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Gesundheit: Soziologie: Sich oft vergleichen - kein gutes Zeichen

"Ist dieser Eisverkäufer glücklicher als ich?" "Gemessen an dem armen Schwein da hinten bin ich aber eigentlich noch ganz gut dran!

"Ist dieser Eisverkäufer glücklicher als ich?" "Gemessen an dem armen Schwein da hinten bin ich aber eigentlich noch ganz gut dran!" Der Mensch besitzt offenbar eine Art "sozialen Radar", der die Umgebung nach fremden Schwingungen abscannt. Nach den neuesten Erkenntnissen der Psychologie sollten wir diesen Detektor aber ruhig mal öfters abschalten, denn glückliche Zeitgenossen stellen ausgesprochen selten soziale Vergleiche an.

Das Glück, das höchste der Gefühle, bleibt auch nach Jahren empirischer Forschung flüchtig und nebelhaft. Auf der Suche nach den selig machenden Faktoren haben die Psychologen besonders die objektiven Lebensumstände wie Einkommen, Familienstand, Alter, Geschlecht und Beruf anvisiert. Es ist jedoch einer der wenigen Eckpfeiler unseres Wissens, "dass die objektiven Bedingungen das Glücksniveau zu einem sehr viel geringeren Maße beeinflussen, als die Intuition und die alltägliche Lebenserfahrung suggerieren", gibt die Psychologin Sonja Lyubomirsky von der University of California in Riverside zu bedenken.

Segnungen wie Reichtum, Jugend oder Gesundheit machen individuell höchstens vier Prozent des emotionalen Wohlbefindens aus. Selbst kombiniert legen diese Wohltaten maximal zehn bis 15 Prozent der individuellen Unterschiede im "Glücksquotienten" fest, der nachweislich von Person zu Person differiert. Lottogewinner verspürten in einer berühmten Studie nur in den ersten Wochen nach dem großen Coup einen euphorischen "Kick", dann wurden sie vom Alltag eingeholt.

Das Glück, so eine zentrale Schlussfolgerung, wird weniger durch objektive Verhältnisse als durch deren subjektive Wahrnehmung determiniert, urteilt Lyubomirsky. "Wir haben bei unseren Forschungen herausgefunden, dass sich glückliche Menschen die natürlich vorkommenden Ereignisse und die künstlich geschaffenen Umstände im Labor so zurechtlegen, dass sie eine glückliche Verfassung und ein positives Selbstbild fördern. Unglückliche fassen ihre Erlebnisse in einer Weise auf, die Unwohlsein und ein negatives Selbstbild schürt."

Der soziale Vergleich stellt nun eine der bedeutendsten Strategien der subjektiven Deutung dar: Das Ich zieht Parallelen zu den andern, um sich selbst zu schmeicheln, um sich selbst herabzusetzen und manchmal sogar, um sich eine Scheibe abzuschneiden. Mitunter genügt bereits die schlichte Anwesenheit eines schlechter Gestellten, um den Vergleich "nach unten" anzuregen. Das zeigt ein Experiment mit Probanden, die schriftlich über ihr Wohlbefinden Auskunft gaben. In Gegenwart eines Rollstuhlfahrers gaben die Teilnehmer eine höhere Lebenszufriedenheit an.

Lyubomirsky und ihre Mitarbeiter haben in verschiedenen Laborexperimenten mit "Frohnaturen" und "Miesepetern" die Neigung zum Herstellen von sozialen Vergleichen untersucht. Quintessenz der Studien: "Im Gegensatz zu unglücklichen Personen ziehen glückliche soziale Vergleichsinformationen nur sehr zurückhaltend zu Rate - und wenn, dann nur, um ihr Wohlbefinden und ihre Selbstachtung zu schützen." Der Glücksforscher Ed Diener von der University of Illinois zieht in einer aktuellen Übersicht eine ähnliche Bilanz: "Neurotische und depressive Menschen zeichnen sich durch ein auffallend starkes Interesse an sozialen Vergleichen aus."

In einem Experiment sollten die Probanden Denksportaufgaben lösen, die aus Wörtern mit umgestellten Buchstaben (Anagrammen) bestanden. Ein andermal bestand die Aufgabe darin, anderen Teilnehmern etwas beizubringen. Am Ende der Übungen wurde den Probanden rückgemeldet, die anderen Versuchspersonen hätten die Aufgaben sehr viel besser oder schlechter gelöst. Zwar rief die Information, dass andere schlechter abgeschnitten hätten, bei Glücklichen und Unglücklichen eine gewisse Erleichterung hervor. Doch im Gegensatz zu den Miesepetern ließen sich die Frohnaturen durch die angebliche Überlegenheit der Mitstreiter nicht unterkriegen.

Probanden mit niedrigem Glücksquotienten zeigten auch eine Lebenshaltung die den Glücklichen völlig fehlte: Sie fühlten sich am besten, wenn sie selbst schlecht abschnitten und die Rückmeldung erhielten, dass die Leistung der anderen noch schlechter war. Ein gutes Abschneiden, verbunden mit der Rückmeldung, dass die anderen noch besser da standen, ließ dagegen bei den Unglücklichen Unzufriedenheit zurück.

Glückliche Versuchsteilnehmer nahmen zudem ihre eigenen Leistungen als sehr veränderbar wahr. Das hatte zur Folge, dass die Glanzleistungen ihrer Mitstreiter für sie keine Bedrohung, sondern lediglich eine Herausforderung bedeuteten. Die Welt der Glücklichen sei in erster Linie eine Welt, die aus lukrativen Möglichkeiten und Alternativen besteht, so Lyubomirsky. Die Welt der Unglücklichen ist dagegen ein trister Ort, an dem man lediglich zwischen mittelmäßig und schlecht oder gar zwischen schlecht und noch schlechter wählen kann.

Die Konfrontation mit unschmeichelhaften sozialen Vergleichsinformationen zieht bei unglücklichen Menschen sogar den Intellekt in Mitleidenschaft. Die Probanden mit den Anagramm-Aufgaben sollten nämlich in Anschluss an die Leistungsrückmeldung Gedächtnis- und Verständnisaufgaben lösen. Nach dem Hinweis, sie seien von den andern ausgestochen worden, legten die Miesepeter eine besonders hohe Fehlerrate an den Tag.

Bleibt die Frage, ob Unglücklichsein das Herstellen von Vergleichen provoziert, oder ob nicht umgekehrt Vergleichsinformationen über Glück und Unglück entscheiden. Nach Vermutung von Lyubomirsky handelt es sich bei dieser Beziehung um einen spiralförmigen Prozess, bei dem sich Ursache und Wirkung in beide Richtungen verstärken: Wer gut oder schlecht drauf ist, macht oder unterlässt bestimmte Vergleiche, was dann wieder die ursprüngliche Stimmung potenziert.

Rolf Degen

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