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PROF. TSOKOS ermittelt: Zum Kämpfen abgerichtet

Der Tod des sechsjährigen Volkan aus Hamburg erschütterte viele Menschen. Der Rechtsmediziner Michael Tsokos untersuchte Opfer und Kampfhunde nach der tödlichen Attacke.

Der sechsjährige Volkan spielte auf dem Schulhof mit seinen Klassenkameraden Fußball, nichts ahnend. Wie hätte er auch auf die Idee kommen sollen, im nächsten Moment Opfer einer tödlichen Hundeattacke zu werden? Der Schulhof war umzäunt und somit vermeintlich sicher. Doch für die zwei Staffordshire Bullterrier war die 1,70 Meter hohe Mauer überwindbar. Sie sprangen hinüber und griffen Volkan an. Erst biss der eine Hund ihm in den Kopf, dann der andere. Der Besitzer versuchte noch, dazwischenzugehen – ohne Erfolg. Er bekam die unangeleinten Tiere nicht mehr unter Kontrolle, sie waren im Blutrausch. Ein Polizist erschoss die Hunde. Für Volkan kam jede Hilfe zu spät. Er verblutete noch auf dem Schulhof.

Der Hamburger Kriminalfall machte deutschlandweit Schlagzeilen. Es war einer der ersten Fälle, bei denen ich mein Fachwissen nicht nur auf Menschen, sondern auch auf Tiere anwenden konnte. Als Sachverständiger fertigte ich für den Prozess ein Gutachten an, obduzierte den Jungen und auch die Staffordshires. Ich wollte herausfinden, ob sie Zeichen früherer Hundekämpfe aufwiesen oder mit Anabolika oder Drogen „scharf“ gemacht worden waren. Letzteres war nicht der Fall, wie die chemisch-toxikologische Untersuchung belegte. Der Angeklagte bestritt, dass die Tiere als „Kampfhunde“ abgerichtet waren. Er hätte mit ihnen höchstens Stöckchenholen trainiert. Eine Lüge, wie die Obduktion belegte. Die Eckzähne der noch jungen Hunde waren sehr stark abgenutzt. Ein Hinweis darauf, dass die Tiere das Beißen regelmäßig trainiert haben müssen.

Der Fall ist einer derer, die mir besonders in Erinnerung geblieben sind. Denn nur selten werden wir bei unserer Arbeit mit veterinärpathologischen Fragestellungen konfrontiert. Unsere Mithilfe ist etwa gefragt, wenn es um den Verdacht auf Tierquälerei geht: Ist ein Hund bei lebendigem Leibe verbrannt? Wenn sich in den Atemwegen Rußpartikel finden oder im Herzblut Kohlendioxid nachgewiesen wird, so hat das Tier zur Tatzeit noch gelebt.

Die Schädel der beiden Kampfhunde, die Volkan totgebissen haben, liegen in einer Vitrine meines Büro – als mahnendes Bespiel dafür, wohin falsch verstandene „Tierliebe“ führen kann. Und um dem kleinen Jungen, dem es nicht vergönnt war, sein Leben zu leben, ein Andenken zu bewahren. Der Angeklagte wurde der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden und zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Bereits ein Jahr später wurde er entlassen und in sein Heimatland abgeschoben.

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Von Michael Tsokos

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