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Gesundheit: Sonne auf Erden

Die Weltgemeinschaft baut einen Reaktor, in dem Atomkerne verschmelzen – die Energie der Zukunft?

Seit dreieinhalb Jahren ist der Entwurf für den internationalen Fusionsreaktor fertig. Seither haben die Staaten darüber gestritten, wo die Anlage gebaut wird. Erstmals soll darin ein Sonnenfeuer zünden, das sich bei einer Temperatur von 100 Millionen Grad selbst am Brennen hält und Energie liefert. Wenn dies gelingt, könnte die Kernfusion in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts zu einer unerschöpflichen Energiequelle werden.

Japan möchte den Reaktor im eigenen Land bauen und wird von den USA und Südkorea politisch unterstützt. Die Europäer aber beanspruchen für sich, den Hauptteil der Forschung und Technik entwickelt zu haben. Zusammen mit Russland und China haben sie sich auf Frankreich als Sitzland geeinigt. Sie wollen von ihrem Standort Cadarache nicht mehr abrücken und den 4,6 Milliarden Euro teuren Testreaktor dort gegebenenfalls sogar ohne japanische Hilfe bauen. Die EU-Forschungsminister werden sich womöglich heute bei Verhandlungen in Wien endgültig entscheiden.

Noch größer als die politischen sind aber die physikalischen Probleme. Auch sie gilt es zu lösen.

In der Sonne brennt seit 4,5 Milliarden Jahren ein Fusionsfeuer. Ihre enorme Schwerkraft hält den Brennstoff, vorwiegend Wasserstoff, beisammen. Die Wasserstoffkerne stoßen sich wegen ihrer positiven Ladung gegenseitig ab. Doch bei einigen Millionen Grad sind die Partikel so schnell, dass sie immer wieder zusammentreffen und sich sehr nahe kommen. In einer langen Reaktionskette können sie sich zu Helium verbinden, geben dabei jede Menge Energie ab und fachen so neue Fusionsprozesse an.

Ob sich eine solche Kernfusion in absehbarer Zeit auch auf der Erde in Gang halten lässt, ist auch nach jahrzehntelanger Forschung noch nicht erwiesen. „Sie können sicher sein, dass wir selbst die größten Bedenkenträger sind“, sagt Ralph Dux vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching. Dort steht in einer Halle, abgeschirmt durch eine anderthalb Meter dicke Betonmauer, Deutschlands bedeutendste Kernfusionsanlage. Viel von dem, was den geplanten, viermal größeren internationalen Fusionsreaktor („Iter“) ausmachen wird, haben Forscher in den vergangenen Jahren erstmals in Garching getestet.

Das Herz der Anlage ist verborgen: der Kessel, in dem das Gas aus geladenen Teilchen, das „Plasma“, immer wieder kurz auflodert. Partikel wie Wasserstoffkerne fusionieren darin und erzeugen so Energie. Der Behälter ist eingepfercht in Magnete, Heiz- und Kühlrohre. Derzeit steht die Apparatur still. Sie wird für den nächsten Testlauf vorbereitet.

Als Dux, in braun meliertem Sakko, die Eingangsschleuse zum Plasmagefäß betritt, kommt gerade ein Techniker im mintgrünen Reinraumanzug und mit weißem Häubchen auf dem Kopf bäuchlings aus dem Behälter gekrochen. Kurz darauf schiebt auch Dux seinen Oberkörper in die schmale Öffnung. Neben ihm schlängeln sich zwei Staubsaugerrohre in den Reaktorinnenraum. „Kommen Sie, schauen Sie sich das auch einmal an“, sagt der 42-Jährige.

Das Plasmagefäß glänzt metallisch. Spiegelblanke Platten bedecken die Wände. Sie ähneln jenen Hitzeschutz-Kacheln, mit denen die Nasa ihren Space-Shuttle beim Wiedereintritt in die Atmosphäre vor dem Aufheizen schützt. Die Platten kleiden den gesamten Innenraum aus, einen Ring, der gerade so groß ist, das man darin im Kreis laufen kann.

Für gewöhnlich kreisen hier geladene Gasteilchen. Sie werden über elektrische Ströme, Hochfrequenzstrahlen und einen kleinen Beschleuniger auf Touren gebracht und aufgeheizt. Ein starkes Magnetfeld zwingt sie anschließend dazu, auf Kurs zu bleiben. Das Magnetfeld soll das Plasma regelrecht einschließen, es von den Wänden fernhalten.

An den kalten Wänden würde das Plasma nämlich sofort abkühlen. Es würde außerdem die Kacheln angreifen und Stoffe aus ihnen herauslösen. Dux prüft gegenwärtig eine Beschichtung der Ziegel mit Wolfram, die robuster zu sein scheint als das sonst übliche Graphit.

Seit den 60er Jahren testen Forscher in Garching neue Wandmaterialien. Sie versuchen das Plasma einzusperren und in der Schwebe zu halten. Anfangs erschien ihnen das nicht sonderlich schwierig, sie wähnten die Fusion in greifbarer Nähe. Aber sie mussten einsehen, dass sich ein heißes Plasma nicht leicht zähmen lässt. Noch heute überrascht es die Physiker.

„Das Plasma ist turbulent“, sagt Hartmut Zohm, Leiter der Experimentalphysik am Garchinger Institut. Um es zu isolieren und sauber zu halten, lenken Forscher jene Teilchen, die sich der Wand des Gefäßes nähern, die Ausreißer sozusagen, auf geeignete Auffangplatten am Boden des Reaktors. Die dazu erforderliche Magnetfeldanordnung (Divertor) wurde in Garching erfunden und ist Bestandteil aller Fusionsanlagen weltweit.

Bislang können die Forscher in ihren Reaktoren gleichwohl nur ein sehr dünnes Brenngas bändigen. Damit sich die spärlichen Plasmateilchen trotzdem begegnen und fusionieren, müssen sie noch stärker aufgeheizt werden als im Sonneninneren: bis auf 100 Millionen Grad.

„Wir heizen unser Plasma von außen, um Energieverluste zu decken“, sagt Zohm. Beim internationalen Fusionsreaktor dagegen soll das Plasma nur einmal angezündet werden – wie mit einem Streichholz. Danach muss Iter wenigstens ein paar Minuten lang genug Energie produzieren, um sich selbst zu heizen und zusätzlich Wärme nach außen abzugeben. Mit dieser Wärme sollen eines Tages Turbinen angetrieben werden, die elektrischen Strom erzeugen.

„Wir haben keine Ahnung, wie sich das Plasma unter dieser Selbstheizung verhält“, sagt Zohm. Es werde eine unbekannte Eigendynamik entwickeln. „Was das physikalische Verständnis betrifft, wird das der größte Schritt bei Iter sein.“

Zohm ist mit 42 Jahren jung genug, Iters Reaktorbetrieb noch miterleben zu können. Er hofft, dass deutsche Forscher bei den Experimenten eine führende Rolle spielen werden, wenn die zehnjährige Genehmigungs- und Bauzeit verstrichen ist. „Das wird frühestens Ende 2015 sein“, sagt der britische Nuklearingenieur William R. Spears.

Der Testreaktor werde dann ein paar Jahre mit Wasserstoff als Brennmaterial laufen, anschließend mit Deuterium und erst von 2020 an mit einem Gemisch aus den beiden schweren Wasserstoff-Spielarten Deuterium und Tritium. In diesen Brennstoff setzen die Physiker ihre Hoffnungen. Denn er verspricht die größte Energieausbeute bei der niedrigsten Fusionstemperatur.

Deuterium ist in den Weltmeeren reichlich vorhanden. Das radioaktive Tritium dagegen ist rar. Für Iter wird man es in Kanada kaufen, wo es als Abfallprodukt eines speziellen Kernreaktors anfällt. Der Nachfolgereaktor von Iter wird das Tritium hingegen während der Fusion laufend selbst erzeugen müssen. In einem geschlossenen Kreislauf.

Entscheidend für diesen Kreislauf sind die Neutronen. Bei jeder Fusion von Tritium mit Deuterium entsteht neben Helium ein Neutron (siehe Grafik). Diese Neutronen machen aus der Fusion eine nicht ganz so saubere Technik wie gewünscht: Sie bestrahlen die Wände und erzeugen in der gesamten Anlage radioaktive Stoffe. Mit Betriebsende eines Fusionsreaktors werden einige 10000 Tonnen radioaktiver Abfall anfallen. Dieser ist allerdings weder für Atomwaffen zu gebrauchen noch so langlebig wie die Abfallprodukte der Kernenergie.

Die Forscher möchten möglichst viele Neutronen mit lithiumhaltigen Keramikplatten einfangen. Denn Lithium verwandelt sich bei der Aufnahme eines Neutrons in Tritium. So gewinnt man den verbrauchten Brennstoff zurück. Bei einem Teil dieser Reaktionen entsteht sogar ein weiteres Neutron.

Da aber nicht jedes Neutron mit Lithium reagiert, müssen die bei der Fusion entstandenen Neutronen mit Hilfe einiger Tricks vervielfacht werden. Nur so kommt am Ende wieder genügend Tritium heraus, mit dem das Plasma aufgefrischt werden kann.

Ob es möglich ist, einen solchen Kreislauf und über ihn die Kernfusion aufrechtzuerhalten, wird nicht Iter, sondern erst sein Nachfolgereaktor zeigen. Beim augenblicklichen Tempo der internationalen Fusionspolitik wird dann bereits das Jahr 2050 nahen.

Frühestens in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts werden die ersten kommerziellen Fusionsreaktoren ans Stromnetz gehen können. Wie und ob sie dann in die Energie- und Umweltpolitik der Länder hineinpassen und ob sie preiswerten Strom produzieren können, bleibt einstweilen offen.

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