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Gesundheit: Schwitzen und staunen

In den Semesterferien verschlägt es die Uni-Angehörigen in alle Welt. Einige schreiben uns. Die erste Campus-Postkarte kommt aus Izmir

Liebe Kommilitonen,

ich bin mit dem Wunsch in die Türkei aufgebrochen, eine Kultur besser verstehen zu lernen, die mir aus Berlin wohlbekannt ist, aber in vielen Aspekten fremd. Wie sieht das Leben in einem Land aus, in dem die Gefängnisse voll mit politischen Häftlingen sind und in dem Folter unglaubliche Ausmaße angenommen hat? Die Frage kann ich Euch schon beantworten: Das Leben sieht auf den ersten Blick ganz normal aus. Auf den zweiten Blick jedoch merke ich, dass ich in einem Land voller Gegensätze gelandet bin.

Da ist einerseits die moderne Uniklinik der 9. Eylul Universität und andererseits ist da das Health Center 2. Inonü, in dem ich gerade famuliere und das in einem kurdischen Flüchtlingsviertel liegt. Hier sind die medizinischen Verhältnisse alles andere als modern. Ich untersuche mit der diensthabenden Ärztin eines der vielen Kinder, die hergetragen werden. Seufzend kehrt sie wieder an den Schreibtisch zurück und erklärt mir, dass sie das Kind wieder nach Hause schicken muss, weil die Familie weder einfache weiterführende Diagnostik, noch ein Medikament zahlen könne. Die nächste Patientin kommt verschleiert und eingehüllt in drei Schichten, während mir in einem T-Shirt und 36 Grad Celsius der Schweiß herunterrinnt. Irgendetwas stimmt nicht, die Ärztin runzelt die Stirn: Wir brauchen eine Dolmetscherin, denn die Frau spricht nur kurdisch.

Ich bin immer wieder gerührt von der Freundlichkeit der Menschen und werde täglich auf der Straße angesprochen von Leuten, die wissen wollen, woher ich komme. Ich genieße das türkisblaue Meer, habe einen Wassermelonenbauch bekommen und gewöhne mich langsam an den gemächlichen Lebensrhythmus. Wenn die türkische Sprache mal wieder wie ein Rätsel mit sieben Siegeln ist und die Hitze schier unerträglich, heißt es Abwarten und Teetrinken. Wenn ich dann nach einer Weile aufspringe mit dem dringenden Bedürfnis, etwas zu tun, ernte ich verständnislose Blicke und fühle mich sehr deutsch.

Nächsten Monat werde ich ein Praktikum beim IHD, dem türkischen Menschenrechtsverein, und in einem Rehabilitationszentrum für Folteropfer machen. Ich bin gespannt, wie Menschenrechtsarbeit in der Türkei aussieht und habe noch viele Fragen. Um auf sie eine Antwort zu finden, muss ich wahrscheinlich noch viel Tee trinken. Ob Ihr es glaubt oder nicht, dieses heiße, süße Getränk ist bei der Hitze tatsächlich erfrischend.

Viele Grüße, Anna Hachfeld, Medizinstudentin im 8. Semester an der Humboldt-Universität Foto: dpa

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