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Gesundheit: Spätantiker Tempel: Wo mit dem ägyptischen Stil gebrochen wurde

Jedes Reliefbild des Pharao gleicht dem anderen aufs Haar. Maßarbeit der Steinmetzen.

Jedes Reliefbild des Pharao gleicht dem anderen aufs Haar. Maßarbeit der Steinmetzen. Denn im pharaonischen Ägypten stand die Kunst im Dienst der religiösen Kulthandlungen und duldete keine Abweichung von der Norm. Das Kunstwerk in Deir al-Haggar, das das ewige Rollenspiel vom Pharao zeigt, der den Gottheiten opfert, war über 1500 Jahre von einer Wanderdüne bedeckt. Es gehört zu einem erst kürzlich freigelegten spätantiken Tempel in Dachla - diese Oase wurde bislang wie die anderen Oasen der West-Wüste Ägyptens von der Forschung weitgehend ignoriert.

Mit 400 Fundstellen ist das Gebiet, rund 800 Kilometer südwestlich von Kairo gelegen, jetzt das wohl spannendste Forschungsterrain. Hier lagern nämlich unter dem Sand zwei erhaltene Großstädte. Seit Beginn der diesjährigen Grabungskampagne sind Wissenschaftler und Studenten der Ägyptologie an der Berliner Humboldt-Universität hier in die Dokumentations- und Forschungsarbeit einbezogen.

Am pulsierenden Handelsweg

Weitab von der Hochkultur des Niltals hatte sich an der Oase Dachla ein pulsierender Handelsweg entwickelt. Die Ägyptologen gelangten zu sensationellen Erkenntnissen, die unter anderem das Verständnis einer multikulturellen Gesellschaft erleichtern. Anscheinend galt es vor knapp 2000 Jahren, im Schnittpunkt afrikanischer, europäischer und vorderasiatischer Lebenswelten ähnliche Integrationsprobleme zu meistern wie heute.

Der untersuchte Tempel wurde in der Römerzeit unter Kaiser Nero aus Sandsteinblöcken errichtet und von seinen Nachfolgern erweitert. In dieser Zeit, im 1./2. Jahrhundert nach Christus, erlebte die Oase Dachla eine Blüte. Die Ägypter, die vorrangig das fruchtbare Niltal bevölkerten, betraten die Wüste kaum freiwillig. Deswegen wurden ihre Oasen von fremden Herrschern wie Persern, Griechen und Römern kultiviert und ausgebaut. Gerade unter Nero war Ägypten die wichtigste Handelsstation zwischen Indien und Rom.

Das freigelegte Tempeldekor zeigt zum Teil noch originale Farbspuren, so gut hat sie der Flugsand konserviert. Das Federkleid des Gottes Horus beispielsweise leuchtet türkisfarben - ein Effekt, der mit zerriebenem Malachit erzeugt wurde, wie Christian Loeben von der Humboldt-Universität erklärt. Doch viel beeindruckender sind für den Ägyptologen die rechteckigen Vertiefungen im Bildrelief der Sanktuarsrückwand im Tempelinneren: Sie haben genau die Abmessungen der Throne, auf denen die Gottheiten Amun und seine Frau Mut sitzen. Diesen thebanischen Hauptgöttern war das Heiligtum geweiht. Lokale Oasen-Gottheiten spielen im Dekor der Architekturornamentik nur eine untergeordnete Rolle. Abbildungen römischer Götter fanden die Wissenschaftler lediglich in den Graffiti, die Pilger in der äußeren Umfassungsmauer hinterließen. Allerdings gilt das als einzigartiges Phänomen innerhalb eines ägyptischen Tempels.

Der römische Kaiser Nero mußte sich des Wohlwollens der einheimischen Gottheiten versichern, um von der ägyptischen Bevölkerung anerkannt zu werden. Wie alle fremdländischen Herrscher seit Alexander dem Großen (332 v. Chr.) traten die römischen Kaiser der ägyptischen Bevölkerung gegenüber als Nachfolger der Pharaonen auf.

Damit hielten sie nicht nur die Scheinvorstellung eines ägyptischen Staates aufrecht, sondern übernahmen auch die kanonisch festgeschriebenen Riten und Zeremonien bis hin zum Tempelbau. Erst die byzantinische Herrschaft und die Hinwendung zum Christentum führte zu entscheidenden Veränderungen von Kunst und Geistesleben.

In den kleinen Wandhöhlungen, die sonst nirgends im Tempel zu finden und für Einlegearbeiten zu tief sind, waren Sockel aus Holz verankert. So lautet Loebens Theorie. Darauf saßen Götterstatuetten, was dem zweidimensionalen Relief die wesentlich eindrucksvollere dritte Dimension verliehen hätte. Außerdem wäre der Blick der Gottheiten so von der Wand weg in den Raum "hinein" und damit auf den Besucher gerichtet, was bei den kanonisch festgelegten Flachbildern nicht möglich ist. Da sind Pharao und Götter stets im Profil dargestellt.

In der altägyptischen Kunst, die für die Ewigkeit verständlich sein sollte und deshalb wie die Hieroglyphenschrift normiert war, wurden auch die tapferen Krieger und selbst das Vieh immer in Seitenansicht dargestellt. Nur Feinde und Menschen niederen Standes zeigte man durchaus auch frontal mit abschreckender häßlicher Fratze oder Bart.

Bei der von Loeben vermuteten 3-D-Wiedergabe handelt es sich demnach um einen Bruch mit den kanonischen Vorschriften und deren kultischer Bedeutung. Nur fremdländische Dynasten konnten so skrupellos sein, von diesen abzuweichen und das auch nur weit ab von der Hochkultur des Niltals. War das der erste Schritt zur Vermischung verschiedener Kulturen?

Statuen für Prozessionen unerlässlich

Dreidimensionale Götterstatuen aus Holz indes waren im alten Ägypten schon immer bekannt und für die Prozessionen unerlässlich, bei denen die Götter zu bestimmten Festen aus dem Tempelinneren heraus getragen wurden. In den acht Seiteneingängen sehen die Berliner Ägyptologen den Beweis dafür, dass der Tempel Deir al-Haggar eine saisonale Pilgerstätte war. Die hufeisenförmigen Ziegelbänke im äußeren Bereich der Tempelanlage lassen auf römische Tischsitten schließen. Nach Meinung der Berliner Archäologen warteten die Pilger hier bei festlichen Gelagen unter schattenspendenden Kolonnaden auf die Götterprozession.

Reste pflanzlicher Öle an den Tempeltoren, die von gut riechenden Harzen und anderen Duftstoffen herrührten, bestätigen die Nutzung als Festtempel. Dieser Fund ist der erste Beleg für die bisher nur aus Textüberlieferungen bekannte Zeremonie der kultischen Reinigung von Räumlichkeiten zum Schutz vor bösen Mächten.

Cornelia Höhling

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