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Gesundheit: Philosoph der Kulturen

800 Jahre nach seinem Tod wird der maurische Philosoph in der islamischen Welt populärTorsten Krüger Im Cordoba des späten 12. Jahrhunderts regiert ein weltoffener Kalif über eine multikulturelle Schar aus Moslems, Juden und Christen.

800 Jahre nach seinem Tod wird der maurische Philosoph in der islamischen Welt populärTorsten Krüger

Im Cordoba des späten 12. Jahrhunderts regiert ein weltoffener Kalif über eine multikulturelle Schar aus Moslems, Juden und Christen. Zum Hause des Kadis Ibn Rushd, des obersten Richters, kommt man nicht nur um Streitfälle zu schlichten, sondern auch, um sich medizinischen Rat zu holen und um über Philosophie zu diskutieren. Der Kadi ist Jurist, Mediziner, Theologe und Philosoph in Personalunion. Er übersetzt und kommentiert die Werke des Aristoteles. Im Rückgriff auf den griechischen Denker - für ihn die Verkörperung der Vernunft - hofft er vor allem ein Ziel zu erreichen: Die Sicherung der Rationalität der Welt, und den Beweis, dass eine rationale Welt kein Widerspruch zum Koran ist.

Im Abendland, wo er noch Jahrhunderte nach seinem Tod als bedeutendster Aristoteles-Interpret und Vermittler des griechischen Geistes galt, kennt man den Kadi vor allem unter seinem latinisierten Namen: Averroes. In der islamischen Welt war er bis vor ein paar Jahrzehnten fast vergessen. Inzwischen sind vor allem die liberalen Intellektuellen dabei, Ibn Rushd neu zu entdecken. "Das Interesse an Averroes ist grenzüberschreitend", sagt Abdelmajid Charfi, Islamwissenschaftler an der Universität Tunis und derzeit Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg. "Es zieht sich durch den gesamten islamischen Raum." Charfi wird einer der Wissenschaftler sein, die am kommenden Wochenende im Haus der Kulturen der Welt zusammenkommen, um über den maurischen Philosophen zu diskutieren.

Es ist vor allem der Spagat von Theologie und Philosophie, der Averroes für die heutige Generation so aktuell macht. "Die Entwicklung der arabischen Länder braucht eine Referenz in die Vergangenheit, um einen Aufhänger in der Moderne zu haben", sagt Abdelmajid Charfi. Also den Faden anknüpfen, wo er abgerissen ist. Denn Averroes gilt als der letzte große islamische Philosoph. Mit ihm endete die wissenschaftliche Kultur der islamischen Welt.

Noch zu seinen Lebzeiten kippte das bis dahin fruchtbare Spannungsfeld zwischen Orthodoxie und Liberalität. Am Hof des Kalifen gewannen die Theologen die Oberhand, und die kritische Koran-Auslegung des obersten Richters war ihnen ein Dorn im Auge. Averroes Bücher wurden verbrannt, er musste Cordoba verlassen. Erst kurz vor seinem Tod im Jahre 1198 erfuhr er von seiner Rehabilitation. Aber sie blieb ohne Auswirkungen. Der Sieg der philosophiefeindlichen Theologen war endgültig.

"Jahrhunderte lang wurde Averroes ignoriert, da er im Gegensatz zur islamischen Orthodoxie stand", sagt Charfi. "Er vertrat die wissenschaftliche Freiheit und die freie Meinungsäußerung." Während es in Europa zu einer allmählichen Säkularisierung von unten kam, indem sich Städte und Zünfte als Gegenpol zu Adel und Kirche entwickelten und die Landwirtschaft in der Lage war, eine wachsende Zahl von Menschen - auch in den Städten - zu ernähren, verstärkte sich im arabischen Raum die Position der Geistlichkeit. In Europa habe sich die Gesellschaft schneller entwickelt als die katholische Kirche, meint Charfi. Dadurch seien die protestantische Reformation und die Industrialisierung überhaupt erst möglich geworden.

In den säkular geprägten Gesellschaften moderner islamischer Staaten bietet die Beschäftigung mit Averroes als einem gläubigen Muslim und Wissenschaftler heute die Möglichkeit eines neuen islamischen Selbstbewusstseins. Das Beispiel des Philosophen zeigt, dass wissenschaftliches Vernunftdenken Teil der ursprünglichen islamischen Geistesgeschichte. "Philosophie und Theologie sind bei Averroes zwei Wege, die auf dasselbe Ziel führen, das Verstehen der göttlichen Natur", erklärt Charfi.

Wenn auch nicht alles am Denken des Averroes heute noch aktuell sei, so sei doch wichtig, dass man ihn allmählich als Teil eines gemeinsamen europäisch-semitisch-islamischen Erbes betrachte. Charfi sagt: "Gerade in Europa, wo die Zahl der Muslime stetig wächst, kann die Beschäftigung mit Averroes nützen, um eine Brücke zu schlagen zwischen Islam und Abendland".Die Konferenz "Averroes und der Dialog der Kulturen" findet am 11. Und 12. Dezember im Haus der Kulturen der Welt statt. Telefon: 39 78 7175

Torsten Krüger

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