zum Hauptinhalt

Gesundheit: RU 486 und der schonendere Schwangerschaftsabbruch

Eigentlich gibt es nichts Neues: Die medizinische Fachwelt kann sich inzwischen weltweit auf Erfahrungen mit über 500 000 Patientinnen stützen.Und der hiesige Berufsverband der Frauenärzte e.

Eigentlich gibt es nichts Neues: Die medizinische Fachwelt kann sich inzwischen weltweit auf Erfahrungen mit über 500 000 Patientinnen stützen.Und der hiesige Berufsverband der Frauenärzte e.V.betrachtet seine Stellungnahme zu RU 486 (jetziger Handelsname: Mifegyne) aus dem Jahr 1993 weiterhin als aktuell.Damals wie heute befürwortet er die Anwendung der sogenannten Abtreibungspille, "weil sie als eine schonendere Methode zum Abbruch einer Schwangerschaft einem instrumentellen Eingriff vorzuziehen ist".

Neu ist allerdings, daß die Anwendung der von den Frauenärzten befürworteten Methode jetzt auch in Deutschland in den Bereich des Möglichen gerückt ist.Denn ihr Miterfinder und derzeitiger Produzent, der Franzose Edouard Sakiz, will noch im Januar seinen Antrag auf EU-weite Zulassung vorlegen.Der Hoechst-Konzern, damaliger Inhaber der Aktienmehrheit der französischen Pharma-Firma Roussel, hatte Sakiz die Rechte für die Substanz, deren Einführung in Frankreich heftige Proteste aus Kirchenkreisen erregte, im Jahr 1997 gratis überlassen.

Worum geht es, medizinisch gesehen? Das Präparat RU 486 enthält den Wirkstoff Mifepriston.Er hebt die Wirkung des weiblichen Sexualhormons Progesteron auf, das nicht nur für die Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter, sondern auch für die Erhaltung einer Schwangerschaft in der Frühphase wichtig ist.Wird das Progesteron blockiert, so bricht die Schleimhaut der Gebärmutter zusammen.Als Erfinder der medikamentösen Abtreibung gilt der französische Biochemiker Etienne-Emile Baulieu, der 1969 mit der Entdeckung der Andockstelle für Progesteron in den Zellen die Voraussetzung dafür geschaffen hatte.

Ein Schwachpunkt des Verfahrens lag allerdings zunächst in der nicht oder nur unvollständig erfolgenden Abstoßung des Embryos.Erst die zeitlich versetzte Gabe von Medikamenten einer anderen Gruppe erhöhte die Erfolgsquote auf über 95 Prozent.Diese Prostaglandine, die in der Geburtshilfe als Wehenmittel eingesetzt werden, erhöhen den Spannungszustand der Gebärmuttermuskulatur, die sich zusammenzieht und die abgestorbenen Reste von Frucht und Schleimhaut abstößt.

Die hohe Wirksamkeit der Methode ist jedoch an ihre frühe Anwendung gebunden: Nach der neunten Schwangerschaftswoche ist ihre Anwendung nicht mehr sinnvoll, wie Martin Link, Zweiter Vorsitzender des Berufsverbandes der Frauenärzte, betont.Bis zur 7.Woche nach der letzten Menstruation, also bis zu fünf Wochen nach der Empfängnis, kann Mifepriston nach Auskunft des Dresdner Gynäkologen mit gleichen Erfolgsaussichten auch ohne Prostaglandine gegeben werden.Die wehenfördernden Mittel sollten Frauen mit hohem Blutdruck oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen wegen der Nebenwirkungen nicht einnehmen.

RU 486 ist in Frankreich seit 1988, in Schweden und England seit etwa zwei Jahren zugelassen.In der DDR wurde es seit 1988 im Rahmen mehrerer Studien an den Universitäts-Frauenkliniken in Greifswald und Jena eingesetzt.Die zum Abbruch entschlossenen Frauen konnten dabei zwischen der operativen und medikamentösen Form wählen.Wolfgang Straube, Chefarzt der Greifswalder Klinik, berichtet gegenüber dem Tagesspiegel von guten Ergebnissen."Die Akzeptanz war sehr gut, es wurde kaum über Nebenwirkungen geklagt."

Wegen der veränderten rechtlichen Bedingungen - in der DDR war der Schwangerschaftsabbruch bis zur 12.Woche auch ohne Beratung möglich - wurde die Medikamentenerprobung nach der Wende abgebrochen.Wo RU 486 heute zugelassen ist, ist seine Anwendung an strenge Auflagen gebunden.Neben der selbstverständlichen Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und der Beschränkung auf die Frühphase der Schwangerschaft möchten auch die deutschen Gynäkologen dessen Abgabe an Ärzte mit spezieller Zulassung beschränkt sehen.Eine Light-Version des Schwangerschaftsabbruchs wird es auch im Fall der Zulassung des Medikaments nicht geben: "Durch die unglückliche Bezeichnung als `AbtreibungspilleÔ wird nahegelegt, daß da etwas Einfaches abläuft", sagt Link.

Nicht nur die Entscheidung gegen das Kind, sondern auch der Vorgang der Abtreibung wird jedoch psychisch belastend bleiben.Als zusätzliche Belastung könnte beim medikamentösen Abbruch empfunden werden, daß nun die Frau selbst durch die Einnahme der Tabletten aktiv wird.Straube findet es aus ärztlicher Sicht richtig, daß "die Frau, die den Abbruch wünscht, dadurch mehr Verantwortung übernimmt".

Auch die Prozedur selbst wäre keineswegs kurz und schmerzlos: Erst nach der gesetzlich vorgeschriebenen Beratung bei einer autorisierten Beratungsstelle darf nach geltendem Recht die Schwangere den Frauenarzt aufsuchen, der den Abbruch vornimmt.Sie würde dort unter Aufsicht 600 Milligramm Mifepriston einnehmen.Nach 36 bis 48 Stunden stünde dann, wiederum beim Arzt, die Einnahme des Prostaglandin-Präparats an.Zur Überwachung der Blutungen sollte die Frau anschließend mehrere Stunden in der Praxis oder Klinik bleiben.Zehn Tage später würde eine Kontrolluntersuchung folgen.Daß RU 486 jemals im großen Maßstab als "Pille danach" mißbraucht werden könnte, ist daher unwahrscheinlich: Der gesamte Vorgang ist zu aufwendig und seelisch belastend.

Körperlich allerdings, davon sind Link und seine Kollegen überzeugt, ist der medikamentöse Abbruch bei richtiger Anwendung schonender.Zwar wurde durch die Einführung der Vakuumaspiration, einem Absaugverfahren, die Komplikationsrate gegenüber früheren Eingriffen mit der Abortzange oder der Auffüllung der Fruchtblase mit hochprozentiger Zuckerlösung schon um die Hälfte gesenkt.Doch "es bleibt eine mechanische Methode", betont Link.Zur Aufdehnung des Gebärmutterhalses wird dabei unter örtlicher Betäubung ein Rohr eingeführt.Um das Zurückbleiben von Schleimhautteilen im Uterus zu verhindern, muß dieser ausgeschabt werden.Denn selbst erbsengroße Teilchen verursachen Komplikationen.

Die Instrumente können die durch die Schwangerschaft aufgelockerte empfindliche Gebärmutter leicht verletzen.Außerdem sind spätere Frühgeburten zu befürchten, wenn der Verschlußmechanismus des Gebärmutterhalses verletzt wird.Wird dagegen durch das Medikament eine Fehlgeburt ausgelöst, so ist der weitere Ablauf spontan.Ein instrumenteller Eingriff und eine Narkose entfallen.

"Eine Gesellschaft, die Schwangerschaftsabbrüche erlaubt, muß auch dafür sorgen, daß schonendere Methoden verfügbar sind", sagt Link."Wir Frauenärzte werden hier von Staat und Kirche ziemlich alleingelassen", sekundiert Straube.Daß die Frage der Straffreiheit von Abtreibungen in der Gesellschaft kontrovers diskutiert und immer wieder neu aufgerollt wird, ist für die Gynäkologen dabei das eine.Dafür RU4 86 als Aufhänger zu wählen, wie es die deutschen Bischöfe, "allesamt hochintelligente Leute", derzeit tun, führt nach Links Überzeugung allerdings in die Irre: "Es ist zwar eine Gelegenheit, die Diskussion neu zu entfachen.Aber sie ist dann mit Mißverständnissen durchsetzt." Einen Seitenhieb auf die Kirchenmänner kann auch Straube sich nicht verkneifen: "Sie haben mehr Distanz zu den in Not gekommenen Frauen."

ADELHEID MÜLLER-LISSNER

Zur Startseite