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Prof. Tsokos ermittelt: Obduktionen: Scanner statt Skalpell

Der Leiter der Berliner Rechtsmedizin, Michael Tsokos, fragt sich in seiner Tagesspiegel-Kolumne, wie Obduktionen in einigen Jahrzehnten aussehen werden.

Nichts ist so beständig wie der Wandel. Auch in der Rechtsmedizin fragen wir uns häufig, wie unsere Arbeit in 50 oder 80 Jahren aussehen wird. Werden computergenerierte Stimmen den Obduzenten noch während der Untersuchung die Ergebnisse und der Polizei den Täter präsentieren? Müssen unsere Kollegen im 22. Jahrhundert die Opfer von Tötungsdelikten womöglich nicht mehr aufschneiden, um eindeutig festzustellen, woran sie gestorben sind und was vor, während und nach dem Tod mit ihnen geschehen ist?

All das ist sehr gut möglich. In den letzten Jahrzehnten haben toxikologische Methoden und DNA-Analyse wahre Quantensprünge gemacht. Trotzdem hat sich an der eigentlichen Arbeitsweise im Obduktionssaal nur wenig geändert. Immer noch müssen sich Obduzenten bei unklaren Todesfällen auf ihre Sinne, ihre Ausbildung und den gesunden Menschenverstand verlassen. Aber auch das scheint sich jetzt zu ändern. Ende September fand in Berlin ein rechtsmedizinischer Kongress statt, zu dem über 500 Fachleute aus der ganzen Welt kamen, um sich über Neuerungen auszutauschen. Ein Schwerpunkt: Die Untersuchung von Verstorbenen mit Oberflächenscannern, Computertomografie, Kernspintomografie und Kontrastmittel.

Eine Arbeitsgruppe aus der Schweiz zeigte unter dem Titel „Willkommen in der Zukunft“, was in einigen europäischen Ländern bereits zum Standard gehört. Der „gläserne Tote“ ist dort Routine. Der Einsatz sogenannter bildgebender Verfahren trägt zur Verbesserung der Obduktionsbefunde und Ermittlungsergebnisse bei. Zum Beispiel lässt sich ein Projektil, das sich infolge eines Schusses im Körper eines Toten befindet, im Computertomografen eindeutig und zeitsparend lokalisieren. Ohne diese Ortung muss man erst aufwendig danach suchen. Außerdem können im Gerichtssaal mittels 3-D-Animation tödliche Verletzungen als Folge von Verkehrsunfällen oder Schlag- und Trittverletzungen rekonstruiert werden. Dadurch kann man auf die teilweise sehr blutigen Fotos verzichten, die bei der Obduktion gemacht werden. Es ermöglicht dem Gericht außerdem, am Tatgeschehen teilzuhaben. Für das spätere Urteil kann das entscheidend sein. Für Berlin sind solche technischen Neuerungen derzeit nicht in Sicht. Ein Computertomograf kostet 250 000 Euro, dafür fehlt das Geld. Dabei sollte eine gut funktionierende Rechtsmedizin, wie wir sie in Berlin haben, auch gut ausgestattet sein und über die neuesten Technologien verfügen, sonst verpasst die Hauptstadt den Anschluss. Andernorts ist die Zukunft längst Gegenwart.

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Michael Tsokos

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