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Gesundheit: Taxis auf die Schienen!

Man nehme die Vorzüge der Bahn und verbinde sie mit denen des Autos – heraus kommt „Railcab“, eine neue Art der Fortbewegung. Paderborner Ingenieure arbeiten an einer Versuchsstrecke

Not macht erfinderisch. Als Joachim Lückel von der Universität Paderborn mal wieder in Kassel-Wilhelmshöhe genervt auf einen Anschlusszug Richtung Süden wartete, hatte er eine Idee: Warum sollen sich die Vorteile des Auto- und des Bahnverkehrs eigentlich nicht kombinieren lassen? Dann könnte man jederzeit und ohne Umsteigen überall hin gelangen und würde nie mehr im Stau stehen.

Das hört sich utopisch an. Lückel aber ist durchaus ein Mann der Praxis. Früher hat er für Großkonzerne Flugzeuge und Pkw entwickelt. Dann wurde er als Professor für Automatisierungstechnik ans Mechatronik-Laboratorium der Universität Paderborn berufen. Dort arbeiten er und ein Team aus sechs verschiedenen Fachbereichen nun an der Bahn der Zukunft: einer Art Taxis auf Schienen („Railcab“).

Neben Mechatronikern, Robotik-Fachleuten und Elektrotechnikern sind auch viele Informatiker beteiligt. Auf den Rechnern der Ingenieure ist die neue Technologie bereits Realität: Thorsten Hestermeyer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am MLaP, drückt ein paar Tasten, und schon gleitet auf dem Bildschirm seines Laptops ein solches Schienen-Taxi lautlos über Stock und Stein.

„In Wirklichkeit werden die Shuttles etwa die Größe von Van-Pkw haben“, sagt Hestermeyer: „Bis zu sechs Personen passen hinein. Gegen einen Aufpreis kann man sie aber auch allein mieten.“ Und die Mini-Züge kommen ihre Fahrgäste individuell abholen. Ein Logistiksystem, das garantiert, dass in allen Regionen des Netzes immer genügend Schienen-Taxis verfügbar sind, wird bereits entwickelt. „Sie bestellen jetzt per Handy in der Zentrale einen Shuttle, in ein paar Minuten steigen sie zu, und in wenigen Stunden sind Sie zu Hause in der Schweiz“, erklärt Mechatronik-Experte Lückel das Prinzip.

Ähnlich wie bei der „M-Bahn“ vor 15 Jahren in Berlin und wie beim Transrapid, der nun in China läuft, werden die Fahrzeuge per Linearmotor vorangetrieben. Das ist gleichsam ein „aufgeschnittener“ Elektromotor: Die Spulen im Gleisbett erzeugen ein wanderndes magnetisches Feld, unter jedem Shuttle ist eine Magnetschiene angebracht, die vom Magnetfeld angetrieben wird. Anders als beim „Transrapid“ jedoch ruht das Gewicht der Shuttles auf den Rädern und Schienen, erklärt der Mechatronik-Experte: „Das Magnetfeld muss sie nicht auch noch in der Luft halten. Das spart Energie.“

Die Schienen-Taxis werden in Leichtbauweise aus Aluminium und Kunststoff gefertigt und erreichen eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h. Auf den Hauptverkehrsstrecken sammeln sie sich und bilden Konvois. Sie fahren dann dicht hintereinander, jedoch ohne einander zu berühren. „So nutzen wir den Windschatten aus und sparen Energie“, sagt Lückel. Zudem kann der Linearmotor in bereits bestehende Gleisanlagen integriert werden – gleich, ob Fern- oder Straßenbahn.

Die Shuttles fahren vollautomatisch und computergesteuert als selbstständige Systeme, wie der Experte sagt. „Dieses Prinzip hat sich beim U-Bahnverkehr in Paris und Tokio bereits gut bewährt.“ Selbst Weichen brauchen bei der „neuen Bahntechnik“ nicht mehr gestellt zu werden. Die Vehikel biegen nämlich je nach Bedarf einfach eigenmächtig ab.

Dank der praktischen Modulbauweise soll eine individuelle Ausgestaltung der Personen-Abteile etwa als Konferenzzimmer oder Schulungsraum möglich sein. Aber das System lässt sich auch für den Gütertransport nutzen: In wenigen Minuten wird das Mittelstück des Shuttles gegen ein Container-Modul ausgetauscht. Wenn jährlich 100000 solcher Shuttles pro Jahr produziert werden, lägen die Stückkosten bei rund 50000 Franken, erklärt Hestermeyer.

Großen Forschungsaufwand steckten die Paderborner Ingenieure zudem in die Entwicklung einer modernen Federungs- und Neigetechnik für die Shuttles, zu der man sich von den Fortschritten der Automobilindustrie anregen liess. Bei den Schienen-Taxis ist die Fahrgastkabine nur mehr über Luftfedern mit dem Fahrwerk verbunden.

Die Paderborner sehen die Shuttles nicht als Konkurrenz zur traditionellen Eisenbahn, sie sollen – zumindest in einer Übergangsphase – den konventionellen Bahnbetrieb ergänzen. Die Schienen-Taxis werden sich also zwischen die gewöhnlichen Züge einreihen. Kompatibilitätsschwierigkeiten zwischen den beiden Systemen lassen sich technisch schon heute fast vollständig lösen, betont Lückel.

Die ersten richtigen Shuttles sollen nun bald starten. Jetzt begann die Arbeit an einer Versuchsstrecke im Maßstab 1:2,5 gleich hinter dem Paderborner Institutsgebäude. Ein etwa 600 Meter langer Rundkurs mit Bahnhofsanlage, bei dem auch das „Einparken“ der Shuttles geübt werden kann. Nordrhein-Westfalen fördert das Projekt mit 3,2 Millionen Euro. Rund drei Jahre will man die Technik auf dieser Versuchsstrecke testen, dann geht es endgültig in die Wirklichkeit hinaus.

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