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Gesundheit: Strafverfahren gegen Herrmann: Der "gefallene Engel" kommt noch einmal davon

Mit einem fünfstelligen Geldbetrag hat der frühere Berliner Krebsforscher und Universitätsprofessor Friedhelm Herrmann jetzt ein Strafverfahren wegen Betrugs von sich abgewendet. Die Staatsanwaltschaft Ulm stellt im Gegenzug zu der finanziellen "Auflage" ihre Untersuchung wegen einer vielleicht erschlichenen Professorenstelle in der schwäbischen Stadt ein.

Mit einem fünfstelligen Geldbetrag hat der frühere Berliner Krebsforscher und Universitätsprofessor Friedhelm Herrmann jetzt ein Strafverfahren wegen Betrugs von sich abgewendet. Die Staatsanwaltschaft Ulm stellt im Gegenzug zu der finanziellen "Auflage" ihre Untersuchung wegen einer vielleicht erschlichenen Professorenstelle in der schwäbischen Stadt ein. Aufgrund dieser freien Vereinbarung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und dem bislang Beschuldigten bleibt ungeklärt, ob Hermann sich mit "Forschungsergebnissen" beworben hatte, die er vorsätzlich gefälscht haben soll. Der Vorwurf richtete sich auf weniger als ein Dutzend von insgesamt vierhundert Aufsätzen, in denen der bis 1997 vielgepriesene Gelehrte - Vorsitzender der Gentherapiekommission der Bundesärztekammer, Sprecher der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Gentherapie, Mitglied in wichtigen Ausschüssen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) - als Mitautor erscheint.

Die Geldzahlung ist nach Auffassung des Gerichts geeignet, "das öffentliche Interesse" an der strafrechtlichen Aufklärung zu beseitigen; der Scheck reicht auch ausdrücklich angesichts der schlimmstenfalls anzunehmenden "Schwere der Schuld". Hermann verlässt das Gericht ohne strafrechtlichen Makel - die finanzielle "Auflage" ist nicht einmal eine Geldstrafe, wie sie schon der Raser im Straßenverkehr auf sich ziehen kann. Staatanwältin Lamb, die am Landgericht Berlin gegen Hermann wegen eines möglichen Betrugs an seinen Geldgebern Deutsche Krebshilfe und Thyssen Stiftung ermittelt, weiß noch nicht, ob sie schließlich wesentlich anders als die Ulmer Kollegen entscheiden wird.

DFG zeigt wenig Mut

Unter den Risiken und Nebenwirkungen der rechtskräftigen Ulmer Einigung leidet jetzt vor allem die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), gibt der renommierte Bonner Strafrechtsprofessor Hans-Ullrich Paeffgen zu bedenken. "Die DFG hätte ihre möglichen Ansprüche längst selbst vertreten sollen." Der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Dieter Jung, einer der Väter des Ulmer Beschlusses, nickt dazu. Einstweilen erweckt die DFG einen zwiespältigen Eindruck: schwere Vorwürfe gegen Herrmann, aber zu wenig Mut oder Argumente, sie durchzusetzen. "Den Ulmer Beschluss möchten wir nicht kommentieren", teilt die Pressestelle der Deutschen Forschungsgemeinschaft lapidar mit.

Viele Medizinprofessoren erhofften sich vom Rechtsstaat ein härteres Vorgehen gegen Herrmann als den prominentesten "gefallenen Engel" der ganzen Zunft. Dabei verwechseln sie aber, wie namhafte Rechtsgelehrte formulieren, "Empörungstatbestände" mit strafrechtlichen Tatbeständen. Alle möglichen Fälschungen, die dem Mitautor vorgeworfen werden, bezeichnet der nämlich unwiderlegt als "untergeschoben", namentlich von seiner ehemaligen Lieblingsschülerin und Kollegin Marion Brach. Der angebliche Täter sieht sich als Opfer eines Vertrauensbruchs, von seinen "eigenen Leuten" überlistet und hintergangen. Der Würzburger Hochschullehrer Ulf-Rüdiger Rapp, der für die DFG alle 400 Aufsätze Herrmanns überprüfte, spricht cool wie ein Krimi-Held von einem "moving target. Immer wenn Sie einen zu haben scheinen, dann zeigt der auf den nächsten". Das funktioniert, solange gerade in der Medizin ganze Autorenkollektive publizieren und damit die individuelle Zurechenbarkeit verloren geht.

Betrug nur bei Vermögensschaden

Außerdem ist der vielbeschworene "Forschungsbetrug" genau genommen erst dann Betrug, wenn er einen Vermögensschaden verursacht. Den sah insbesondere der Dienstherr, das Land Baden-Württemberg, nicht. Als Herrmann 1998 sein Entlassungsgesuch einreichte, waren für Minister Klaus von Trotha damit auch alle Fragen der Anstellung wie der Beschäftigung zur Zufriedenheit erledigt. Disziplinarische Ermittlungen wurden eingestellt. Sie waren allerdings nie zügig geführt worden, schimpfte der Freiburger Mediziner Wolfgang Gerok als Vorsitzender einer "Gemeinsamen Kommission" aller womöglich geschädigten Geldgeber. Als "abwegig und ignorant" qualifizierte Minister von Trotha solch ungeduldige Kritik: "Mir scheint, dass sich in unserer Gesellschaft eine Mentalität breit macht, unmittelbar spektakuläre Aktionen zu fordern, auch wo der Rechtsstaat das nicht zulässt."

In einem zwanzigseitigen Geheimdossier der "Gemeinsamen Kommission" vom Sommer 1997 heißt es, Datenfälschung sei der schwerste Vorwurf, der einem Wissenschaftler gemacht werden könne. Diese Feststellung kennzeichnet die empörte Stimmung unter den Kollegen bis heute treffend. Wenn sich aber so gut wie nichts gerichtsfest machen lässt, muss der Verdächtigte dann als Unschuldslamm gelten? Strafrechtsprofessor Paeffgen vertritt in dieser Frage eine Zwei-Szenen-Lehre: Vor Gericht darf ein Beschuldigter zu Vorwürfen schweigen, ohne damit seiner Ehre Abbruch zu tun. In einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung ist aber jeder rechenschaftspflichtig, wenn es um die Zuverlässigkeit seiner Forschungsergebnisse geht. Wer schwerwiegende Beanstandungen nicht entkräften kann, macht sich in der Scientific community, aber eben auch nur dort, untragbar.

Herrmann praktiziert heute als niedergelassener Arzt in München. Der kostbare Professorentitel blieb beim Ausscheiden aus dem Staatsdienst erhalten.

Hermann Horstkotte

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