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Nicht ohne meinen Gehörschutz: Die DJs Patrick Gharapetian, David Merlino und Anne Gelfei (von links nach rechts) wissen um die Gefahr lauter Musik.

© Thilo Rückeis

Presslufthammer im Ohr: Clubgänger unterschätzen Gefahr durch laute Musik

Viele jugendliche Clubgänger haben keine Ahnung, was sie ihrem Gehör antun, wenn sie es der lauten Musik aussetzen. Tinnitus und Schwerhörigkeit können die Folgen sein. DJs wissen meist mehr darüber. Sie schützen sich mit speziellen Stöpseln.

Wenn Anne Gelfei Techno auflegt, hat sie immer eine kleine schwarze Tasche dabei. Darin sind weder Platten noch die USB-Sticks, die zum Auflegen immer wichtiger werden, sondern zwei Stöpsel aus Silikon. Für ihre Ohren. „Manche Leute lieben die Musik so sehr, dass sie die Lautsprecher umarmen“, sagt Gelfei, die für die Musik vor sieben Jahren mit ihrem Mann David Merlino aus Sao Paulo nach Berlin gezogen ist. Gemeinsam sind sie PET Duo, sechs Mal waren sie als DJs bei der Mayday-Parade dabei, in Berlin spielen sie im Club Tresor, diesen Frühling geht es nach Tokio. Gelfei schwärmt davon, wenn man den Bass am ganzen Körper spürt. Weil sie schon genügend DJs kennt, die Tinnitus haben, also ein ständiges Pfeifen oder Klingeln im Ohr, oder schwerhörig sind, versucht die 39-Jährige ihre Ohren dabei zu schützen.

Unter 100 Dezibel empfiehlt der Berufsverband Discjockey e.V. Musik in Clubs laufen zu lassen. Das entspricht in etwa der Lautstärke eines Presslufthammers. Merlino und Gelfei sagen, dass auch 120 Dezibel nicht unüblich sind. Wer bei großen Festivals ganz vorne bei den Boxen stehe, könne noch mehr abbekommen. Die menschliche Schmerzgrenze liegt bei 130 bis 140 Dezibel, ab diesem Wert sprechen Ärzte von der Zerstörung des Gehörs.

Die volle Lautstärke bekommen im Club aber gar nicht die DJs ab, sondern die Besucher auf der Tanzfläche, auf die die großen Boxen gerichtet sind. DJs haben meistens zusätzlich ihre eigenen Monitorboxen, bei denen sie die Lautstärke selbst regulieren können. Dort gibt es häufig visuelle Lautstärke-Anzeigen, denn Lautstärke lässt sich ähnlich schwer schätzen wie Geschwindigkeit bei einer Autofahrt. Dazu kommt der Gewöhnungseffekt – je länger man sich im Club befindet, desto weniger laut empfindet man die Musik. Unter professionellen DJs ist Gehörschutz immer weiter verbreitet, sagt Gelfei, die Besucher kämen aber nach wie vor meistens ohne in den Club.

Aber selbst Menschen, die regelmäßig als DJs auflegten, wüssten oft zu wenig über die Folgen zu großer Lärmbelastung Bescheid, sagt Birgit Mazurek vom Tinnituszentrum der Charité Berlin. Viele ihrer Patienten reagieren mit großem Erschrecken, wenn sie hören, dass Tinnitus und Lärmschwerhörigkeit in den meisten Fällen irreversibel ist. Bei einem Lärm- beziehungsweise Knalltrauma, das häufig Ursache für chronischen Tinnitus ist, werden die inneren und äußeren Haarzellen in der Hörschnecke im Innenohr dauerhaft geschädigt. Die Patienten müssen lernen, mit der Beeinträchtigung zu leben. Sie habe auch schon 15-jährige Patienten gehabt, die weinten, weil sie nach einem einzigen Konzertbesuch auf beiden Ohren nur noch so viel hörten wie ein 45-Jähriger. Viele Jugendliche fänden Gehörschutz nicht sexy, sagt Mazurek. Sie vergleicht ihn mit Kondomen: „Für Club- oder Konzertbesuch gilt: Nicht ohne Schutz!“ Wobei man bei den Lautstärken, die in Clubs üblich sind, eigentlich „Mickey Mäuse“ tragen müsste, wie die Ohrenschützer des Flughafenpersonals wegen ihrer bauschigen Form auch genannt werden.

Schlechte Ohrstöpsel lassen die Musik dumpf wirken, deswegen sind sie bei Clubbesuchern unbeliebt, meint Patrick Gharapetian, der als DJ Patrick DSP mit PET Duo zusammenarbeitet. Professioneller Gehörschutz, der individuell den Ohren angepasst wird, verzerre die Musik nicht, sondern senke Höhen, Mitten und Tiefen gleichmäßig ab. Die Filter sind austauschbar und können zwischen neun und 25 Dezibel mindern. Aber auch nicht individuell angepasster Gehörschutz sei vom Klang teilweise sehr gut, es gebe große Qualitätsunterschiede. Gehörschutz unter Kopfhörern zu tragen sei dann reine Übungssache. Man müsse es zwei, drei Mal ausprobieren, um sich an das Tragegefühl und den Höreindruck zu gewöhnen, das sei nicht anders als bei neuen Schuhen. „Dass auf manchen Festivals Ohrstöpsel an Besucher verteilt werden, ist prinzipiell eine nette Geste und besser als nichts“, meint Birgit Mazurek. Sie fürchtet aber, dass sich die Besucher dadurch in „falscher Sicherheit“ wiegen und insgesamt zu lange laute Musik hören. Denn wer seine Ohren langfristig schützen will, muss nicht nur auf den Gehörschutz achten, sondern auch auf die Dauer, der er sich der Lautstärke aussetzt. Schon ab einem konstanten Lautstärkepegel von 85 Dezibel spricht man von einem Lärmarbeitsplatz. Ein Berufstätiger darf sich dort maximal acht Stunden aufhalten, dann muss er mindestens zwölf Stunden Pause machen. Schon bei 93 Dezibel riskiert man Schäden bereits nach vier Stunden.

Kurze Zeit im Club und ausreichend Pausen zwischen den Gigs, genau das wird als DJ immer schwieriger, je erfolgreicher man ist, sagt Anne Gelfei. Das Beste an ihren Silikonstöpseln kommt aber auch für sie am Ende der Nacht, sagt sie. Wenn sie die Stöpsel herausnimmt und ohne Pfeifen und Dröhnen einschlafen kann.

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