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Gesundheit: Rheuma: Den Körper vor sich selbst schützen

Auf einmal wurde der schwammige Begriff "Lebensqualität" erfreulich konkret. Seit Jahren litt Andrea J.

Auf einmal wurde der schwammige Begriff "Lebensqualität" erfreulich konkret. Seit Jahren litt Andrea J. an rheumatoider Arthritis, verbunden mit Psoriasis - eine Kombination, die gar nicht so selten ist und die unterstreicht, dass es sich um eine Auto-Immun-Erkrankung handelt; das körpereigene Abwehrsystem richtet sich "gegen sich selbst", bewirkt Zerstörungen der Knorpel und Gelenke sowie Schuppenflechte der Haut.

Folgerichtig hatte die 42-Jährige immunwirksame Medikamente erhalten. Zunächst Methotrexat (MTX), das aus der Krebsbehandlung stammt und im Hinblick auf die Nebenwirkungen "nicht ohne" ist. Wie oft bei Rheumatikern ließ die MTX-Wirkung nach ein paar Jahren deutlich nach. Anschließend hatte Frau J. zwar das Glück, in eine klinische Studie aufgenommen zu werden, in der die Kombination von MTX mit dem aus der Transplantationsmedizin bekannten Cyclosporin getestet wurde; ihr aber half es kaum.

Und nun das: Drei Stunden lag Andrea J. bei ihrer Rheuma-Ärztin und bekam einen "TNF-Alpha-Blocker" infundiert, ein Mittel aus der Gruppe der neuen, "biologischen" Antirheumatika. Schon am nächsten Tag begann das "Wunder", wie es die Patienten bezeichnet hatten, und binnen einer Woche gingen die Schmerzen zurück, die Verdickungen in Knien und Handgelenken ebenso, auch die Haut wurde besser. "Dabei hatte ich Angst", sagt Andrea J., "Angst weniger vor den Nebenwirkungen als davor, dass dieser letzte Strohhalm nichts bringt. Doch es ist phantastisch." TNF-Alpha-Blocker (TNFa) als Wunderwaffe? In gewisser Weise schon.

Die Substanzen hemmen den Tumornekrosefaktor (daher TNF), der sowohl im Krebsgeschehen als auch beim Aufrechterhalten entzündlich-rheumatischer Prozesse eine wichtige Rolle spielt. Weltweiten Studien zufolge helfen sie bei über 60 Prozent gerade jener Patienten mit rheumatoider Arthritis, bei denen "Basistherapeutika" nicht oder nicht mehr anschlagen. Sowohl das subjektive Befinden - eben die ominöse "Lebensqualität" - als auch die Laborwerte werden besser. Wichtiger noch: Die Zerstörungsprozesse in Gelenken und Knorpelmasse werden aufgehalten, mitunter sogar leicht rückgängig gemacht.

Geringe Nebenwirkungen

Die unerwünschten Wirkungen hingegen sind erstaunlich gering: Meist milde Reaktionen an der Injektionsstelle, leichte Harn- oder Atemwegsinfektionen. Äußerst selten bricht eine latent vorhandene Tuberkulose aus - diese Gefahr kann durch gezielte Voruntersuchungen ausgeschaltet werden. Das theoretische Hauptrisiko liegt woanders: Eben weil die Stoffe am Immunsystem ansetzen, könnte sich irgendwann herausstellen, dass sie die Bildung von Tumoren fördern.

Bisher, nach rund vier Jahren Erfahrung mit den TNFa-Blockern, ist kein solches Ereignis eingetreten. "Bis zur absoluten Gewissheit darüber dauert es noch ein paar Jahre", sagt auf Anfrage Professor Joachim Kalden von der Universität Erlangen, der als führender deutscher Rheumatologe maßgeblich an den internationalen TNFa-Studien beteiligt ist. Das gelte ebenso für die Frage, ob die erstaunliche Wirkung der "Wunder-Stoffe" anhält, oder ob sie ähnlich wie beim MTX nach einiger Zeit nachlässt.

Aber schon heute ist klar: Nach jahrelangem Stillstand in der Rheumaforschung ohne auch nur den Ansatz einer ursächlich wirkenden Therapie, nach Jahrzehnten, in denen es gerade mal um Schmerzdämpfung und Entzündungshemmung gegangen war, scheint die Molekularmedizin nun einen wirklichen Fortschritt gezeitigt zu haben. Das gilt übrigens auch für Kinder, bei denen andere Mittel nicht anschlugen. Bisher sind zwei Varianten zugelassen. Die Substanz Etanercept (Handelsname: "Enbrel") ist ein Fusionsprotein, das - gekoppelt an Teile eines Immunglobulins - als Rezeptor für den Tumornekrosefaktor alpha fungiert; es bindet also das zerstörerische Molekül.

Bei Infliximab (Präparatename "Remicade") hingegen handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper, der wie ein Schlüssel im Schloss die TNFa-Aktivität blockiert. Der Effekt ist ähnlich: Der Tumornekrosefaktor, der seinerseits Fresszellen auf die Reise schickt, die im Gelenk Abbau-Enzyme aktivieren, verliert an Schrecken.

Ob sich eine der beiden biotechnisch hergestellten Substanzen als überlegen erweist, ist nicht restlos geklärt. Wahrscheinlich werden beide im "therapeutischen Arsenal" benötigt. Laut Kalden kann "Remicade funktionieren, wenn Enbrel nicht anschlägt - und umgekehrt". Generell ist hier ebenso wie bei anderen Arzneimitteln nicht geklärt, warum es "Non-Responders" gibt, die Therapie also nicht bei 100 Prozent der Leidenden anschlägt.

Früherkennung verbessert

Spannend ist indessen, was der Erlanger Forscher und Arzt über die sich abzeichnende Möglichkeit berichtet, schon vorher festzustellen, welchem Patienten welche Substanz helfen kann. Offenbar gibt es Abweichungen im genetischen Code, die für das Nicht-Funktionieren des einen oder des anderen Moleküls ursächlich sind.

Weitere TNFa-Blocker befinden sich in klinischer Prüfung. Einer davon mit dem Substanznamen Adulumimab (Prüfbezeichnung: D2E7) wird im Gegensatz zu Infliximab nicht aus tierischen, sondern komplett aus menschlichen Zellen hergestellt. Folglich bestehen Chancen, dass weniger unerwünschte Effekte auf das Immunsystem eintreten; nach bisherigen Erkenntnissen scheint D2E7 gleich wirksam wie die schon zugelassenen Substanzen.

Ganz neu, noch in der Entwicklung, sind Ansätze, höher in der Immunkaskade einzugreifen, nämlich mit Interleukinen jene Zytokine zu blockieren, die in der Hierarchie über dem Tumornekrosefaktor stehen und diesen steuern. "Remicade" darf nur zusammen mit MTX verabreicht werden, hauptsächlich, weil die Kombination hilft, sich bildende Antikörper gegen die therapeutischen Moleküle zu unterdrücken. "Enbrel" ist auch als Monotherapie zugelassen, aber auch hier scheint die Kombination mit Basistherapeutika besser zu sein.

Es war nicht ganz einfach für Andrea J., eine kompetente Ärztin zu finden - die TNF-Behandlung muss von spezialisierten Rheumatologen zumindest eingeleitet werden - und die Bezahlung der sündhaft teuren Therapie durch die gesetzliche Krankenkasse zu regeln. Auf die Kosten der hochinnovativen Mittel angesprochen, hält Profesor Kalden die Tatsache gegen, dass sich bei der rheumatoiden Arthritis schon nach zwei Jahren Gelenkschäden einzustellen beginnen, die meist zu lebenslanger Arzneitherapie, Krankenhausaufenthalten und vor allem Frühberentung führen.

Alle acht Wochen muss Andrea J. nun an ihren Infliximab-Tropf. Das nimmt sie gerne in Kauf. "Ganz nebenbei" benötigt sie kaum noch Schmerzmedikamente und entzündungshemmendes Cortison. Ihr geht es "besser als seit Jahren - und von Nebenwirkungen keine Spur."

Justin Westhoff

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