zum Hauptinhalt

Gesundheit: Studiengebühren schrecken Abiturientinnen ab

Viele machen lieber eine Lehre. Dabei braucht Deutschland mehr Akademikerinnen

Junge Frauen werden durch die schlechte wirtschaftliche Lage in Deutschland derzeit vom Studium abgehalten – anders als die Männer. Das besagt eine Studie des Hochschulinformationsservice (His). Das Institut befragte die Abiturienten des Jahres 2004, ob sie bereits studieren oder noch studieren wollen. Bei den Frauen äußerten fünf Prozent weniger als noch vor zwei Jahren den Wunsch, ein Studium zu absolvieren. Ihre Studierquote liegt jetzt bei 66 Prozent. Die Männer dagegen wollen praktisch genauso oft an die Uni gehen. Mit 74 Prozent sind es deutlich mehr als bei den Abiturientinnen. Eine Ursache für den Rückgang bei den Frauen „liegt in ihrer stärkeren Abschreckung durch äußere Faktoren, wie finanzielle Aspekte und schlechte Berufsaussichten“, folgert die Studie.

Tatsächlich geben junge Frauen häufiger als Männer an, auf das Studium verzichten zu wollen, weil sie möglichst schnell Geld verdienen wollen. Diesen Grund nennen 66 Prozent der Frauen, die nicht studieren wollen (Männer: 56 Prozent). Frauen sagen auch öfter als Männer, dass sie nur unzureichende Möglichkeiten haben, ein Studium bezahlen zu können. Wie sehr die ökonomische Lage gerade die weiblichen Teenager belastet, zeigt der Vergleich zu 2002: Frauen nannten ihre unsichere finanzielle Lage jetzt öfter als Ursache, die sie vom Studium abhalte – für männliche Jugendliche ist mangelndes Geld dagegen seltener als noch vor zwei Jahren der Anlass, auf ein Studium zu verzichten.

Ein Rückgang könnte für das Land schwerwiegende Folgen haben. Deutschland kann es sich gar nicht leisten, auf nur eine seiner Studienanfängerinnen zu verzichten. Die Gefahr eines Bildungsnotstands ist nicht gebannt. Unternehmen wie Bildungsexperten klagen, dass die Zahl der Hochschulabsolventen viel zu niedrig ist. 38 Prozent des Jahrgangs nahmen 2004 tatsächlich ein Studium auf, im internationalen Vergleich liegt Deutschland weit hinten. Der OECD-Schnitt liegt bei 50 Prozent. Wenn Deutschland in der globalisierten Wissensgesellschaft konkurrenzfähig sein wolle, müssen sehr viel mehr Jugendliche an die Uni gehen, heißt es in der neuen OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“.

Noch immer haben zudem die Studentinnen nicht mit ihren männlichen Kommilitonen gleichgezogen. Zwar haben Frauen von der Bildungsexpansion, die vor 35 Jahren begann, mehr profitiert als die Männer. Von 100 Abiturienten sind heute 60 Frauen; Anfang der Neunziger Jahre war das Verhältnis noch umgekehrt. „Viele Mädchen gehen aber ans Gymnasium, obwohl sie von vornherein gar nicht studieren wollten“, erklärt Irene Lischka, Bildungswissenschaftlerin am Institut für Hochschulforschung Wittenberg. Ihnen sei früher als den Jungen klar, dass sie einen guten, hoch qualifizierten Schulabschluss brauchen, um einen guten Ausbildungsplatz zu bekommen. Junge Frauen würden vor allem weiterhin Technik- und Naturwissenschaften meiden – Fächer mit guten wirtschaftlichen Perspektiven. Sie haben trotz hoher Qualifikationen weniger gute Karrierechancen auf dem Arbeitsmarkt als Männer, auch in der Unihierarchie. Und gleichzeitig bleibt die soziale Selektion für Frauen schärfer als für Männer. Der Bildungshintergrund von Studentinnen ist durchschnittlich höher als der von Studenten. Das heißt: Unter den Kommilitoninnen kommen noch mehr aus besserem Hause als unter den Kommilitonen.

Könnten Studiengebühren den Trend gegen ein Studium noch verschärfen? Abiturientinnen und Abiturienten des Jahres 2004 müssen sie schon zahlen, schließlich wollen die ersten Länder wie Nordrhein-Westfalen sie bereits im Herbst 2006 einführen. Aus der Gruppe der Schulabgänger, die nicht studieren wollen, gibt immerhin jeder Fünfte an, dass Gebühren den Geldbeutel zu sehr belasten würden. Waltraud Cornelißen, Soziologin am Deutschen Jugendinstitut in München, glaubt, dass die Einführung von Studiengebühren junge Frauen mehr abschreckt als Männer. „Sie haben eher ein Problem, ein Darlehen aufzunehmen – wenn ihr Lebensplan nicht auf volle Erwerbstätigkeit zielt“, sagt Cornelißen. 66 Prozent der 16- bis 23-jährigen Frauen planen laut Umfragen, mindestens ein Kind zu bekommen; bei den Männern sind es nur 58 Prozent. Noch immer stellten sich viele Frauen darauf ein, als Mutter nur Teilzeit zu arbeiten – ein Studienkredit wäre da eine zu große Belastung.

Dass Studiengebühren für junge Frauen ein größeres Hindernis darstellen werden als für junge Männer, legt auch die jüngste Sozialerhebung des Studentenwerkes nahe. So geht der Anteil der Studierenden aus der Mittelschicht schon jetzt zurück, weil für diese Familien das Studium inzwischen – auch ohne Gebühren – eine immense finanzielle Belastung darstellt. Das ist genau die Gruppe, aus der die Töchter es ohnehin nur unterdurchschnittlich häufig an die Hochschule schaffen. Diese Familien könnten ihre Kinder noch seltener zur Uni schicken, wenn sie Gebühren zahlen müssen, befürchtet Hans-Dieter Rinkens, Präsident des Studentenwerkes.

Laut Untersuchungen ist die Furcht allerdings unbegründet, dass ein Studium finanzielle Verluste bedeutet. Ein Hochschulabschluss ist im Gegenteil die beste Versicherung gegen die Arbeitslosigkeit – und zwar unabhängig vom gewählten Fach. Die Arbeitslosenquote unter Akademikern ist in Deutschland seit dreißig Jahren konstant niedrig. Sie lag 2004 bei vier Prozent. In keinem Land der Welt, sagt die OECD, haben Uniabsolventen bessere Karrierechancen als in Deutschland.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false