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Gesundheit: Studenten sind vom dritten Jahr an in den Klinikalltag eingebunden

Vor dem Wagen, in der winterlichen Abendsonne, tauchen die ersten Ausläufer der Pyrenäen auf. Wie herausgemeisselt zeichnen sich die karstigen Felsen vor dem weiten, malvenfarbenen Abendhimmel ab.

Vor dem Wagen, in der winterlichen Abendsonne, tauchen die ersten Ausläufer der Pyrenäen auf. Wie herausgemeisselt zeichnen sich die karstigen Felsen vor dem weiten, malvenfarbenen Abendhimmel ab. Die Silhouette des Stiers einer Osborne- Werbung am Strassenrand lässt das Herz höher schlagen - endlich bin ich wieder im rauhen, kargen Spanien. Das Ziel der Reise ist Madrid. Dort werde ich, dank eines Erasmus-Stipendiums, ein Jahr lang Medizin studieren.

Im Krankenhaus auf der Psychiatrie-Station scharrt sich eine kleine Gruppe Studenten neugierig um "ihren" Arzt und stellt Fragen - für spanische Medizinstudenten ist das ganz normal. Das theoretische Studium ist ab dem dritten Studienjahr bestens mit der Praxis verzahnt. Jeden Morgen haben die Studenten Kontakt zu einem verantwortlichen Arzt, mittags stehen dann Vorlesungen auf dem Programm. Monat für Monat wechseln die Studenten in eine andere Station der Klinik. So gehen sie Schritt für Schritt ihr zukünftiges Arbeitsgebiet ab.

Die Arbeit im Krankenhaus ist oft eine Herausforderung, beispielsweise wenn es darum geht, in der Psychiatrie die Krankengeschichte eines neuen Patienten aufzunehmen. Einen fremden Menschen eingehend nach seiner Lebensgeschichte zu befragen, ist für die Studentengruppe zunächst ungewohnt. Erst nach einigen Wochen stellt sich ein Gefühl von Sicherheit und Erleichterung ein. Auf der Neugeborenenstation, die die Spanier "Nest" nennen, untersucht eine weitere Gruppe vorsichtig ein Baby, probiert die Reflexe an den Füßchen aus und bestaunt den winzigen Körper.

Das Erasmus-Programm bietet Studierenden nicht nur finanzielle Unterstützung. Auch ist meist für ein Rahmenprogramm gesorgt, damit die ausländischen Studenten mehr über Land und Leute erfahren. Dazu gehören auch organisierte Städtetouren. In unserem Reisebus, der nach Cordoba und Sevilla unterwegs ist, sitzen fünfzig Studenten aus verschiedenen europäischen Ländern. Hin und wieder hört man Fetzen aus dem Griechischen, Schwedischen oder Englischen. Auch Spanier fahren mit. Von einer guten europäischen Gesinnung scheinen die meisten noch ziemlich weit entfernt zu sein: Kommt man mit ihnen ins Gespräch über die Europäische Union, ärgern sie sich vor allem über Beschlüsse der europäischen Kommission, nach denen der spanische Fischfang drastisch eingeschränkt oder die Subventionen für Oliven gekürzt werden sollen.

Mit der Zeit stellt sich zwischen all den Eindrücken, den verschiedenen Menschen, dem trockenen Rotwein, der landschaftlichen Vielfalt ein verändertes Lebensgefühl ein: Eine neue Ebene der Abstraktion gegenüber der Heimat ergibt sich aus dem Abstand, der schließlich auch neue Wertschätzungen hervorbringt. Bildungstourismus tut gut.

Friederike Burgdorf

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