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Loslassen.

© picture-alliance/ ZB

Psychotherapie in Gruppen: Der heilsame Zirkel

Menschen werden als soziale Wesen geboren, die allein nicht überleben könnten. Auch in der Psychotherapie kann ein größerer Kreis von Vorteil sein. In Berlin besteht seit zehn Jahren ein Institut für Gruppenanalyse. Trotzdem sind viele Patienten immer noch skeptisch.

Philip ist ein besonderer Fall: Der Mann erzählt im Stuhlkreis lang und breit, wie ein ziemlich miesepetriger deutscher Philosoph, der schon längst nicht mehr lebt, ihm geholfen hat, sich von seiner quälenden Sexsucht zu befreien. Nun, dieser Philip Slat ist vielleicht ein wenig überzeichnet, schließlich ist er eine fiktive Figur, Protagonist des Romans „Die Schopenhauer-Kur“. Doch sein Erfinder, der amerikanische Kultautor Irvin D. Yalom, kann den Ablauf psychotherapeutischer Gruppensitzungen als Insider schildern. Der langjährige Psychiatrie-Professor von der Universität Stanford gilt als einer ihrer wichtigsten Befürworter.

Es kann deshalb durchaus vorkommen, dass die Steglitzer Psychoanalytikerin Hanna Reinhardt-Bork einem ihrer Patienten Yaloms im Jahr 2005 auf Deutsch erschienenen Roman zur Lektüre empfiehlt. Nämlich denen, die skeptisch reagieren, wenn sie ihnen eine Therapie in der Gruppe anbietet. Sie legt diese Therapieform zum Beispiel Männern und Frauen mit Depressionen und Angststörungen, aber auch Menschen mit massiven Selbstwertproblemen ans Herz, denen es nach einer Reihe von Einzelsitzungen zwar erkennbar besser geht, die aber trotz dieser Fortschritte weiterhin über ihre sozialen Beziehungen unglücklich bleiben. „Durch den Therapeuten lernt man ja nur begrenzt, mit seinen Mitmenschen ein gutes Auskommen zu finden“, sagt die Leiterin des Berliner Instituts für Gruppenanalyse e.V. (BIG), das in diesem Jahr als Zusammenschluss von Kollegen aus Ost und West sein zehnjähriges Bestehen feiern kann.

Als Einzelwesen ist der Mensch zumindest zu Beginn nicht lebensfähig, wir werden in eine Gruppe hineingeboren, doch um viele von uns schließt sich in unserer von Singles geprägten Gesellschaft später kein freundlicher Kreis, zumal in der Großstadt. Für den Kreuzberger Psychotherapeuten Kurt Husemann, den stellvertretenden Leiter des BIG, ist die Gruppenpsychotherapie deshalb auch „Antwort auf ein gesellschaftliches Defizit“.

Sie ist nicht neu: Schon in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelte der 1933 wegen seiner jüdischen Abstammung nach Großbritannien emigrierte deutsche Psychoanalytiker und Arzt Sigmund Heinrich Fuchs, der sich in England Foulkes nannte, sein Konzept des Individuums als eines „offenen Systems“, das von der „Gruppenmatrix“ beeinflusst werde. Foulkes stand Soziologen wie Norbert Elias und den Denkern der „Frankfurter Schule“ nahe, ohne soziale Bezüge war Therapie für ihn nicht denkbar.

Heute spielt Gruppentherapie in allen von den Krankenkassen anerkannten psychotherapeutischen Verfahren eine Rolle, ob nun Verhaltenstherapie, tiefenpsychologisch fundierte Therapie oder Psychoanalyse. Ein gemeinsamer Bundesverband der approbierten Gruppentherapeuten existiert seit 1999, seit einigen Jahren wird die Psychotherapie in Gruppen von den Kassen auch angemessen honoriert. In den Kliniken ist sie ohnehin verbreitet, in der ambulanten Versorgung sind vielfach schon die langen Wartezeiten auf eine Einzeltherapie ein Argument. Auch wer eine Gruppentherapie aus der eigenen Tasche bezahlt, kann sich das eher leisten als eine Einzeltherapie.

Trotz dieser Aufwertung wenden die Krankenkassen derzeit aber nur ein bis zwei Prozent der Gesamtkosten, die für ambulante Psychotherapien entstehen, für Behandlungen in Gruppen auf. Woran das liegen könnte, versuchte vor zwei Jahren die Deutsche Psychotherapeutenvereinigung in Zusammenarbeit mit der Uni Duisburg-Essen durch die Befragung von 2500 Therapeuten herauszufinden. Neben dem Fehlen geeigneter Räumlichkeiten und bürokratischen Hürden schreckt sie offensichtlich vor allem die mehrjährige Weiterbildung ab, die sie für Gruppentherapien nach ihrem Studium und der Ausbildung zum Psychotherapeuten noch „draufsatteln“ müssen.

Hanna Reinhardt-Bork und Kurt Husemann finden jedoch, dass der Aufwand sich lohnt. Oft müssen sie ihren Patienten anfangs die Angst nehmen, zu kurz zu kommen, noch dazu „unter lauter Kranken“. Die Gruppenanalytiker berichten dann von dem großen Gerechtigkeitsgefühl, das dort bestehe: „Jeder kommt zu Wort, es bleibt keiner übrig.“ Meist kommen in die Gruppen, die sechs bis neun Mitglieder umfassen, „Neue“ einzeln, wenn ein Platz frei wird. Themen sind nicht vorgegeben, jeder kann von seinen Schwierigkeiten berichten und Beobachtungen ansprechen, die er oder sie im aktuellen Gruppengeschehen macht. Die Gruppe fungiere oft als „Katalysator für fest sitzende Entwicklungsprozesse“, sagt Reinhardt-Bork, als Spiegel und als Bühne für alle Schwierigkeiten, die die Teilnehmer in den Beziehungen zu ihren Mitmenschen haben.

„Wir arbeiten mit den gesunden Anteilen unserer Patienten. Was die Gruppe kann, muss der Leiter nicht tun“, ergänzt Husemann. Seine Aufmerksamkeit ist trotzdem extrem gefordert, er muss auf die nonverbale Kommunikation der Schweigenden achten, die auf ihren Stühlen, ohne trennenden Tisch in der Mitte, im Kreis sitzen, er kann Kommentare und Deutungen anbieten, er sollte in geeigneten Momenten seine Beobachtungen ins Spiel bringen. „Ins Bewusstsein heben, was gerade passiert“, nennt es Reinhardt-Bork. Im besten Fall könne bei der Diskussion heikler Fragen in der Gruppe eine Offenheit entstehen, die die Teilnehmer aus der Partnerschaft und dem Freundeskreis nicht kennen. Denn den Mitgliedern der Therapiegruppe begegnen sie draußen im Alltag nicht, sie sind zudem zum Schweigen über deren Geschichten verpflichtet.

Die Gruppe könne auch deshalb Maßstäbe setzen, weil in ihr Menschen zusammenkommen, die sich draußen deutlich voneinander abgrenzen würden, die aus verschiedenen sozialen Milieus und Ländern stammen oder unterschiedliche sexuelle Orientierungen haben, so berichtet Husemann. „Die Gruppe ist deshalb auch ein Instrument demokratischen Lernens, schon durch einfaches Zuhören kann man sehr profitieren.“ Denn eines verbindet alle, die hier sitzen: Sie suchen nach Lösungen für zentrale Probleme ihres Lebens. Lösungen, die sie allein nicht finden können.

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