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Gesundheit: Studenten vor Gericht

Die Asten dürfen sich nicht zu allgemeinpolitischen Fragen äußern – trotz neuer Gesetze, sagen Berliner Richter

Für Ulrich Schulte begann alles mit den Flugblättern auf dem Mensa-Tisch. Zuerst fand der politisch konservativ gesinnte Student sie „links und erheiternd“, ob nun Solidarität mit Globalisierungsgegnern oder mit „AsylbewerberInnen“ gefordert wurde. Das Lachen verging dem Jura-Studenten an der Freien Universität Berlin aber, als 2001 ein Bericht des Landesrechnungshofs öffentlich wurde: Die Buchprüfer monierten, Asten einiger Berliner Hochschulen hätten Ende der Neunzigerjahre mehrfach tausende von Mark „unwirtschaftlich“ ausgegeben, also verschwendet – auch für Zwecke, die in keinem direkten Zusammenhang zur Hochschule stehen. Geld, dass die Asten von den Studenten bekommen, um ihre Belange wahrzunehmen: Jedes Semester werden von jedem gut sechs Euro als Beitrag zur Studentenschaft eingezogen. Der Asta der FU etwa, die rund 40 000 Studierende hat, verfügt dadurch über ein ansehnliches Jahresbudget von über einer halben Millionen Euro. Was machen die Asten mit dem Geld – und sind die verfassten Studierendenschaften überhaupt noch zeitgemäß?

Der Bericht der Rechnungsprüfer schlug in den Medien eine Welle, denn es ging nicht nur um Druckkosten für Flugblätter. Zeitungen und Magazine berichteten unter anderem, ein Asta habe zwei Studentinnen zu einem Treffen „feministischer Lesben" für rund 1400 Euro nach Rio de Janeiro geschickt. Ein anderer habe drei ehemaligen Bürgerkriegskämpferinnen aus Guatemala Geld für eine Rundreise durch Deutschland spendiert. Der Asta einer Fachhochschule gab etwa 2400 Euro dafür aus, die Vertreter der Industrie im Kuratorium der Hochschule im Adlon-Hotel zum Essen einzuladen. Später akzeptierte der Landesrechnungshof nachgebrachte Belege und Erklärungen der Studierenden. Die Berliner Asten sahen sich vor allem als Opfer einer Kampagne des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS), der schon seit Jahren das Finanzgebaren der Asten kritisiert.

„Flugis“ mit der falschen Meinung

Dem Studenten Schulte jedoch ließ die Vorstellung keine Ruhe, die vielen bunten Flugblätter auf den Mensa-Tischen könnten aus der Druckerei des Asta stammen, finanziert mit studentischen Geldern, die damit zweckentfremdet würden – besonders ärgerlich für ihn, der die auf den „Flugis“ propagierte Meinung nicht teilt. Der Student ging der Sache auf den Grund und fand genug Stoff, um eine Klage anzustrengen. Mit Erfolg. Das Berliner Oberverwaltungsgericht entschied vor kurzem, der Asta der FU habe erneut mehrfach gegen geltendes Recht verstoßen, indem er sich zu allgemeinpolitischen Fragen geäußert und dafür auch Geld ausgegeben habe.

Schon der Rechnungshof hatte in seinem Bericht Zahlungen von rund 6000 Euro an den Verein Antirassistische Initiative e.V. (ari) im Haushaltsjahr 1998/99 beanstandet. Auch das Gericht stellte fest, dass die ari für das monatlich vom Asta überwiesene Geld offenbar keine Leistungen erbracht hat“ „Die Unterstützung dieser Vereinstätigkeit durch laufende Zahlungen und die Verbreitung dieser Veröffentlichungen . . . sind daher unzulässige allgemeinpolitische Betätigungen“. Das gleiche gilt für den Druck von 4000 Flugblättern für die attac-Hochschulgruppe und für eine ganze Reihe von weiteren Fällen. Die Richter drohen dem Asta ein Ordnungsgeld von 250 000 Euro an, sollte er das Gesetz wieder übertreten.

Der Streit um das „allgemeinpolitische Mandat“ ist drei Jahrzehnte alt. Wann immer sich die meist von linken Studierenden dominierten Asten allgemeinpolitisch äußerten, reagierte das konservative Studierendenlager mit einer Klage – und hatte immer Erfolg. Die Richter verweisen in rund 100 Urteilen auf die Verfassung: Da die Studierenden bei ihrer Immatrikulation gezwungen werden, Mitglied der Studentenschaft zu werden, dürfen die Studierendenvertretungen sich nicht allgemeinpolitisch äußern.

Doch ist das Berliner Urteil das erste eines Oberverwaltungsgerichts zum allgemeinpolitschen Mandat, seit das neue Hochschulrahmengesetz in Kraft ist. Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) wollte die alte Klageflut eindämmen und sicher auch einen alten Wunsch der linksorientierten Asten verwirklichen, indem sie das Gesetz in Richtung auf das allgemeinpolitische Mandat öffnete – selbst wenn das vorsichtshalber nicht explizit gesagt wird. In der alten Fassung des Gesetzes hieß es lediglich, die Studentenschaften könnten „hochschulpolitische, soziale und kulturelle Belange der Studenten“ wahrnehmen. In der neuen Fassung steht, die Studierendenschaften sollten „insbesondere“ Stellung zu solchen Fragen beziehen, „die sich mit der gesellschaftlichen Aufgabenstellung der Hochschulen sowie mit der Anwendung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Abschätzung ihrer Folgen für die Gesellschaft und die Natur beschäftigen“. Die Studierenden sollen Veröffentlichungen „zu allgemeinen gesellschaftlichen Fragen ermöglichen“.

Während das alte Gesetz es den Bundesländern überließ, ob sie Zwangsmitgliedschaften an ihren Hochschulen vorschreiben wollen, zwingt das neue Gesetz alle Bundesländer, so zu verfahren (bislang hatten drei Bundesländer davon Abstand genommen). Sechs unionsgeführte Länder sehen darin eine Bevormundung durch den Bund und klagen vor dem Bundesverfassungsgericht. Berlins Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) dagegen hat die Formulierungen Bulmahns zum politischen Mandat inzwischen ins Landesgesetz aufgenommen.

Für den Asta der FU ist es eine herbe Enttäuschung, dass trotz des neuen Gesetzes die Rechtsprechung so ausfällt wie in den letzten 30 Jahren. „Die Richter haben einen Fehler gemacht“, sagt Michael Hewener, der Asta-Vorsitzende. Das Gericht jedoch hat die neuen Gesetze im Bund und in Berlin nicht so verstanden, als werde den Studierendenschaften dort ein neues (verfassungswidriges) Recht zur Ausübung eines allgemeinpolitischen Mandats zugestanden. So sieht es auch ein Gutachten des wissenschaftlichen Parlamentsdienstes des Berliner Abgeordnetenhauses vom Sommer 2003.

„Einzelkämpfer“

Der FU-Asta hält das für eine falsche Interpretation und will eine Verfassungsbeschwerde formulieren. Hewener hofft, dass es zu keiner neuen Klage kommt: Student Schulte und dessen Mitbewohner Tim Peters, der RCDS-Mitglied ist und gegen den Asta der Humboldt-Universität klagt, seien „Einzelkämpfer“. Hewener kann nicht verstehen, warum die Gerichte den Asten versagen wollen, sich zu den gesellschaftlichen Folgen der Wissenschaft zu äußern. „Außerdem ist es ein Vorurteil zu glauben, der Asta finanziere sich schöne Tage auf Kuba.“

Schulte jedoch möchte die verfassten Studentenschaften am liebsten abschaffen. International sei das System unüblich, das geringe Interesse der deutschen Studierenden an ihrer Vertretung äußere sich seit Jahren in einer Wahlbeteiligung, die zwischen fünf und zehn Prozent schwankt. Der RCDS schlägt vor, statt des Astas eine Vertretung einzurichten, die sich stark aus den Fachschaften speist und einen studiennahen Service bietet. Peter Hartig vom „Refrat“ der Humboldt-Universität dagegen verweist darauf, die „hervorragende Sozial- und Rechtsberatung“ des Asta finde breiten Zuspruch bei den Studierenden.

Die Berliner FDP fühlt sich von dem Urteil jedenfalls beflügelt. Heute will sie im Abgeordnetenhaus eine Gesetzesänderung vorschlagen, die alle Unklarheiten beseitigt: Das allgemeinpolitische Mandat soll ausdrücklich verboten werden – aufgrund der Mehrheitsverhältnisse ein chancenloser Vorstoß.

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