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Gesundheit: Pichts Katastrophe hat Jubiläum

Von George Turner, Wissenschaftssenator a.D.

Die OECD schlägt Alarm, weil die Ausgaben in Deutschland für Bildung hinter denen in anderen Ländern rangieren und weil zu wenige junge Menschen das Abitur machen. Das hatten wir doch schon einmal. Vor vierzig Jahren, im Jahr 1964 erschien Georg Pichts „Die deutsche Bildungskatastrophe“. Picht diagnostizierte angesichts fehlender Gymnasien und zu geringer Plätze an Universitäten einen Bildungsnotstand. Er sagte ein Ende des Aufschwungs voraus, wenn qualifizierte Nachwuchskräfte fehlten. Die Zahl der Abiturienten sei das geistige Potenzial eines Volkes und von diesem geistigen Potenzial seien in der modernen Welt die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft, die Höhe des Sozialprodukts und die politische Stellung abhängig.

Aus dem im Vergleich zu anderen Industrienationen geringeren Anteil der Bildungsausgaben am Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik leitete er eine nachrangige, unterwertige Rolle der Bildung auf der nationalen Prioritätenskala ab. Nur fünf Prozent erwarben die Reifeprüfung; die Zahl der Studenten belief sich auf rund 300000. Wenn derzeitig – angesichts von 43 Prozent Hochschulzugangsberechtigten und 36 Prozent Studienanfängern und einer Zahl von mehr als zwei Millionen Studierenden gefordert wird, es müssten noch mehr junge Menschen ein Studium aufnehmen, stellt sich die Frage, ob da nicht von der OECD und anderen überzogen wird.

Wo soll das noch nicht ausgeschöpfte Potenzial liegen? Wenn heute schon über die mangelnde Studierfähigkeit von Hochschulzugangsberechtigten geklagt wird, erwecken entsprechende Forderungen eher Befürchtungen als dass sie Ansporn sind. Im übrigen leiden alle Vergleiche an einem entscheidenden Mangel. Es wird nicht berücksichtigt, dass unser duales System mit einer qualifizierten Berufsausbildung in den in Vergleich genommenen Ländern keine Parallele hat. Junge Menschen, die bei uns nach dem Abitur oder dem Realschulabschluss eine anspruchsvolle Lehre absolvieren, dürfen sich durchaus mit denjenigen messen, die mancherorts ein drittklassiges College besucht haben.

Solange die OECD-Experten das nicht begreifen, werden ihre Thesen nur bei denjenigen Zustimmung finden, die auf Biegen und Brechen ein Volk von Abiturienten wollen. Alles dafür, dass sämtliche Reserven auch in den bildungsfernen Schichten ausgeschöpft werden, aber auch alles dagegen, dass eine weitere Niveausenkung als Folge einer wie zwanghaft wirkenden quantitativen Ausweitung eintritt.

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