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Gesundheit: Preis der Aufklärung

Vorgeburtliche Diagnostik: Beratung kommt zu kurz

„Man denkt, dass die Untersuchung Routine ist, aber auf einmal bleibt die Welt stehen.“ Die Ärztin Anke Rohde von der Abteilung Gynäkologische Psychosomatik der Uni Bonn bringt auf den Punkt, wie es werdenden Eltern geht, wenn sie bei einem Ultraschall oder nach der Untersuchung einer Gewebeprobe erfahren, dass das Kind im Mutterleib eine schwere Krankheit oder bleibende Behinderung haben wird.

Altersunabhängig stehen heute allen Schwangeren drei Ultraschalluntersuchungen zu, etwa in der zehnten, 20. und 30. Woche. Etwa 65 Prozent der Schwangeren über 35 Jahren nehmen in Deutschland zudem pränatale Untersuchungen in Anspruch, mit denen genetische Veränderungen und Chromosomenanomalien erkannt werden können. Das war auf einer öffentlichen Anhörung zu erfahren, für die die Enquetekommission des deutschen Bundestages „Ethik und Recht der modernen Medizin“ zwölf Experten geladen hatte.

Claus Bartram, Humangenetiker an der Uni Heidelberg, beklagte dort, dass ein Beratungsdefizit bei vielen Frauen zu einer „zum Teil grotesken Überschätzung des eigenen altersbedingten Risikos“ für ein krankes Kind führe. Wichtig sei vor allem die Beratung vor den Untersuchungen – auch über Chromosomenauffälligkeiten, die nicht zu schweren Symptomen führen.

Ein Gendiagnostikgesetz, das detailliert regeln soll, wer die Untersuchungen vornehmen darf und wie beraten werden muss, wird zum Kummer der Experten wohl nicht mehr in dieser verkürzten Legislaturperiode verabschiedet werden. Heute rechnen neben den 50 Klinikzentren und 100 Praxen, in denen mit humangenetischer Fachkompetenz untersucht wird, auch Ärzte ohne diese Qualifikation mit den Kassen ab.

Jüngere Frauen, die solche vorgeburtlichen Untersuchungen machen lassen, kommen meist wegen eines auffälligen Befunds im Ultraschall. Ab der zehnten Schwangerschaftswoche ist dort nämlich die Nackentransparenz sichtbar, eine Flüssigkeitsschicht direkt unter der Haut. Eine Dicke von ungefähr zweieinhalb Millimetern ist ein Hinweis für ein Down-Syndrom (Trisomie 21), aber auch für andere mögliche Fehlbildungen.

Noch genauer wird die Vorhersage im Zweifelsfall durch die Untersuchung von zwei Blutwerten, des Plazenta-Hormons Beta-hCG und des schwangerschaftstypischen Proteins PAPP-A. Bei einer Kombination von Nackentransparenz-Messung und Bluttests werden 90 Prozent der Feten mit Down-Syndrom entdeckt. Ein anderer immer noch häufig angebotener Bluttest, der Tripletest, hat dagegen nach Meinung der Experten kaum mehr Berechtigung.

Der Ultraschall hat vor allem die ganz normale, alltägliche Geburtshilfe verändert. Das machte Bernhard Hackeloer von der Hamburger Frauenklinik Barmbek-Finkenau temperamentvoll deutlich. „Wir haben Licht in das Dunkel gebracht und können heute planen, statt nur zu reagieren.“ Die Geburtshelfer kennen den Geburtstermin genauer, sie erkennen Mehrlinge früh. Nicht zuletzt dank dieser Aufschlüsse sei die Sterblichkeit der Kinder rund um die Geburt auf 0,5 Promille gesunken. Und in einigen wenigen Fällen kann im Mutterleib sogar schon therapiert werden.

Es gibt kaum werdende Eltern, die auf diese Möglichkeiten verzichten wollen. Der Preis sei eine „Überfrachtung von Untersuchungen in der ersten Schwangerschaftshälfte“, sagte Anngret Braun vom Diakonischen Werk in Stuttgart.

Ob man die Beratung vor den Untersuchungen wirklich noch verbessern kann, bleibt fraglich. „Meist steht bei den Paaren das Ziel im Vordergrund, feststellen zu lassen, dass mit dem Kind alles in Ordnung ist. Ein möglicher Konflikt wird verdrängt“, erläuterte die Psychosomatikerin Rohde. Aus ihrer noch laufenden Studie ergibt sich aber, dass psychosoziale Beratung – zusätzlich zur fachlichen Beratung – im Schockzustand „danach“ den Paaren hilft. „Sie kann das Gefühl geben, bei der Entscheidung wirklich alle Aspekte bedacht zu haben.“

Adelheid Müller-Lissner

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