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Gesundheit: Studieren in Berlin: Seminar? Hoffentlich komme ich nicht dran

Vor einiger Zeit gehörte ich noch zu den vielen Guten, jetzt bin ich Handlanger der Bösen. Ich quäle die Studenten mit unverständlichem Zeug und scheußlichem Fachvokabular und verbreite mit meinen Warnungen vor der bedrohlich heranrückenden Klausur immer neue Panik.

Vor einiger Zeit gehörte ich noch zu den vielen Guten, jetzt bin ich Handlanger der Bösen. Ich quäle die Studenten mit unverständlichem Zeug und scheußlichem Fachvokabular und verbreite mit meinen Warnungen vor der bedrohlich heranrückenden Klausur immer neue Panik. Ich bin Seminarassistent, die rechte Hand des Professors.

Als solcher bin ich natürlich auf den Fragenhagel vorbereitet, der während des Seminars auf mich einprasseln wird, schließlich ist der Stoff schwer. Als es aber soweit ist, passiert - nichts. Nett lächelnd sitzen sie da, die hoffnungsvollen Jungakademiker, als warteten sie auf die Vorlesung. Die war aber schon. Das hier ist die Übung - Zeit, Fragen zu stellen, Unverstandenes zu klären. Auch meine Aufforderung - "Ihr dürft ruhig Fragen stellen" - beschert mir nur verlegenes Schweigen. Nach anderthalb Stunden eines quälenden Monologs beende ich schließlich genervt die Sitzung und packe mein Lehrmaterial ein. Und da kommen sie. Sie kommen in Massen und Scharen und - überhäufen mich mit Fragen. War also doch nicht alles klar, im Gegenteil. Schade nur, ich muss los, der nächste Termin ruft.

Warum hat sich niemand in der Übung gemeldet? Was mache ich falsch? Diese Fragen stelle ich einige Wochen später auch der Fachdidaktikerin unseres Bereichs. Wie viele Studenten in meinem Seminar säßen, fragt sie mich. 20 bis 30, manchmal auch 40. Aha. Und kennen die sich untereinander? Nein. Aha. Und kennen die Studenten mich? Nein. Aha. Erst in diesem Moment fällt mir auf, wie unpersönlich der ganze Vorlesungs- und Seminarbetrieb eigentlich ist, zumindest im Grundstudium. Das ist nicht nur in meinem Seminar, sondern in den meisten Fachbereichen so.

Ich frage die Studenten, ob sie diese Unpersönlichkeit empfinden. Selbstverständlich, ist die Antwort, genau das sei ja so ätzend an der Uni. Ich rolle die Situation in unserem Fachbereich auf: 130 Studenten, ein Professor, drei Seminarassistenten. Ein Professor, der mehr als genug Probleme mit der prekären Haushaltslage an der Uni hat und dessen Haushaltsbudget für dieses Jahr kaum ausreicht, um das destillierte Wasser für den Laborverbrauch zu bezahlen. Und drei Seminarassistenten, die eigentlich "nur" Doktoranden sind, die keine Zeit haben und nie in den Genuss einer didaktischen Ausbildung gekommen sind.

Wie ist es anderswo? Die anderen Fachbereiche haben die Budget-Probleme ganz genauso, und auch dort werden Lehraufgaben häufig durch Doktoranden, manchmal sogar Diplomanden bestritten. Dabei sind bei uns an der Humboldt-Universität die Studentenzahlen noch vergleichsweise niedrig, verglichen mit der TU. Früher, sagt die Fachdidaktikerin, zu DDR-Zeiten, gab es klassenähnlich organisierte Seminargruppen, die, einmal zusammengestellt, geschlossen durchs ganze Studium gingen. Da kannte jeder jeden und zuweilen gab es sogar Seminarberater. Die Arbeit in diesen Gruppen sei nach ihrer Erfahrung meist effizient gewesen, das Klima gut. Jedenfalls effizienter und persönlicher als heute. Aber das war früher, und früher war nicht alles gut.

Das Studiensystem in der DDR war insgesamt zu rigide organisiert, die Probleme waren ebenfalls vorhanden, sie lagen nur woanders. Der richtige Weg läge irgendwo dazwischen. Machen Sie mit Ihrem Seminar mal früher Schluss, rät sie mir, und nutzen die Zeit, die Studenten zu fragen, wie sie das Seminar gern hätten. Wie sie sich verhalten würden, wenn sie an meiner Stelle wären und was sie ändern würden. Vielleicht nehmen die Studenten das Angebot an. Das Seminar kann davon nur profitieren.

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