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Gesundheit: „Studienplätze werden ein knappes Gut“

Neuer Andrang auf die Unis: Der Bildungsexperte Thomas Oppermann fordert Bundeshilfen für die Lehre

Herr Oppermann, die geburtenstarken Jahrgänge, die doppelten Abiturjahrgänge und die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master fallen zeitlich zusammen. Ist Deutschland für die kritischen Jahre zwischen 2010 und 2020 gerüstet?

Der erfreulich große Andrang von Studierenden ist zweifellos die größte Herausforderung der Hochschulpolitik in Deutschland seit der Öffnung der Hochschulen in den siebziger Jahren. Wir dürfen diese Generation jetzt nicht noch einmal so enttäuschen, wie damals. Zwar wurden damals viele, wie auch ich selbst, zum Studium zugelassen, aber wir fanden miserable Studienbedingungen vor. Das dürfen wir der künftigen Studentengeneration schon deshalb nicht antun, weil diese Generation im globalen Wettbewerb deutlich besser qualifiziert werden muss als andere zuvor. Die künftigen Studierenden müssen besonders produktiv sein, sie sollen mehr Kinder bekommen und sie sollen das Wohlstandsniveau in Deutschland mit hervorragenden Leistungen halten. Wer das alles leisten soll, darf nicht in überfüllte Hörsäle und Labore geschickt werden.

Bundesbildungsministerin Schavan will einen „Hochschulpakt 2020“ mit den Ländern schließen, weil die Aufgabe ohne Bundeshilfen nicht zu bewältigen ist. Was kostet der neue Studentenandrang?

Wir müssen mindestens 200 000 neue Studienplätze in den nächsten drei/vier Jahren schaffen. Das erfordert gewaltige Anstrengungen sowohl bei den Investitionen als auch bei der Ausstattung. Der zusätzliche Finanzaufwand wird jährlich im Milliardenbereich liegen. Ich glaube nicht, dass die Länder die Kraft haben werden, die dafür notwendigen Finanzmittel aufzubringen. Es wird ohne Bundeshilfe nicht gehen.

Die Zeit drängt. Wann müssen Sie welche Schritte einleiten?

Die Grundzüge des „Hochschulpaktes 2020“ müssen noch in diesem Jahr geklärt werden. Dazu gehört vor allem eine ausreichende Zahl von Studienplätzen. Zugleich muss die Qualität der Lehre gesteigert werden. Annette Schavan hat zu Recht gesagt, wir haben uns verpflichtet, Exzellenz in der Forschung zu fördern. Dem muss jetzt auch die Exzellenz in der Lehre folgen. Angesichts der großen Zahl zusätzlicher Studenten ist die Exzellenz in der Lehre besonders ernst zu nehmen.

Neue Belastungen, die vor kurzem noch nicht erkennbar waren, kommen wegen des Studentenandrangs auf die öffentlichen Haushalte zu. Können die notwendigen Etatbeschlüsse erst auf eine Zeit nach dem Jahr 2008 vertagt werden?

Die Entscheidungen müssen in den Länderparlamenten spätestens für den Haushalt 2008 getroffen werden. Das Programm des „Hochschulpaktes 2020“ muss 2008 zu greifen beginnen, wenn es 2010 wirken soll. Bei der Schaffung neuer Studienplätze und der Qualitätsanhebung in der Lehre geht es um Maßnahmen, die nicht von heute auf morgen umgesetzt werden können. Dazu brauchen die Hochschulen Vorlauf – allein schon deswegen, weil sie das zusätzliche Personal sorgfältig auswählen müssen. Wir wollen ja kein hektisches Notprogramm, sondern wir wollen auf die neuen Studierenden gut vorbereitet sein.

Reichen die Instrumente der Föderalismusreform aus, um solche Bundeshilfen verfassungsfest zu machen? Der neue Artikel 104b ermöglicht bei Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts zwar Hilfen des Bundes an die Länder – aber nur bei Investitionen. Das heißt, der Bund darf nur Finanzhilfen für Gebäude und Geräte geben, nicht aber für das vor allem benötigte zusätzliche Lehrpersonal.

Der Bund darf nur noch Investitionen in den Bereichen tätigen, in denen die Länder nicht die ausschließliche Gesetzgebung haben. In den Hochschulen hat der Bund weiterhin gemeinsam mit den Ländern die Zuständigkeit in der Forschung, nicht mehr aber für die Lehre. Wir müssen deshalb im Zuge der Änderungen des Grundgesetzes sichern, dass der Bund bei der Bewältigung dieses für die gesamte Gesellschaft bedeutsamen Problems den Ländern auch die nötige Finanzhilfe geben kann, auch eine Personalhilfe im Bereich der Lehre.

Der Bund behält aber die Zuständigkeit für Zulassungen und Abschlüsse an Hochschulen. Beides sind Kernbereiche, die für die neuen Studiengänge Bachelor und Master genauso wichtig sind wie für die organisatorische Bewältigung des Studentenandrangs. Wie kann man diese Zuständigkeiten für Finanzhilfen des Bundes nutzen?

Die Zuständigkeit für die Zulassungen ist ganz wichtig. Wenn wir mehr Bildungsbeteiligung und eine höhere Studierquote in Deutschland erreichen wollen, müssen wir, wie das in einigen Ländern bereits der Fall ist, junge Menschen mit einem Berufsabschluss auch ohne Abitur zum Studium zulassen. Ich hatte als damaliger Wissenschaftsminister in Niedersachsen im Hochschulgesetz verankert, dass Industrie- und Handwerksmeister die allgemeine Hochschulreife besitzen. Die Koalition hat sich vorgenommen, mindestens den jungen Leuten mit abgeschlossener Berufsausbildung die Fachhochschulreife zuzuerkennen. Die Zuständigkeit für die Abschlüsse bietet für den Bund nur noch wenig Gestaltungsmöglichkeiten. Denn im Bologna-Prozess werden neue Studiengänge in Akkreditierungsagenturen qualitativ geprüft und zugelassen.

Warum sollte der Bund über seine Zuständigkeit bei den Abschlüssen nichts bewirken können? Schließlich kann die Verkürzung der Studienzeiten nur gelingen, wenn die Studierenden ständig geprüft werden. Das ist personalintensiv und kostet Geld.

Das ist richtig. Ob man aus der Zuständigkeit für die Studienabschlüsse ein Recht des Bundes auf Beeinflussung des gesamten Studienprozesses ableiten kann, ist dennoch zweifelhaft. Das Problem müsste gegebenenfalls an anderer Stelle des Grundgesetzes geklärt werden. Ich bin der Auffassung, dass im Zuge der Föderalismusreform im Grundgesetz Folgendes verankert werden sollte: Bund und Länder können in Zukunft einvernehmlich zusammenwirken, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hochschulen zu gewährleisten.

Die Geburtenentwicklung in Ost und West geht völlig auseinander. Nach 2010 könnten die Hochschulen im Westen total überfüllt sein, während sie im Osten leerer werden. Brauchen wir eine Zwangsverschickung von Studierenden in den Osten?

Von einer „Zwangsverschickung“ von Studierenden halte ich nichts. Die Studierenden wählen die Hochschule, an der sie ausgebildet werden wollen, und die Hochschulen haben künftig unter den Studienbewerbern ein stärkeres Auswahlrecht als bisher. Entscheidend für die Wahl des Studienplatzes wird in Zukunft die Qualität der Studiengänge sein. Da stehen die Hochschulen in einem erfreulichen Wettbewerb, den sie allerdings nur bestehen können, wenn sie die benötigten Finanzmittel erhalten.

Wie stellen Sie sich die Lösung vor?

Die geringere Geburtenquote in Ostdeutschland wird wohl nicht dazu führen, dass dort Studienplätze unbesetzt bleiben. Denn die ostdeutschen Hochschulen haben hervorragend aufgeholt und sich auch in der Lehre gut positioniert. Ein guter Studienplatz wird in den kommenden Jahren ein so knappes Gut sein, dass es ungenutzte Studienplätze kaum noch geben wird.

Das Interview führte Uwe Schlicht.

Thomas Oppermann

(51) ist Berichterstatter der SPD-Fraktion im Bundestag für die Föderalismusreform und gehört dem Ausschuss für Bildung und Forschung an.

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