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Gesundheit: Venus gegen Mars

Der IQ ist gleich – und doch sehr verschieden. Warum Frauen anders denken als Männer

Sie nimmt Puppen ernst, er nimmt sie auseinander. Sie kann nicht rückwärts einparken, er kann nicht zuhören. Sie ist von der Venus, er vom Mars.

Lawrence – kurz Larry – H. Summers ist auch vom Mars. Larry Summers ist außerdem Präsident der Harvard-Universität. Vor wenigen Wochen erregte Summers maximale Aufmerksamkeit, als er öffentlich analysierte, weshalb Frauen in Mathematik und Physik immer noch so selten sind wie Männer in Küchenschürzen. Es gebe da, so Summers’ Kurzdiagnose, drei Möglichkeiten:

1) Frauen seien daran einfach nicht so interessiert.

2) Männer seien begabter.

3) Frauen seien Opfer männlicher Diskriminierung.

„Meiner Meinung nach nimmt die Bedeutung dieser Erklärungen in genau der von mir beschriebenen Reihenfolge ab“, sagte Summers. Seitdem stehen für den 27. Präsidenten der Harvard-Universität, der sein Bachelor-Examen an der US- Technik-Hochburg Massachusetts Institute of Technology (MIT) machte, die Zeiten auf Sturm. Noch Wochen später klebt der Satz an Summers’ Händen wie Harz. Was er auch tut, wie oft er sich auch entschuldigt: Er wird ihn nicht los. Post-Post-Feministinnen sind empört. Gender-Forscherinnnen und -forscher widersprechen, protestieren, weisen zurück und fordern: Schluss mit diesen fossilisierten Gedanken!

Dazwischen lässt sich auch der ein oder andere vernehmen, der sich die Frage stellt: Könnte es vielleicht sein, dass der Mann Recht hat? Ist es möglich, dass in der Diagnose von Lawrence H. Summers ein Quäntchen Wahrheit liegt? Eine Wahrheit, die uns unangenehm ist, die wir fürchten, weil sie alten Machtstrukturen und Klischees Nahrung gibt, die uns auf die Nerven gehen?

Ja, das könnte sein. Behauptet zumindest die Wissenschaft.

„Das Hirn ist ein Sexorgan“, sagt zum Beispiel Sandra Witelson, eine Neurowissenschaftlerin, die bereits in den 90er Jahren mit Untersuchungen an Einsteins Gehirn bekannt wurde. „In den letzten zwölf Jahren hat die Zahl der Studien, in denen man auf Unterschiede im Gehirn gestoßen ist, exponentiell zugenommen. Es ist sehr aufregend.“

Das zentrale Ergebnis dieser Studien: Frauen und Männer punkten bei IQ- Tests im Schnitt gleich. Erst wenn man genauer hinguckt, fällt auf, dass Frauen bei bestimmten Aufgaben chronisch besser abschneiden – und umgekehrt.

Es hat tatsächlich etwas mit Rückwärtsparken und Zuhören zu tun. Eines der konsistentesten Ergebnisse: Frauen sind sprachbegabter als Männer. Sie benutzen buchstäblich mehr Hirn, wenn sie sprechen, nämlich beide Hirnhälften. Männer dagegen sprechen fast ausschließlich mit links. Die Hirnforscher gelangen inzwischen zur Überzeugung, dass es sich dabei um ein generelles Prinzip handelt, und es trennt die Geschlechter: Während im Kopf der Frau so gut wie alles mit allem vernetzt ist, herrscht in seinem Oberstübchen strikte Arbeitsteilung.

So vermaß der Neurowissenschaftler Richard Haier von der Universität von Kalifornien in Irvine weibliche und männliche Gehirne. Richard Haier stellte fest: Wenn Männer ihre Intelligenz einsetzen, nutzen sie vor allem ihre graue Masse. Frauen dagegen setzen dabei mehr auf weiße Masse. Die graue Substanz bildet die Zellkörper, die weiße die Verbindungsdrähte zwischen den Zellen. Mit anderen Worten: Mars-Hirne sind fokussierter, Venus-Hirne vernetzter – mit Folgen für die Praxis.

Sobald sie mehr als zwei Aufgaben zur gleichen Zeit zu erledigen haben, sind Männer schnell überfordert, einerseits. Auf der anderen Seite entfaltet die hochgradige Konzentration auch ihr Plus. Mehr Hirn bedeutet nämlich nicht automatisch mehr Leistung. Im Gegenteil, wie der US-Psychologe Michael O’Boyle nachgewiesen hat: Jungs mit der höchsten Mathebegabung schalten ihre linke Hirnhälfte schlicht ab. Sie benutzen zwar weniger Hirn, dieses aber sehr effektiv.

Bei räumlichen Aufgaben schneiden Männer deshalb besser ab als Frauen. Die strikte Trennung zwischen Sprache (linke Hirnhälfte) und räumlicher Vorstellungskraft (rechte Hirnhälfte) scheint da von Vorteil zu sein. Beispiel: Steht das hochvernetzte Hirn der Frau vor dem Problem, eine Parklücke mit einem Auto zu füllen, so stören die vielen Worte („Pass auf, du musst jetzt mit dem Auto rückwärts fahren, bis du mit der Hälfte deines Wagens am Ende des vor dir parkenden Autos angekommen ist, und dann schlägst du schnell ein ...“) vermutlich nur die visuelle Vorstellungskraft.

„Die menschliche Entwicklungsgeschichte hat offenbar zwei verschiedene Hirntypen hervorgebracht“, sagt der Neuroforscher Haier. Konfrontiert man diese beiden Hirngattungen mit einem IQ- Test, kommen sie unterm Strich zwar auf dasselbe Ergebnis. Sie zeigen aber unterschiedliche Stärken und Schwächen und setzen auf unterschiedliche Strategien.

Dem kann der britische Psychologe Simon Baron-Cohen von der Universität Cambridge nur zustimmen. Er sagt: Während das Hirn von Männern auf leblose Systeme (S) geeicht ist, gehen Frauen mit Einfühlungsvermögen (E) vor. „Das typisch männliche Gehirn bezeichne ich deshalb als S-Hirn, das typisch weibliche als E-Hirn“, sagt der Experte. Ein Mann fragt: Wie funktioniert das? Eine Frau fragt: Wie fühlt sich das an? Glaubt zumindest Simon Baron-Cohen.

Und er geht noch einen Schritt weiter. Die Weichenstellung für S oder E, sagt der Psychologe, wird schon im Mutterleib gelegt. Alles hängt davon ab, wie viel Testosteron durch den Fötus fließt. Das männliche Sexualhormon fördert die Entwicklung der rechten Hirnhälfte mit ihrem Talent für Mathematik und Parken – auf Kosten der sprachbegabten, einfühlsamen linken.

In einem spektakulären Versuch fanden zwei Mitarbeiterinnen des Forschers einen ersten experimentellen Hinweis für die gewagte Hypothese. Sie boten 100 Babys entweder ein Gesicht oder ein Mobile dar, das aus Bausteinen eines Gesichts zusammengewürfelt war.

Das Resultat: Die Mädchen guckten länger auf das Gesicht, während die Jungs vom System Mobile fasziniert waren. Ob das am Testosteron liegt, weiß derzeit keiner. Nur eins scheint sicher: Die Kultur ist zumindest an diesem kleinen Unterschied nicht beteiligt – die Babys waren genau einen Tag alt.

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