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Gesundheit: Spuren im Hirn von Taxifahrern

Auf der Suche nach einem Ausweg aus dem Labyrinth werden bei Männern und Frauen unterschiedliche Gehirnbereiche aktivKarin Hollricher Sich in fremden Gefilden zu orientieren, fällt nicht jedermann gleich leicht. Doch Übung macht den Meister - und hinterlässt Spuren im Gehirn, wie eine britische Neurologin herausfand.

Auf der Suche nach einem Ausweg aus dem Labyrinth werden bei Männern und Frauen unterschiedliche Gehirnbereiche aktivKarin Hollricher

Sich in fremden Gefilden zu orientieren, fällt nicht jedermann gleich leicht. Doch Übung macht den Meister - und hinterlässt Spuren im Gehirn, wie eine britische Neurologin herausfand. Bei Taxifahrern sind diejenigen Gehirnbereiche, die für das Orientierungsvermögen wichtig sind, besonders ausgeprägt.

Geschicktes Navigieren ist allerdings auch eine Sache des Geschlechts: Männer finden sich in unbekannter Umgebung leichter zurecht als Frauen. Auf der Suche nach dem "Warum" haben Forscher von der Universität Ulm ins Gehirn geschaut. Sie stellten fest, dass Frauen und Männer zum Navigieren in Labyrinthen unterschiedliche Gehirnbereiche benutzen.

Wo im Gehirn sitzt der Orientierungssinn? Erste Hinweise darauf kamen von einem tragischen Krankheitsfall in den 50er Jahren. Damals wurden einem Patienten mit schwerer Epilepsie Teile des Gehirns entfernt, und zwar der gesamte Hippocampus. Seine Anfälle war der Mann dann zwar los, doch konnte er sich überhaupt nicht mehr orientieren. Außerdem hatte er sein Kurzzeitgedächtnis verloren.

Heute glauben Neurologen, dass zur räumlich-visuellen Orientierung ein ganzes Netzwerk von Gehirnregionen nötig ist. Dabei spielt der Hippocampus eine herausragende Rolle. Eleanor Maguire vom University College London durchleuchtete deshalb die Gehirne von Londoner Taxifahrern. Die Vertreter dieser Berufsgruppe sind ideale Testpersonen, denn sie müssen sich schließlich täglich im Straßendschungel behaupten.

Dieses intensive Orientierungstraining scheint im Gehirn Spuren zu hinterlassen. Im Vergleich zu 50 Kontrollpersonen war der hintere Hippocampus bei den 16 männlichen Taxifahrern größer und anders geformt. Und je länger die Fahrer ihren Beruf bereits ausübten, desto deutlicher war diese Veränderung, fand Eleanor Maguire heraus. Daraus schließt sie, dass sich die Gehirne der Profi-Chauffeure den hohen Anforderungen an das Orientierungsvermögen anpassen. Ob die räumlichen Informationen auch im Hippocampus gespeichert werden, ist indes noch nicht geklärt.

Wie manche andere kognitive Leistung ist auch die Orientierungsfähigkeit bei Männern und Frauen unterschiedlich gut. Wissenschaftler versuchen herauszufinden, ob sich solche geschlechtsspezifischen geistigen Fähigkeiten auch in der Anatomie oder der Funktion des Gehirns widerspiegeln. Man weiß aus Tierversuchen und Beobachtungen an Epilepsie-Patienten, dass der Hippocampus für die Orientierungsfähigkeit bei Männern wichtiger ist als bei Frauen. So haben etwa männliche Ratten, denen man diesen wie ein Seepferdchen geformten Gehirnbereich herausoperiert hat, deutlich mehr Schwierigkeiten, sich in ihrer Umgebung zurechtzufinden, als ebenso behandelte Weibchen.

Die Ulmer Neurologen und Psychologen sind diesem Geschlechter-Phänomen mit einer modernen bildgebenden Methode, der funktionellen Kernspintomographie, auf den Grund gegangen. Sie schickten jeweils zwölf Männer und Frauen in drei virtuelle Labyrinthe. Während die Testpersonen versuchten, möglichst schnell aus den unterschiedlich schwierigen Irrgärten herauszukommen, wurde die Durchblutung ihrer Gehirne als Maß für deren Aktivität mit einem Kernspintomographen aufgezeichnet.

"Wie nicht anders zu erwarten, fanden die Männer im Schnitt aus allen Labyrinthen schneller heraus als die Frauen", berichtet der Leiter der Studie, der Neurologe Matthias Riepe. Während des Herumirrens in den virtuellen Irrgärten benutzten Männer sowie Frauen neben anderen Hirnbereichen den rechten Teil des Hippocampus. Den linken Teil dieser Hirnregion jedoch setzten nur die Männer ein. Dagegen war nur bei den Frauen eine starke Aktivität im vorderen rechten Gehirnbereich, dem Cortex, zu sehen.

"Dies ist das erste Mal, dass wir geschlechtsspezifische kognitive Unterschiede visuell darstellen können", erklärt Riepe. Eine neuropsychologische Interpretation können die Ulmer noch nicht liefern. Man weiss, dass Frauen sich stärker mit Hilfe bestimmer Merkmale in der Umgebung orientieren, während Männer eher geometrische Anhaltspunkte zu Hilfe nehmen. Es könnte also sein, dass Frauen sich stärker an den in den Labyrinthen vorkommenden bunten Wänden entlang getastet haben und diese Informationen im Cortex verarbeitet werden, während die Männer sich auf die Geometrie der Irrgärten konzentrierten und dazu den linken Hippocampus benötigten.

Die Suche nach Unterschieden in weiblichen und männlichen Gehirnen sei nicht nur "trendy", sondern habe einen ernsten Hintergrund, betont Riepe. Das Untersuchungsprogramm ist nämlich entwickelt worden, um die Frühdiagnose von Demenzerkrankungen wie beispielsweise Alzheimer zu verbessern. Bei Alzheimer-Patienten geht meist zuerst der Hippocampus zugrunde. Doch gehen die meisten Patienten erst dann zum Arzt, wenn ihre Orientierungsfähigkeit schon kräftig nachgelassen hat.

"Das ist viel zu spät", sagt Riepe. " Eine möglichst frühe Diagnose ist sehr wichtig, weil seit etwa eineinhalb Jahren in Deutschland neue Medikamente, so genannte Acetylesterase-Hemmer, zugelassen sind, die die Verschlechterung der Gehirnleistung verzögern." Die Krankheit heilen können diese Mittel nicht. Aber sie können die Lebensqualität der Betroffenen erheblich verbessern.

Karin Hollricher

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