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Gesundheit: Sommerakademie in Budva: Noch einen Krieg soll es nicht geben

Stille im Seminarraum am Meer. Nur die Papierbögen in den Händen von vierzig Studenten rascheln.

Von Caroline Fetscher

Stille im Seminarraum am Meer. Nur die Papierbögen in den Händen von vierzig Studenten rascheln. Anonym sollen alle aufschreiben, was ihnen zu den Schlagzeilen einer deutschen Tageszeitung über die Attacken auf New York und Washington einfällt. Sie kommen aus der gesamten "Region", wie man die Länder und Republiken zwischen Mazedonien und Slowenien, Serbien und Kosovo hier diplomatisch getauft hat.

Die Weltpolizei ist angegriffen", schreibt ein Student, und fügt hinzu: "Haben diese Polizisten immer das Recht, überall ihre Finger im Spiel zu haben?" Eine Studentin notiert: "Das ist Terrorismus. Die gewöhnlichen Menschen sind daran nicht schuld." Ebenso lakonisch wie doppeldeutig tut einer kund: "Keine Macht dauert für die Ewigkeit. Trotzdem finde ich es nicht richtig, dass unschuldige Leute leiden." Mit großer, selbstbewusster Handschrift behauptet ein weiterer: "Das ist ein Krieg zwischen Barbaren und zivilisierten Menschen. Ganz Europa steht auf der Seite Amerikas." Das ist keineswegs Konsens: "Ich bin erschüttert, aber irgendwie froh", gibt jemand zu. "Endlich ist Amerika gezeigt worden, dass es nicht so sicher und in Selbstzufriedenheit leben kann."

Leicht lässt sich erraten, wo die Schreibenden herkommen: Ihre Ansichten spiegeln die der Eltern und Großeltern. Die meisten der etwa Zwanzigjährigen sehen "Amerika" noch nicht aus eigener Perspektive. "Man ist schockiert", schreibt jemand traurig. "Und um einen herum freuen sich andere."

30 Studenten, die einander sonst kaum je begegnen würden, haben hier im montenegrinischen Badeort Budva eine Oase für ihre Sommerakademie geliehen bekommen. Zwischen karstigen Bergen, Zypressen und Zitronenbäumen liegt der Seminarort, in dem der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) den jungen Germanisten von Universitäten in Albanien und Serbien, Kosovo und Kroatien, Slowenien und Bosnien Herzegowina einen Schutzraum bietet. Die werdenden Deutschlehrer und Übersetzer haben sich hier mit Kleist und Goethe beschäftigt, mit Thomas Gernhardt und Stefan Raab, deutscher Alltagskultur und Popmusik. Einer der Studenten kann "Maschendrahtzaun" mit sächsischem Einschlag sagen, manche waren als Flüchtlinge in Deutschland, und haben die Sprache im Ohr, die sie jetzt als Jungakademiker verbindet.

Aber aus eigenem Antrieb würden etwa Serben und Kosovo-Albaner sich kaum treffen. "Es ist ein Balanceakt, Studenten aus der Republika Srpska neben Studenten aus Prishtina im Seminar zu haben", erklärt DAAD-Dozent Stephan Rauert, der in Novi Sad lehrt. "Wir versuchen, alles sachlich und fachlich zu halten. Es geht nicht um Politik."

Deutsch, Englisch und Französisch sind Sprachbrücken, an deren anderen Ufer "Europa" steht. An 15 Universitäten beschäftigt der DAAD Dozenten, die neben Fachkenntnis über große Sensibilität für die Region verfügen müssen.

Auf der Sommerakademie in Budva ist bisher alles gut gegangen. Tado aus dem kroatischen Osijek, der junge Mann mit dem langem Pferdeschwanz, teilt sich ein Zimmer mit dem kurzgeschorenen Njegos aus Novi Sad, dessen serbische Familie aus Kroatien vertrieben wurde. "Die beiden wohnen hier ohne Probleme zusammen!", freuen sich die Dozenten.

Aber beim Thema "Amerika" ist der Frieden vorbei - nach zehn "unpolitischen" Seminartagen. Wieso deutsche Zeitungen automatisch auf der Seite Amerikas stehen, wollen einige der serbischen Teilnehmer wissen. Dass Zeitungen eben eine Meinung haben müssen, wirft ein Albaner ein. Nein, Zeitungen müssen objektiv sein, findet eine Kroatin. Was wäre objektiv? Es ist kein Geheimnis, dass auch in Belgrad manche den Angriff auf die USA mit "klammheimlicher Freude" wahrgenommen haben.

"Amerika will Weltpolizist sein, das kann nicht gut gehen!", erklärt Njegos bitter. "Wie kannst du das sagen?", ruft ein Kosovo-Albaner. Er fühlt sich von Amerika, von der Nato gerettet. Eine Kroatin fragt Njegos, ob sich die Serben nicht auch wie eine Polizei aufgeführt hätten, die die ganze Region dominieren wollte? Die Parallele ist für ihn schwer erträglich. Er kontert, die Toten im Golfkrieg seien den Amerikanern gleichgültig gewesen. "Davon redet keiner!" Mitten im Wortgemenge verlassen zwei oder drei Teilnehmer den Raum, den Tränen nah. "Ich will nur nicht, dass es noch einen Krieg gibt", hat eine Studentin aufgeschrieben. "Noch einen würde ich nicht aushalten." Ein Wortgefecht ist schon da, in diesem Raum, ein ununterdrückbares. Ob die Stundenten sich eine überregionale Zeitung vorstellen könnten, für die ganze Region? Endlich sind sich alle einig: "Auf keinen Fall!", rufen mehrere zugleich.

In den kommenden Stunden gibt sich die Gruppe Mühe, ruhig zu wirken, fast, als seien sie ein bisschen beschämt über den Ausbruch. "Es war wichtig, dass die Realität Thema wurde", findet eine der DAAD-Dozentinnen. "Nur so kann etwas heilen." Und mit Erstaunen hören die Dozenten ein paar Stunden später, dass sich ein paar der Kroaten und Serben überlegt hätten, eine überregionale Zeitung sei doch eine ganz gute Idee. Sie wollen zusammen versuchen, eine zu gründen, als Online-Ausgabe.

Auf der Abschiedsparty in einer Diskothek vor der Altstadt von Budva, tanzen tatsächlich alle zu Pop und Techno, Musik aus Griechenland, Kroatien, Serbien und - Amerika. Als wollten sie einander beweisen, dass sie auch anders können. Die Arme um die Schultern der Nachbarn, bilden sie nach der Krise einen Kreis. Einig sind sie sich, das haben sie hier begriffen: Noch einen Krieg soll es nicht geben.

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