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Gesundheit: Tausch

Von Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität

Unter Wissenschaftlern gibt es ein Ritual, das Menschen, die wenig mit einer Universität zu tun haben, höchst merkwürdig erscheinen muss: Immer wieder finde ich in meiner Post Umschläge, in denen sich zwanzig bis dreißig artig gebundene Seiten bedruckten Papiers meist im Format DIN A 5 finden, Aufsätze aus Büchern und Zeitschriften, die mir kluge Kolleginnen und Kollegen zusenden.Wie lange sich Verlage noch den kostspieligen Luxus solcher Sonderdrucke leisten, ist unklar.

Erhalte ich sie, lese ich nicht nur, soweit irgend möglich, sofort darin, sondern greife hastig in einen großen Stapel eigener Sonderdrucke und schicke einen oder mehrere dem Absender als kleines Zeichen des Dankes. Der wiederum greift ebenfalls in seinen Stapel – und so weiter und so fort.

Das Phänomen, das sich hier zeigt, ist nicht auf Universitäten beschränkt. Man nennt es Tausch. Der Volksmund sagt: „Tausch ist kein Raub“ – und jeder, der einmal Briefmarken getauscht hat, wird das bestätigen: Man reicht den Sperrwert einer wunderbar bunten DDR-Sondermarkenserie („Berühmte Leuchttürme“) herüber und darf zuversichtlich hoffen, dafür nicht eine 35-Pfennig-Marke einer Dauerserie zu ertauschen.

Ist Tausch aber ein Wert? Mindestens dann, wenn Menschen sich austauschen, Freundlichkeit und Zuneigung tauschen. Dass der Philosoph und Soziologe Simmel in seiner „Philosophie des Geldes“ am Austausch von Küssen deutlich macht, was tauschen heißt, mag also angehen. Gebietsaustausch hat Westberlin einst die Sandwüste des ehemaligen Potsdamer Bahnhofs eingebracht, da konnte dann eine Magnetbahn aufgebaut werden. Das Stichwort Damentausch, das ein Lexikon zum Begriff assoziiert, macht allerdings deutlich, dass man sich auch vertauschen kann: „Wer zu oft mit seinem Herzen Tausch und Handel getrieben hat, verliert den Sinn für echte Liebe“, sagt der Freiherr von Knigge. Recht hat er. Es kommt eben darauf an, was man vertauscht und dafür eintauscht. Daran entscheidet sich, ob der Tausch eine Wertsache war.

Der Autor ist Kirchenhistoriker und schreibt an dieser Stelle jeden zweiten Montag über Werte, Wörter und was uns wichtig sein sollte.

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