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Gesundheit: Schweinezellen im OP

Von Nicola Siegmund-Schultze Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit ist die Xenotransplantation (die Transplantation von Tier zu Mensch) Realität geworden – nicht als Routinebehandlung, auch nicht für ganze Organe. Aber Zellen vom Tier werden inzwischen auf ihre Wirksamkeit am Menschen überprüft.

Von Nicola Siegmund-Schultze

Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit ist die Xenotransplantation (die Transplantation von Tier zu Mensch) Realität geworden – nicht als Routinebehandlung, auch nicht für ganze Organe. Aber Zellen vom Tier werden inzwischen auf ihre Wirksamkeit am Menschen überprüft.

Zum Beispiel an der Harvard Medical School in Boston. Dort implantiert das Team um den Neurologen Samuel Ellias Parkinsonkranken embryonale Schweinezellen ins Gehirn. Vorstudien hatten nämlich ergeben, dass sich die Nervenzellen der Borstentiere gut im Hirn des Menschen einleben: Sie nehmen Kontakt mit benachbarten Nervenzellen auf und können Dopamin produzieren können, den Botenstoff, an dem es Parkinsonkranken mangelt. Die Symptome besserten sich in den früheren Studien um durchschnittlich zwanzig Prozent, bei einigen Probanden um fünfzig Prozent.

„Xenotransplantation wird tatsächlich gemacht“, stellte denn auch die Medizinerin Karin Ulrichs von der Universität Würzburg auf dem 5. Symposium der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Xenotransplantation am Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin trocken fest. In Deutschland betrifft das meist eine Unterstützungen der menschlichen Leber mit Zellen vom Schwein. Bei dem Verfahren wird das Blut der Patienten durch eine Art Bioreaktor geleitet, der 300 bis 700 Gramm Schweineleberzellen enthält, berichtete der Chirurg Igor M. Sauer von der Berliner Charité. Allein an der Charité konnte bei acht Patienten die Zeit bis zur Lebertransplantation erfolgreich überbrückt werden.

Weil sich bislang aber nicht ausschließen lässt, dass bei einer solchen Therapie Krankheitserreger vom Tier auf den Menschen übertragen werden, füllen die Forscher an der Charité die Reaktoren inzwischen mit menschlichen Zellen. „Wir verwenden Lebern, die für die Transplantation abgelehnt worden sind“, sagte Sauer. Die Reaktoren werden zwei bis drei Wochen für einen eventuellen Einsatz bereit gehalten.

In der Schweiz wollen Forscher ebenfalls Xenotransplantationen machen. Patrick Aebischer, Präsident der Polytechnischen Hochschule in Lausanne, hat die Versuche beim nationalen Bundesamt für Gesundheit beantragt.

Ebenso wie in Boston sollen in der Schweizer Studie Parkinson-Patienten behandelt werden, sagte Aebischers Kollege William Pralong im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Die Probanden sollen gentechnisch veränderte Mauszellen enthalten, die von einer Kapsel umhüllt sind – zum Schutz vor Immunreaktionen und vor dem Austausch von Krankheitserregern. In die Mauszellen haben die Forscher das humane Gen für einen Nervenwachstumsfaktor eingeschleust. Er regt Zellen mit degenerierten Nervenendigungen an, auszusprossen und wieder Kontakte zu benachbarten Neuronen herzustellen. Er bewirkt auch, dass die Neuronen Dopamin produzieren. „In Primaten hat das Behandlungsprinzip sehr gut funktoniert. Jetzt ist der nächste Schritt, es beim Menschen zu erproben“, sagt Pralong und hofft, dass die klinischen Versuche im nächsten Jahr starten können.

In den USA bieten Firmen wie Diacrin und Genzyme aus Boston oder Alexion aus Ceshire im Bundesstaat Connecticut, Zubereitungen von Schweinezellen an, die außer gegen Parkinson auch gegen Epilepsien, Schlaganfälle oder Rückenmarksverletzungen helfen sollen.

Es gibt also bereits erste klinische Erfahrungen mit der Übertragung von Zellen vom Tier zum Menschen. So hat man in Schweden Inselzellen aus der Bauchspeicheldrüse des Schweins Diabetikern implantiert.

Ob und wann ganze Organe vom Tier folgen werden, ist ungewiss. Das Infektionsrisiko will man durch engmaschige, lebenslange Überwachung der Organempfänger und ihrer nahen Kontaktpersonen so weit wie möglich reduzieren. Eine vor drei Jahren im US-Fachblatt „Science“ veröffentlichte Studie mit 160 Menschen, die Zellen oder Organe (Milz) vom Tier erhalten hatten, gab keine Hinweise auf Infektionen mit Tiererregern.

Ungelöst bei einer Implantation von Tierorganen ist die Frage, ob sich die Immunbarriere überwinden oder Abstoßungsreaktionen wenigstens kontrollieren lassen. Dazu müsste man nach Meinung vieler Forscher zumindest teilweise eine Immuntoleranz gegenüber dem Transplantat hervorrufen können. Schließlich lässt sich ein Herz nicht verkapseln.

Unklar ist auch, ob Tierorgane im Menschen überhaupt richtig funktionieren würden. „Bei einer Niere oder Leber vom Schwein hätte ich große Zweifel, weil sie Eiweiße bilden oder von Eiweißen beeinflusst werden, die sich zwischen den Arten erheblich unterscheiden“, sagt Claus Hammer vom Institut für Chirurgische Forschung an der Universität München. Ungewiss sei auch, ob die Schweineorgane nicht in einer anderen Art und Weise altern wie menschliche Organe.

Die Hoffnung vieler Forscher ruht auf dem Mai kommenden Jahres. Dann sollen bei der Novartis-Tochter Immerge BioTherapeutics in Charlestown (US-Bundesstaat Massachusetts) Minischweine auf die Welt kommen, die den in Minuten einsetzenden Abstoßungsreaktionen keinen Angriffspunkt mehr bieten.

Zudem bilden die Tiere keine endogenen Retroviren, von denen befürchtet wird, sie könnten im Menschen Krankheiten wie Immunschwäche auslösen. Vor Versuchen am Menschen müssen aber erst Experimente an Affen erfolgreich verlaufen.

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