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Gesundheit: Vom Kopf auf die Füße

Umstrittene Rechtschreibregeln werden liberalisiert – und erst nach dem 1. August für Schüler verbindlich

In der neuen deutschen Rechtschreibung soll es offenbar eine Reihe von Varianten umstrittener Schreibweisen geben. Damit würde das amtliche Regelwerk weniger radikal überarbeitet werden, als es die 36 Experten aus den deutschsprachigen Ländern im Rat für deutsche Rechtschreibung im April diskutiert hatten. So könnte die Reformschreibweise „Kopf stehen“ doch neben der von der Kommission zunächst als einzig richtige Schreibweise angesehenen „kopfstehen“ Bestand haben, heißt es in Ratskreisen. Darüber wolle sich der Rat bei seiner Sitzung am morgigen Freitag abschließend einigen; die endgültigen Regeln für die Zeichensetzung und die Silbentrennung sollen bis zu 1. Juli stehen.

Die Entscheidungen in den drei umstrittenen Bereichen fallen jedoch zu spät, um noch am 1. August für Schulen und Behörden verbindlich in Kraft zu treten. Deshalb solle zunächst nur der Teil der Rechtschreibreform wirksam werden, der nicht umstritten ist, heißt es in der KMK: Im Wesentlichen sind das die ss/ß-Regeln (dass, Fluss), Laut-Buchstaben-Zuordnungen (Stängel), eingedeutschte Fremdwörter (Delfin), die neuen Bindestrich-Schreibungen (Ich-Sucht), Änderungen in der Groß- und Kleinschreibung (heute Abend), – soweit sie nicht auch die Getrennt- und Zusammenschreibung betreffen. Das wolle die KMK bei ihrer Sitzung beschließen, die heute in Quedlinburg beginnt, ist aus der Kommission zu erfahren.

Für Schüler gilt: Rechtschreibfehler in den unstrittigen Bereichen sollen nach den Sommerferien ins Gewicht fallen. Seitdem die neue Rechtschreibung 1998 an den Schulen eingeführt, aber nicht amtlich war, wurden sie lediglich angestrichen, aber nicht als Fehler gewertet. Diese Übergangsfrist soll jetzt bis auf weiteres nur noch für Fehler in der Getrennt- und Zusammenschreibung, Zeichensetzung und Silbentrennung gelten.

Warum dieses Moratorium – wenn sich doch der Rat für deutsche Rechtschreibung in einem Monat in diesen Bereichen abschließend festlegen will? Die Vorschläge des Rats werden danach noch in einer gemeinsamen Anhörung mit Eltern- und Lehrerverbänden diskutiert und müssen dann von den zuständigen staatlichen Institutionen der deutschsprachigen Länder akzeptiert werden. In Deutschland sind das die Konferenz der Kultusminister (KMK) und die Konferenz der Ministerpräsidenten (MPK), und die tagen erst wieder im Herbst.

Kann die Rechtschreibreform dann noch scheitern – unter den Vorzeichen eines möglicherweise bevorstehenden Regierungswechsels? Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU), der im Sommer 2004 versucht hatte, die Reform zu kippen, will die Vorschläge offenbar akzeptieren: „Wenn wieder zusammengeschrieben wird, was zusammengehört, ist das ein großer Schritt in die richtige Richtung“, erklärte Wulff gegenüber dem Tagesspiegel. Angesichts der „völlig überzogenen und inakzeptablen Neuregelungen“ sei es zu begrüßen, dass die Übergangsfrist für die besonders strittigen Teile verlängert werde.

Als großen Schritt, der den Gegnern der Rechtschreibreform weit entgegen kommt, sieht man die sich jetzt abzeichnenden Liberalisierungen in der KMK und in reformfreundlichen Teilen des Rats allerdings nicht. Vor allem bei der Getrennt- und Zusammenschreibung habe es immer einen „changierenden Bereich“ gegeben, in dem der KMK klar war, dass die Wortbedeutung nicht ausreichend beachtet wurde, sagt ein Experte. Wenn dies jetzt korrigiert und gleichzeitig Varianten eröffnet werden, bedeute das aber keinesfalls eine weitgehende Rücknahme der Reform. So hatte der Reformkritiker Theodor Ickler die Vorschläge des Rats vom April gesehen, die keine Varianten mehr vorsahen. Die Bereiche, die erst Ende dieses oder Anfang des kommenden Jahres verbindlich geregelt würden, machten ohnehin nur „ein halbes Prozent der geschriebenen Sprache“ aus, betont der Experte.

Für die KMK sei es wichtig, dass Änderungen am Regelwerk von 1996 klar und vor allem für Schüler leicht nachvollziehbar seien, sagt der KMK-Experte. Es dürften „keine neuen Löcher“ entstehen. Fachlich einmischen wolle man sich aber nach dem abschließenden Votum des Rates für deutsche Rechtschreibung möglichst nicht. Voraussichtlich werde man dem Rat folgen, denn auch in der KMK setze sich die Auffassung durch, dass umstrittene Reformschreibweisen wie „Brust schwimmen“ liberalisiert werden sollten.

In der Übergangsfrist wird die Klarheit der Regeln der neuen Rechtschreibung auf jeden Fall leiden: So soll die Reformdevise fallen, Verbindungen von Verb und Verb (kennen lernen, spazieren gehen) und von Substantiv und Verb (nach dem Muster von Auto fahren) immer getrennt zu schreiben. Stattdessen sollen auch hier parallele Varianten zugelassen werden. Schüler dürften sich also aussuchen, ob sie „kennen lernen“ oder „kennenlernen“ schreiben wollen. Die Variantenschreibweisen sollten so lange gelten bis sich „im Sprachgebrauch“ eine Schreibweise durchsetze, ist aus Ratskreisen zu hören. Der Rat für deutsche Rechtschreibung soll ja die Sprachentwicklung verfolgen und in Fünfjahresschritten weitere kleine Korrekturen vornehmen.

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