur und Wirtschaft erreichen. Denn die moderne Demokratie baut auf der Zivilgesellschaft und den Grundrechten auf. Gelingt es, zwischen Deutschen und Russen ein Netzwerk zu knüpfen, dann kann die Aussöhnung gelingen. Seit den fünfziger Jahren sind die Königswinter-Gespräche zwischen Deutschen und Engländern dafür ein Vorbild.

Für den Auftakt des ersten Petersburger Dialogs am neunten und zehnten April hatten die Russen die Stadt an der Neva mit Bedacht gewählt. Gilt Sankt Petersburg doch seit der Gründung durch Peter den Großen als Symbol für die Öffnung Russlands zum Westen. Die Deutschen standen bei der Gründung der Petersburger Universität im Jahr 1725 Pate: Sie schickten 17 Professoren nach Russland. Die mit der Universität verbundene Akademie der Wissenschaften hatte einen deutschen Ideengeber - Gottfried Wilhelm Leibniz. Auf tragische Weise ist Sankt Petersburg seit dem Zweiten Weltkrieg mit Deutschland verknüpft: Die 900 Tage dauernde Hungerblockade des damaligen Leningrads durch die deutsche Armee kostete 900 000 Russen das Leben.

Die Symbolkraft des Ortes wird auch im nächsten Jahr eine Rolle spielen, wenn der zweite Petersburger Dialog in Weimar stattfindet - eine in Europa bekannte Stadt mit einer nicht minderen Belastung wegen der Nähe zum Konzentrationslager Buchenwald auf dem Ettersberg.

Der Druck der Schulden

Eine Ideenbörse sollte der Petersburger Dialog sein. So wünschte es Putin. Aber es geht nicht nur um den Austausch von Ideen, sondern auch um die Verabredung von konkreten Projekten - und die kosten Geld. Die Russen haben 63 Milliarden Mark Schulden bei den Deutschen und sie hoffen, durch gemeinsame Projekte vor allem in der Wissenschaft auf eine Verrechnung ihrer Verpflichtungen. Vor diesem Hintergrund verengten die Russen den Gedankenaustausch in der Arbeitsgruppe Wissenschaft und Bildung auf die Vorbereitung eines Kommuniqués, während die Deutschen nichtsahnend glaubten, zunächst eine Grundsatzdiskussion führen zu können.

Das Protokoll diktierte die Inhalte: Zwischen der inoffiziellen Eröffnung am Vormittag, die nahezu zwei Stunden in Anspruch nahm und der offiziellen Eröffnung am Nachmittag durch Putin und Schröder lagen noch Kaffeepausen und Mittagessen, so dass für die inhaltliche Diskussion in den Arbeitsgruppen wenig Zeit blieb. Und der Abend war mit dem prunkvollen Empfang in der Eremitage vergeben. Die Regierungschefs erwarteten schon am Nachmittag Ergebnisse, die sie der Öffentlichkeit präsentierten wollten. Die Kommuniqué-Regie wurde zum obersten Prinzip. Was im Kommuniqué steht, hat die besseren Chancen, auch finanziert zu werden.

In der Arbeitsgruppe Wissenschaft zogen die Russen nach Belieben ihre Kommuniquétexte aus der Tasche, und als sich die Deutschen daran machten, die russische Vorlage umzuformulieren, präsentierten die Russen am nächsten Tag für das Abschlussdokument wieder eine andere Vorlage. Zum Trost boten sie den verdutzten Deutschen ein Dokument mit Anlagen an.

Gibt es einen Dialog mit Statements und Zurufen? Wohl kaum. Die Russen wünschen unbedingt die Gründung einer russischen Universität in Berlin. Mit wie vielen Professoren sie ausgestattet werden soll, welche Fächer sie umfasst, welche Abschlüsse sie vergibt - alles das blieb im Dunkeln. Von der Finanzierung ganz zu schweigen. In der Kaffeepause konnten man erfahren, dass den Russen das Schicksal jener fünf Millionen Landsleute Sorge bereitet, die in Westeuropa leben. Deren Kinder sollen russische Hochschulabschlüsse in Berlin erhalten und für die Heimat zurückgewonnen werden.

Die Deutschen regten an, eine russische Akademie in Berlin zu errichten. Nur verstehen die Russen unter einer Akademie eine Verbindung von Gelehrtensozietät mit Großforschungsinstituten. Die Deutschen haben etwas ganz anderes im Sinn: Nach dem Vorbild der American Academy wollen sie für die Russen ein Forum schaffen. Für drei bis sechs Monate sollen Intellektuelle, Wissenschaftler, Künstler und elder statesmen zu Studienaufenthalten in die Stadt kommen - so skizzierte der Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Dieter Simon, die Idee. Den Russen behagt der deutsche Umgang mit dem hehren Namen Akademie nicht.

Die Deutschen regten an, für die Vernetzung des wissenschaftlichen Nachwuchses Graduiertenkollegs zu nutzen - hierzulande sind das bewährte Einrichtungen, um auf höchstem Niveau Doktoranden in der Forschung zu förden. Gedacht ist an die Öffnung vieler Kollegs für die Russen - die Russen glaubten, es handele sich nur um ein Kolleg. Und wie die im Kommuniqué angeregte virtuelle Universität für Deutsche und Russen ausssehen soll, blieb jenseits des modischen Schlagwortes ohne jede Unterfütterung.

Die Verständigungsschwierigkeiten häuften sich durch die Beschränkung auf Zurufe: Die Deutschen versprechen sich einiges von der Gründung eines Instituts für Deutschlandstudien in Moskau oder Sankt Petersburg - die Russen verstehen darunter ein Germanistisches Institut für Sprache und Literatur. Die Bundesrepublik favorisiert dagegen eine Schulung für russische Deutschlandexperten in der Wirtschaft, Politik, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft.

Der Generalsekretär des DAAD, Christian Bode, regte an, viel mehr Deutsche nach Russland zu bringen als bisher: Denn auf deutscher Seite sind die Zahlen im Vergleich zu den 6000 Russen, die in der Bundesrepublik studieren, "erbärmlich". Wie bei einer Expansion die wechselseitige Anerkennung der Hochschulabschlüsse zu organisieren ist, konnte in der Eile nicht erörtert werden. Selbst die weitere Anregung Bodes, die schon bestehenden 480 Kooperationsverträge zwischen deutschen und russischen Universitäten erst mit Leben zu erfüllen, bevor man an die Gründung neuer kostspieliger Institute denkt, blieb ohne Echo. Zum Beispiel ist die Petersburger Universität, die heute 28 000 Studenten zählt, mit vielen deutschen Hochschulen partnerschaftlich verbunden - darunter sind die Humboldt-Universität und die Freie Universität Berlin.

Als der Repräsentant der deutschen Großforschungsinstitute, Detlev Ganten, vorschlug, die Russen könnten sich doch mit ihren Spitzenphysikern am Bau und der Nutzung des neuen 30 Kilometer langen unterirdischen Teilchenbeschleunigers "Tesla" zur Erforschung der Materie beteiligen und das mit den russischen Schulden verrechnen, blieb auch diese Anregung auf der Ebene des Zurufs. Tesla übersteigt als ein internationales Vorhaben mit acht Milliarden Mark Investitionskosten die Dimensionen eines Landes. Japan und die USA sind auf diesem Gebiet die Konkurrenten. Die deutschen Chancen, diesen Beschleuniger im Umkreis von Hamburg zu errichten, könnten sich mit russischer Unterstützung erheblich verbessern, sagte Ganten.

Putins Computerofferte

Putin bot die Öffnung russischer Institute für die Ausbildung deutscher Computerfachleute an. Außerdem offerierte er die Kooperation in der Weltraum- und Plasmaforschung. Dafür wollen die Russen im Gegenzug bei den Umweltwissenschaften von den Deutschen profitieren. Auch auf diesen Feldern denken die Russen offensichtlich an eine Verrechnung ihrer Schulden.

Für den weiteren Dialog wird jetzt das Internet geöffnet. Die Russen glänzten beim Petersburger Treffen mit ihrer Kultur. Weimar kann zwar mit den Goethe- und Schillergedenkstätten punkten, aber nicht mit einer Weltgalerie wie der Eremitage. Und das Nationaltheater in Weimar lässt sich kaum mit dem berühmten Mariinskij-Theater in Sankt Petersburg vergleichen. Wie könnten die Deutschen mithalten? Sie sollten sich auf eine gründliche Vorbereitung konzentrieren, damit aus Stichworten solide und finanziell gesicherte Programme werden. Aus der Petersburger Ideenbörse ein funktionierendes deutsch-russisches Netzwerk zu flechten - das wäre eine Perspektive.

Uwe Schlicht

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