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Gesundheit: Sie dürfen sich nicht geschlagen geben

Unfälle beim Sport im Alter nehmen zu – aber das ist kein Grund, der Bewegung den Rücken zu kehren

Von Adelheid Müller-Lissner

Sport zu treiben im höheren Lebensalter, mit alten Knochen und Gelenken – ist das vernünftig oder verwegen? Immerhin sind 40 Prozent der Patienten, die in unfallchirurgischen Kliniken behandelt werden, über 60 Jahre alt. Wer sich als Rentner erstmals aufs Extremklettern oder aufs Drachenfliegen verlegt, erhöht seine Chancen, dazuzugehören. „Sport fordert seinen Preis“, sagt deshalb auch der Marburger Unfallchirurg Leo Gotzen. Um nicht missverstanden zu werden, ergänzt er sofort: „Das Verletzungsrisiko steht in keinem Verhältnis zum Nutzen.“

Gotzen widmete sich dem Thema „Sportverletzungen im Alter“ beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, der am Freitag in Berlin zu Ende ging. Er unterschied dabei zwischen „Sportschäden“ auf Grund einer chronische Überlastung; meist kommt es dabei zu winzigen Verletzungen des Gewebes und Schmerzen.

Auf der anderen Seite gibt es die akuten Verletzungen. Das sind die dramatischen Fälle: Ein Kreuzbandriss mitten im Handballspiel, ein mehrfacher Knochenbruch auf der Skipiste – das sind die Fälle, die in die Unfallstatistik eingehen.

Aus Alpinski wird Langlauf

25 Prozent aller Unfälle ereignen sich heutzutage beim Sport. Zum Vergleich: Im Jahr 1914 war es nur ein Prozent. Das aber kann durchaus als gute Nachricht gedeutet werden. Erstens zeigt es, dass der Sport inzwischen enorm an Bedeutung gewonnen hat. Außerdem hängt der Befund damit zusammen, dass die Arbeitswelt in der Zwischenzeit immer sicherer geworden ist – selbst der Straßenverkehr forderte in den letzten Jahren etwas weniger Opfer.

Rein zahlenmäßig sind von Sportunfällen vor allem die Jungen betroffen: Die meisten Sportunfälle passieren den 20- bis 29-Jährigen. Einer Schweizer Untersuchung zufolge sind die über 50-Jährigen noch nicht einmal mit zehn Prozent vertreten. Eine andere Auswertung der Fälle aus Gotzens Marburger Klinik ergab sogar, dass die „Generation 50 plus“ nur 3,4 Prozent der beim Sport Verletzten stellte. Das kommt zum einen daher, dass nur wenige Senioren überhaupt sportlich aktiv sind: Einer österreichischen Untersuchung zufolge treiben 63 Prozent der über 50-jährigen Bürger der Alpen(!)-Republik überhaupt keinen Sport.

Die Minderheit der Aktiven schwenkt zudem mehrheitlich auf weniger gefährliche Bewegungsarten um: „Die meisten Älteren verlagern ihre sportlichen Aktivitäten von Risikosportarten auf sanftere Formen“, sagte Gotzen. Beispiel: Aus Jogging wird sportliches Gehen, aus Alpinski wird Langlauf. Fast die Hälfte der Verletzten verunglückt allerdings bei einer Tätigkeit, die in vielen Statistiken gar nicht als Sport auftaucht: beim Fahrrad fahren.

Kuno Weise von der Unfallklinik der Berufsgenossenschaften in Tübingen nannte beim Kongress Golf als die Sportart, die inzwischen in höheren Altersgruppen für die höchste Verletzungsrate sorgt. Das liegt nicht daran, dass der Sport mit dem aristokratischen Image so besonders gefährlich wäre – er ist nur unter Älteren besonders beliebt: Mehr als die Hälfte der Spieler sind heute über 50. Weise ist weit davon entfernt, von dieser sportlichen Betätigung an der frischen Luft abzuraten – auch wenn die Drehbewegung des Rumpfs beim Golfschwung nicht ganz ohne ist: „Um Schultergelenke, Arme, Rücken und vielleicht auch das künstliche Hüftgelenk zu schonen, sollte deshalb unbedingt das Training angepasst und zusätzlich auch Ausgleichsgymnastik getrieben werden.“ Geeignete Technik und ein gutes Muskelkorsett beugen Überbelastungen des Rückens, aber auch der Handgelenke, des Ellbogens und der Knie vor.

Kommt es beim Sport im Alter zu ernsthaften Verletzungen, so unterscheiden die sich nicht grundsätzlich von denen der jüngeren Sportliebhaber. Weise wies jedoch darauf hin, dass der Ort des Geschehens sich bei den Knochenbrüchen etwas von unten nach oben verschiebt: Bei jüngeren Sportlern sind in drei Vierteln der Fälle die Beine, bei den älteren immerhin in 43 Prozent die bei ihnen oft brüchigeren Knochen von Ober- und Unterarm betroffen.

Hürden für die Genesung

Das sollte aber nicht den Eindruck erwecken, Knochenbrüche im Alter seien ein „Privileg“ der Sportler, ganz im Gegenteil: Die meisten Brüche von Oberschenkelhalsknochen oder Armen gehen auf Stürze bei ganz unscheinbaren Alltagsverrichtungen zurück. Gründe dafür sind unter anderem brüchige Knochen bei Osteoporose, Muskelschwäche und schwindende Koordinationsfähigkeit, also Alterserscheinungen, die durch viel Bewegung eher aufgehalten werden. „Hinfallen ist dann meist der Beginn des Hinfälligwerdens“, sagte Wilhelm Friedl vom Klinikum Aschaffenburg. Die Verminderung der Knochensubstanz und der Muskelkraft, aber auch Erkrankungen wie Herzschwäche oder Diabetes führen dazu, dass Operationen schwieriger werden, oft bilden sie sogar unüberwindliche Hürden für die Genesung.

„Wer sein Leben lang Sport getrieben hat, kommt dagegen nach einer Verletzung schneller wieder auf die Beine“, weiß Unfallchirurg Weise aus langjähriger Berufserfahrung. Sportliche Senioren überstehen meist Operationen besser und können dank kräftigerer Muskeln und besserer allgemeiner Kondition früher wieder aufstehen. Sie haben allerdings, wie Friedl berichtete, bis ins hohe Alter auch besonders hohe Ansprüche an die Arbeit der Unfallchirurgen. „Ziel ist die volle Wiederherstellung aller Funktionen – bis hin zur Sportfähigkeit.“

Adelheid Müller-Lissner

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