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Gesundheit: Positionen: Wenn das Krankenhaus zum "Profitcenter" wird

Zu Jahresbeginn startete bundesweit die Einführungsphase eines neuen Entgeltsystems für die Krankenhäuser - völlig überstürzt und mit der heißen Nadel gestrickt. In Deutschland wurde bisher für die Berechnung der Entgelte (für mehr als 75 Prozent der Krankenhausfälle) der tagesgleiche Pflegesatz zugrunde gelegt.

Zu Jahresbeginn startete bundesweit die Einführungsphase eines neuen Entgeltsystems für die Krankenhäuser - völlig überstürzt und mit der heißen Nadel gestrickt. In Deutschland wurde bisher für die Berechnung der Entgelte (für mehr als 75 Prozent der Krankenhausfälle) der tagesgleiche Pflegesatz zugrunde gelegt. Von 2003 an soll nach den "diagnosebezogenen Fallpauschalen" mit den Krankenkassen abgerechnet werden. In Anlehnung an das australische System wird nach einem komplizierten Verfahren eine leistungsorientierte, für jeden "Krankenhausfall" individuell errechnete Summe ermittelt.

In dieser Berechnung finden nicht nur die Diagnosen des Patienten Eingang, sondern auch "Prozeduren" (was wurde mit dem Patienten gemacht?), Multimorbidität, Alter und anderes, nicht jedoch regionale Besonderheiten. Die Konsequenz: für einen speziellen "Krankheitsfall" erhält ein Kreiskrankenhaus in Schleswig-Holstein genauso viel Geld von den Krankenkassen wie eine Universitätsklinik in München.

Das wird problematisch für teure Krankenhäuser - was nicht heißt, dass in diesen Häusern schlecht gewirtschaftet wird. Krankenhäuser können aufwändige Spitzenleistungen erbringen, Universitäten haben andere personelle Strukturen als städtische Häuser, es gibt unterschiedliche Gehälter und Arbeitszeiten sowie Unterschiede bei den Gebäuden, die entweder Kosten sparen oder Mehrkosten verursachen - alles unabhängig von der medizinischen Qualität.

Die Bevölkerung hat die Tragweite dieser politischen Entscheidung mangels Information und Diskussion noch gar nicht begriffen. Die Krankenkassen erhoffen sich von dem neuen Entgeltsystem eine Verkürzung der Liegezeiten. So wird ein operierter alter Mensch gegebenenfalls bereits nach wenigen Tagen das Krankenhaus verlassen, unabhängig davon, ob und wie er anschließend versorgt wird. Die medizinische Versorgung soll mehr in den ambulanten Bereich verlagert werden, egal wie beschwerlich dies für Patienten wird. Besonders problematisch wird es dann, wenn Krankenhäuser sich damit brüsten, "Profitcenter" zu werden und möglichst viele gewinnversprechende Patienten durchschleusen.

Der Klinikarzt macht bereits einen überdurchschnittlich anstrengenden Job. Die Leistungsdichte seiner ohnehin nicht achtstündigen Arbeitszeit hat in den letzten Jahren durch überbordende Bürokratisierung erheblich zugenommen. So werden etwa mit den Krankenkassen permanente Auseinandersetzungen geführt, insbesondere über die Notwendigkeit eines stationären Aufenthaltes eines bestimmten Patienten. Schreibarbeiten, die zu einem erheblichen Teil auf den Arzt abgeladen werden.

Dem Klinikarzt wird mit der Einführung des neuen Entgeltsystems eine zusätzliche Verantwortung auferlegt, nämlich die der Hauptverantwortung für die Einnahmen eines Krankenhauses! Was er nicht dokumentiert, nicht richtig gewichtet und entsprechend verschlüsselt, wird nicht verdient werden. Wenn nicht jeder in der Hierarchie die wirtschaftliche Bedeutung dieser Dokumentation erkennt, werden dem Krankenhaus erhebliche Einnahmen verlustig gehen.

Das Berufsbild des Arztes Albert Schweitzers, eines humanistisch gebildeten Arztes, der sich voll und ausschließlich auf seine Patienten konzentrierte und abends Muße fand für Orgelspiel und Lesen, gehört der Vergangenheit an. Die Arbeit des heutigen Klinikarztes wird verfolgt von der Ökonomie. Bissige Beurteilungen, wie "der Arzt solle nun endlich raus aus seinem Elfenbeinturm", unterschätzen die Erfordernisse eines hohen ärztlichen Wissensstandes. Sie unterschätzen aber auch die physische (besonders bei den operativen Fächern) und die psychische Kraft, die dieser Beruf fordert, wenn man sich täglich mit Leid, Elend und Sterben auseinandersetzt.

Bis heute gibt es für die Krankenhäuser und ihre Abteilungen keine verbindlichen, den modernen Erfordernissen angepassten Arztzahlen. Jedes Krankenhaus entscheidet selbst, wieviele Ärzte für eine Abteilung eingesetzt werden. Allein für die Umsetzung des neuen Entgeltsystems wird bundesweit mit 50 Millionen Überstunden der Ärzte gerechnet! Trotz Arbeitsschutzgesetz werden nicht nur permanent Überstunden in großem Maße von Klinikärzten abgeleistet, sondern die Intensität der Leistungen wird auch dauernd angehoben.

Der Krankenhausarzt gerät dadurch mehr und mehr in die Zange: wieviel Menschlichkeit kann er sich noch leisten, ohne den für die Einnahmen seines Institutes wichtigen bürokratischen Anteil zu vernachlässigen?

Damit die Leistungsfähigkeit und die wirtschaftliche Potenz des Krankenhauses noch weiter angehoben werden, entwickeln sich zunehmend Institute, die den Arzt überprüfen. Ist er auch immer nett und zuvorkommend (damit Patienten kommen und sich wohlfühlen), hält er Qualitätsstandards in Diagnostik und Therapie ein (damit der Ruf des Hauses gewahrt bleibt), verordnet er preisbewusst (damit die Gesamtkosten niedrig gehalten werden), widmet er sich ausreichend anderen Beschäftigungsgruppen im Krankenhaus (damit der Teamgeist dokumentiert wird)? Die Schwadronierer nehmen zu und müssen mitfinanziert werden, die eigentlich Tätigen dagegen nicht.

Die Krankenhäuser schrecken davor zurück, die Stellen aufzustocken, da einerseits genügend Ärzte zur Verfügung stehen, die auf Arbeit warten und sogar bereit sind, diese unentgeltlich abzuleisten - aufgrund des bekannten Mangels an Weiterbildungsstellen. Andererseits stehen die Krankenhäuser in der Tat selbst unter dem erheblichen Kostendruck der Pflichtversicherungen. Die Krankenkassen ihrerseits stöhnen unter Einnahmeverlusten, da diese an den Faktor Arbeit gebunden sind.

So führt die bekannte Misere im Gesundheitswesen in den Krankenhäusern dazu, dass sie zu einem überproportionalen Anteil dem Krankenhausarzt aufgebürdet wird. Will unsere Gesellschaft wirklich Ärzte, die überlastet sind und deren Handeln durch ökonomische Überlegungen dominiert wird? Sollen Ärzte nicht auch wie Geisteswissenschaftler und Lehrer zu einer geistig tragenden Säule unserer Demokratie gezählt werden? Das erfordert Atempausen. Zeichnet sich nicht schon im ambulanten Bereich eine Zwei-Klassenmedizin immer deutlicher ab, und soll diese nun auch in Krankenhäuser Einzug halten? Wenn Politiker nicht unverzüglich eine grundlegende Reform im Gesundheitswesen beginnen, und zwar im Konsens mit der Gesellschaft, werden sie durch wirtschaftliche Zwänge überholt.

Gisela Albrecht

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