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Wie wirkt sich das Gewimmel in Metropolen auf die Gesundheit ihrer Bewohner aus?

© dpa

Seelische Gesundheit: Macht das Leben in Großstädten krank?

Über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten, und es werden immer mehr. Macht das Großstadtdasein die Seele krank? Für Berlin ist offenbar eher Optimismus angesagt.

„Gewimmel, welch Gewimmel. Wie sich das bewegte.“ Franz Biberkopf ist schwer beeindruckt. Der Held von Alfred Döblins Roman hat vier Jahre im Gefängnis Tegel verbracht, nun ist er entlassen und fährt mit der Straßenbahn in Richtung „Berlin Alexanderplatz“. Er ist angesichts des brodelnden Großstadtlebens verwirrt. Und fühlt Chancen und Risiken der wiedergewonnenen Freiheit.

Stadtluft macht frei – so sagt man, seit Menschen im Mittelalter Städte gründeten, um der Leibeigenschaft auf dem Land zu entkommen. In den letzten Jahren haben Wissenschaftler allerdings zunehmend die Frage diskutiert, ob das Leben in modernen Städten, vor allem in Großstädten, krank machen kann. Bedeutsam ist sie schon deshalb, weil heute mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in urbanen Agglomerationen lebt. 2050 werden es rund 70 Prozent sein, wenn der Trend sich fortsetzt.

Die Besorgnis gilt – neben Umweltproblemen wie Lärm- und Feinstaubbelastung – nicht zuletzt der seelischen Gesundheit. „Stress and the City“, das war der griffige Titel einer Diskussionsveranstaltung, zu der die Theodor-Fliedner-Stiftung zusammen mit der Alfred-Herrhausen-Gesellschaft und der Charité vor kurzem eingeladen hat. Es sei wohl die Kombination aus sozialer Verdichtung und sozialer Vereinzelung, die den besonderen Stress des Großstadtlebens ausmache, so Psychiater Mazda Adli, langjähriger Mitarbeiter an der Klinik für Psychiatrie der Charité auf dem Campus Mitte und neuer Chefarzt der Fliedner-Klinik. „Städte machen uns nicht psychisch krank, sie verändern aber unter Umständen unsere stressabhängige Emotionsverarbeitung.“

Stadtleben beeinflusst Gehirnfunktion

Dafür mehren sich die wissenschaftlichen Belege. Ein besonders pfiffiger kam vor zwei Jahren aus der Stadt Mannheim: Dort hatten Psychologen um Florian Lederbogen und Andreas Meyer- Lindenberg vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit gesunde Freiwillige einem höchst unangenehmen Stresstest mit dem treffenden Namen MIST (für: Montréal Imaging Stress Test) unterzogen. Die Probanden lagen in einem funktionellen Magnetresonanztomografen (fMRT), wo sie unter Zeitdruck schwierige Rechenaufgaben lösen und sich dabei zudem kritische Bemerkungen des Versuchsleiters gefallen lassen mussten. Kein Wunder, dass sie alle unter Stress gerieten, dass Blutdruck und das Stresshormon Cortisol anstiegen.

Gleichzeitig wurde bei ihnen aber auch die Aktivität in Hirnarealen angekurbelt, die für die Verarbeitung von Stress zuständig sind. Doch hier beginnen schon die Unterschiede zwischen Metropolenbewohnern und Landeiern: Bei den Versuchspersonen, die aktuell in Großstädten lebten, war der Mandelkern, die Amygdala, deutlich aktiver, eine Struktur des Gehirns, in der vor allem negative Gefühle verarbeitet werden. Je kleiner der Wohnort, desto ruhiger blieb es in diesem speziellen Hirnstübchen. Die Mannheimer machten noch eine zweite Entdeckung: Je mehr Lebensjahre die Versuchsteilnehmer in Großstädten verbracht hatten, desto aktiver zeigte sich im Hirnscanner ein anderes Hirnareal namens perigenualer anteriorer cingulärer Cortex (kurz pACC). Von dort aus wird die Aktivität des Mandelkerns gesteuert. „Das Stadtleben interagiert mit unserem Gehirn“, so resümiert Psychiater Adli.

Risiko für psychische Erkrankungen bei Städtern deutlich erhöht

Die sichtbaren Unterschiede passen zu Studienergebnissen, die einen Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und Leben in der Großstadt belegen: So haben Städter gegenüber Landbewohnern ein doppelt so hohes Risiko, an einer Schizophrenie zu erkranken, das Risiko für eine Depression und auch die Gefahr, eine Angsterkrankung zu bekommen, ist bei ihnen deutlich erhöht. Liegt es daran, dass die Stadt nicht das natürliche Biotop des Menschen ist, dass sie uns überfordert? So könnte man spekulieren, einen Beweis für eine kausale Beziehung liefern die Daten allerdings nicht: Es könnten unter den Menschen, die sich im Verlauf der Jahrhunderte in den Städten angesiedelt haben, ja auch besonders viele gewesen sein, die zwar einerseits besonders unternehmungslustig, andererseits aber auch psychisch besonders labil waren – und diese Anlagen an ihre Nachkommen weitergegeben haben.

„Das Leben in der Großstadt stresst nicht alle, sondern nur einige“, so der bekannte Depressionsforscher Florian Holsboer, Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München. Tempo, Mobilität, Nervosität, Verlockungen und Möglichkeiten: All das wird mit der Großstadt verbunden. Und es ist verlockend. „Hat man jedoch das Gefühl, all das nicht kontrollieren zu können, so kann dieser Kontrollverlust zu krank machendem Stress führen, und das ist ein typisches Großstadtproblem“, so Holsboer. Der Psychiater plädierte allerdings auch dafür, die Menschen als anpassungsfähige Spezies zu betrachten. „Diese Möglichkeiten zur Anpassung müssen wir stärken, damit Menschen das Faszinosum der Großstadt nutzen können. Wer aber den Stress ganz und gar abschaffen möchte, der würde die Menschheit abschaffen.“

Berlin – Großstadt ohne Leistungsdruck

Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie der Charité Mitte, gab zu bedenken, dass viele psychisch Erkrankte alles lieber wollen als in ihre Kleinstadt zurückzukehren. Die viel beschworene Anonymität der Großstadt kann offensichtlich auch einen Schutzraum schaffen und Toleranz vor Stigmatisierung schützen. „Die eigentliche Hölle, das ist doch das flache Land“, befand anschließend Entertainer Harald Schmidt, der als Schirmherr der Stiftung Deutsche Depressionshilfe an der Diskussion teilnahm. Ohne Stadt und Land derart plakativ gegeneinander auszuspielen, kann man doch feststellen: In Großstädten gibt es nicht nur ein anregendes kulturelles Angebot, sie bieten auch die bessere medizinische Versorgung, zudem ist die zukunftsweisende Forschung meist dort angesiedelt.

Was aber könnte gegen die typische „Stadt-Gefahr“ getan werden, ständig in Tuchfühlung mit anderen und trotzdem isoliert und von Einsamkeit bedroht zu leben? Adli sieht eine praktikable Möglichkeit darin, mehr Orte der Begegnung zu schaffen. Dafür könne sogar das Grillen im Park gut sein, besser als eine perfekt gestaltete Grünfläche. Was den Stresslevel der Hauptstadt betrifft, so hatte schließlich Harald Schmidt noch ein etwas zwiespältiges Kompliment für die größte deutsche Metropole übrig: „Die ideale Stadt ist für mich Berlin – weil da kein Leistungsdruck herrscht.“

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