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Gesundheit: Schön auf den Beinen bleiben

Strikte Bettruhe schadet den Patienten. Mit neuen Tests lässt sich die Thrombose-Gefahr frühzeitig erkennen

Das rechte Bein war bläulich und geschwollen. Der Mann hatte ein Druckgefühl, aber kaum Schmerzen. Trotzdem suchte er noch kurz vorm Ende der Sprechstunde ärztlichen Rat; ganz gezielt in einer phlebologischen, also auf Venenleiden spezialisierten Praxis. Denn tags zuvor war er aus Amerika zurückgekehrt, und man weiß ja, dass ein Langstreckenflug ein gewisses, wenn auch meist überschätztes Risiko für die Venen ist.

Durch die Bewegungslosigkeit der in enge Sitzreihen eingeklemmten Passagiere bildet sich leicht ein „Thrombus“. Der Gerinnselpfropf aus unlösbarem Fibrin und Blutkörperchen verstopft eine Vene und staut den Blutfluss - wie ein Unfallwagen oder „Gegenstände auf der Fahrbahn“ den Verkehrsfluss. Mit dem Fall des Flugpassagiers begann die Berliner Phlebologin Ingelore Warsow kürzlich auf dem Deutschen Ärztekongress ihren Beitrag zu einer Vortragsreihe über die tiefe Bein- und Beckenvenenthrombose.

„Tief“ heißt hier nicht: im unteren Teil des Beines, obgleich die meisten Thrombosen sich tatsächlich in der Wade bilden. Gemeint sind vielmehr die tief innen liegenden Venen. Zu den – nicht immer vorhandenen – Beschwerden gehören Spannungsgefühl, Schmerz, Schwellung, Wärme und Hautverfärbung. Dagegen ist die entzündliche Gerinnselbildung in oberflächlichen Venen (Thrombophlebitis) immer zu sehen und auch zu spüren.

Das Bein ist rot, heiß und berührungsempfindlich. Oft ist die verstopfte Vene als harter Strang zu tasten. Man kann die Beschwerden mit Umschlägen und entzündungshemmenden Schmerzmitteln lindern, aber eine oberflächliche Venenentzündung verschwindet auch bald von selbst. Gleichzeitig kann aber eine tiefe Venenthrombose bestehen, und die muss schleunigst erkannt und sachgemäß behandelt werden. Sonst kann es zu schweren Komplikationen kommen: zur chronischen Venenschwäche oder zur – manchmal tödlichen – Lungenembolie.

Dank medizinischer Forschung und ärztlicher Erfahrung haben sich Diagnostik und Therapie in letzter Zeit erheblich gewandelt, wie die Berliner Vortragsreihe zeigte. Bei den jetzt möglichen Untersuchungen scheint man allerdings auch oft zu übertreiben. Da ist zum Beispiel das „D-Dimer-Antigen“. Ist sein Wert erhöht, weist dies auf verstärkte Fibrinbildung hin.

Der Grenzwert wird jedoch bei fast allen schweren Krankheiten überschritten. Deshalb taugt dieser Test nicht zum Finden, sondern nur zum Ausschluss einer Thrombose; man hat mit Sicherheit keine, wenn der Wert normal ist.

Trotzdem wird dieser Test sehr oft angewandt. Nach Meinung von Hanno Riess, Blutspezialist an der Charité, ist das in 80 Prozent der Fälle überflüssig und daher ökonomisch nicht vertretbar. Ähnliches gilt offenbar für Tests auf eine genetisch bedingte Neigung zur Thrombose wegen Veränderungen an verschiedenen Blutgerinnungsfaktoren, am häufigsten „Faktor V“. Aber nur, wenn zur genetischen Belastung noch andere Risiken kommen, ist die Thrombosegefahr wesentlich erhöht, sagte Riess.

Eine Studie ergab zum Beispiel, dass etwa drei Prozent der Patienten nach einer Operation eine Venenthrombose bekamen; die Hälfte von ihnen hatte eine Faktor V-Mutation. Für sinnvoll hält Riess die Fahndung nach einer angeborenen Gerinnungstendenz (Thombophilie) daher nur bei Personen mit Thromboserisiken wie zum Beispiel Kontrazeption mit der „Pille“, Schwangerschaft, Verletzungen, chirurgische Eingriffe oder lange Bettlägerigkeit. Er kritisierte „die Ausuferung unsinniger oder unnötiger Diagnostik“. Nach seiner Erfahrung hat die Untersuchung aller möglichen Faktoren „oft nur wissenschaftliche Bedeutung, muss aber nicht klinisch sinnvoll sein. Wann soll das soziale System die Kosten tragen, wann nicht?“

Die Therapie wurde wesentlich verbessert. Sicherer geworden ist das gerinnungshemmende Heparin, das bei einer akuten Venenthrombose mindestens eine Woche lang in den Muskel gespritzt wird. „Niedermolekulares“ (fraktioniertes) Heparin führt längst nicht mehr so leicht zu Blutungen wie das traditionelle. Auch die längerfristig einzunehmenden thromboseverhütenden Tabletten mit dem Wirkstoff Cumarin (zum Beispiel Marcumar) lassen sich heute ganz individuell und gezielt dosieren. Dann wird durch diese Gerinnungshemmer (Antiakoagolanzien) das Blut zwar dünnflüssiger, normalerweise droht jedoch keine Blutungsgefahr.

„Aber ich rate den Patienten, wenn sie sich mal schneiden, länger auf die Stelle zu drücken als sonst, um das Blut zu stillen“, sagte Ingelore Warsow. Besondere Blutungsrisiken, etwa durch Magengeschwüre, Verletzungen, Operationen, müssen in Rechnung gestellt werden. Von der tatsächlich riskanten Lyse, der Auflösung von Venenthromben mit Streptokinase, ist man weitgehend abgekommen – wegen der Nebenwirkung: Tod durch Hirnblutung.

Noch vor einigen Jahren verordneten die Ärzte den Thrombosepatienten erst einmal strikte Bettruhe. „Damit haben wir ihnen wahrscheinlich eher geschadet“, sagte die Venenspezialistin selbstkritisch. Man meinte, durch die Immobilisierung das Hochwandern des Thrombus und damit die gefürchtete Lungenembolie verhindern zu können. „Dann müsste man den Menschen aber auch das Atmen verbieten.“ Durch Bewegungslosigkeit vergrößert sich das Gerinnsel noch. „Viel Gehen oder Rad fahren“ heißt heute der ärztliche Rat – genau wie bei einer oberflächlichen Venenentzündung und wie zur Vorbeugung von Venenleiden.

Auch sonst bringt man die Thrombosepatienten jetzt richtig auf Trab. Die Blutgerinnungstests, die bei Behandlung mit Antikoagulanzien nötig sind, machen in Deutschland schon 80 000 der Patienten selbst; vor allem stark beruflich Beschäftigte und Reiselustige, die nicht ständig zum Arzt gehen können. Früher sprach man nur vom Quick-Wert, heute auf von „INR“ (International Normalized Ratio): Zur Standardisierung werden die Differenzen „ausgetrickst“, die durch verschiedene Labormethoden entstehen, sagte Ingelore Warsow.

Sie plädiert für eine ganz überwiegend ambulante Behandlung der tiefen Venenthrombose: „Ein Patient, der in die Praxis kommt, braucht nicht in die Klinik“; außer er lebt allein und ist zu alt oder zu hinfällig, um mit der Heparinspritze, den Kompressionsstrümpfen und den Tabletten zurecht zu kommen.

Denn die Therapie-Routine wird heute mehr und mehr den Patienten selbst überlassen. Sogar bei einer leichteren Lungenembolie schickt die Phlebologin sie nicht ins Krankenhaus. Die gerinnungshemmende Therapie wirkt ja auch dann.

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